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Der Berlin-Roman, den immer noch zu wenige kennen


Räuber

Was bezahlbaren Wohnraum angeht, da haben deutsche Großstädte ja bereits einige Schlagzeilen gemacht, meist keine guten. Wie dramatisch es aber teilweise wirklich ist und wie viele Menschen davon betroffen sind, das ist nur peripher ein Thema (zumindest in meinem Bekanntenkreis). Da wird dann von Gentrifizierung geredet und davon, dass man als Student*in in einem bestimmten Viertel ohne uralten Mietvertrag nicht mehr wohnen kann.

Doch natürlich gibt es wirklich Leute, bei denen die ganze Existenz von diesen Entwicklungen bedroht ist. Spätestens seit der Wohnungsmarkt eine Art Tummelplatz für Investor*innen geworden ist, die bspw. alte Sozialbauten abreißen lassen, um neuere Wohnungskomplexe zu bauen, ist Wohnungsnot nicht nur ein Thema für Zugereiste (und Erwachsengewordene), sondern auch für Ansässige. Eine neue Bodenordnung und eine Wohnungspolitik (das hat Hans-Jochen Vogel mit 94(!) in seiner letzten Veröffentlichung „Mehr Gerechtigkeit“ sehr gut dargelegt) sind geradezu unumgänglich geworden, um einen gesellschaftlichen Kollaps in den Großstädten zu verhindern. Doch noch ist dergleichen, in Berlin und anderswo, nicht in Sicht.

Eva Ladipo hat sich in ihrem zweiten Roman „Räuber“ diesem Themenkomplex gewidmet, auf so unverhofft kluge und unterhaltsame Weise, dass ich zunächst skeptisch war, darauf gewartet habe, dass die Qualität irgendwie abfällt, das entweder der gesellschaftspolitische oder der Spannungsteil zu überwiegen beginnt; ich konnte einfach nicht glauben, dass es das geben kann: einen unterhaltsamen Roman, bei dem zugleich ein hochbrisantes, aktuelles Thema (aus Deutschland) im Mittelpunkt steht. Es gibt durchaus einige sehr gute Essayist*innen in diesem Land (von Stokowski über Czollek bis Juli Zeh) und gelungene Sachbücher, die wichtige Problematiken offenlegen, aber diese Kombination aus Unterhaltung und Aufklärung in Romanform, ist, in meinen Augen, eine Seltenheit.

Zum Plot: Der Bauarbeiter Olli Leber, der schon seit geraumer Zeit für seine Mutter und sich allein aufkommen muss, weil sein Vater nach einem Arbeitsunfall permanent zu einem Pflegefall wurde, bevor er dann starb, hat gerade erst die Beerdigung hinter sich gebracht, da folgt schon der nächste Nackenschlag: die Sozialwohnung, in der er und seine Mutter leben, wird verkauft und das Gebäude soll abgerissen werden. Doch Olli hat sich schon auf der verkorksten Beisetzung geschworen: nie wieder einfach beiseite treten, nie wieder Duckmäusern. Er wird sich wehren. Sein Weg kreuzt sich mit dem der Journalistin Amelie Warlimont, die ein ganzes anderes Leben führt und sich trotzdem an Ollis Seite stellt. Schon bald haben sie einen Plan, wie sie es der Stadt und der Politik in der Gestalt des Finanzsenators Falk Hagen heimzahlen können …

Im Netz kann man zahllose Leser*innenkommentare finden, in denen steht, sie hätten das 540 Seiten-Buch in einem Rutsch durchgelesen. Das hielt ich zunächst für übertrieben. Aber auch ich konnte mich dem Sog dann schwer entziehen und hätte ich nicht spät abends angefangen das Buch zu lesen, vielleicht hätte ich es auch am selben Tag noch beendet. Diesen Sog verdankt das Buch sicher seiner guten Kombination aus Sozial- und Kriminalgeschichte (ebenfalls einen wesentlichen Anteil haben auch die gut konzipierten Figuren, die abwechslungs- und temporeiche Struktur), aber das allein kann den Sog nicht erklären.

Das Erfolgsgeheimnis des Buches liegt, so glaube ich, in den unterschiedlichen menschlichen Dimensionen, die es darstellt. Ganz gleich, ob es um Amelies erste Tage mit ihrem neuen Baby geht, um Ollis Innenleben auf der Beerdigung des Vaters oder um Hagens Wunsch nach einem letzten Lebenshoch – das alles wird nachvollziehbar und intensiv geschildert, man kann sich zu jedem Zeitpunkt sehr gut in die Gefühlswelten einfinden bzw. muss sich mit ihnen auseinandersetzen.

Diese Nähe zu den Charakteren, die Anschaulichkeit ihrer jeweiligen Existenzen, macht das Buch zu einem Erlebnis, das viele Ambivalenzen aufwirft und zugleich wichtige humanistische Ansätze vertieft. Kurzum: Es geschieht genau das, was gute Literatur in uns „anrichten“ sollte: eine Diversifikation, Multiplikation der Einblicke in die Lebenswirklichkeit und gleichsam das vor Augen halten der Gemeinsamkeiten, der Wichtigkeit des menschlichen Miteinanders. Dazu sollte gute Literatur imstande sein und uns am besten auch noch: unterhalten. Eva Ladipo gelingt in „Räuber“ eine vortreffliche Verknüpfung dieser beiden Qualitäten.

Von Glanz und Ende einer Kindheit unter dem Zeichen von Kramp und Desaparecidos


Desaparecidos, mit diesem Namen werden in einigen Ländern Südamerikas, in denen es in den 60er, 70er, 80er und 90er Jahren Militärdiktaturen gab, zur damaligen Zeit von der Regierung verschleppte und ermordete Personen bezeichnet. Es sind “Verschwundene”, bei denen Familie und Freunde vom einen auf den anderen Tag nicht mehr wissen, was mit ihnen geschehen ist.

Was hat dieser Hinweis mit María José Ferradas Romandebüt um einen Eisenwaren-Vertreter und seine Tochter zu tun? Nun, alles und nichts. Die genauen Zusammenhänge zu verraten, das würde einem Spoiler gleichkommen, aber zusammenfand lässt sich sagen: Über weite Strecken ist “Kramp” die Erzählung einer Kindheit, bei der die oben genannten Verbrechen gegen Ende hin eine Art Katalysator darstellen, die das Ende der Kindheit und auch das Ende einer Vater-Tochter-Beziehung einleiten und beschleunigen.

Zum Inhalt:

Die namenlose Ich-Erzählerin wächst damit auf, dass ihr Vater D. von Dorf zu Dorf fährt, um in Eisenwarenhandlungen Produkte der Marke Kramp anzupreisen. Ihre ganze kindliche Welt ist erbaut auf den Lebensweisheiten des Vertretergewerbes und einer magischen Fülle von Schlössern, Fuchsschwänzen (eine Säge), Türspionen, Nägeln und anderen Produkten aus dem Katalog der Marke Kramp. Droben im Himmel kann nur ein großer Baumeister sitzen, die Sterne am Himmel sind glänzende Heftzwecken und ein Haus, das mindesten zu 80 % aus Kramp-Produkten besteht, kann niemals einstürzen.

Schnell will die Erzählerin ihrer Faszination rund um die Uhr nachgehen und aus Vater und Tochter wird ein Vertreter*innengespann, bei dem die Tochter vor allem für den subtilen Druck auf die jeweiligen Verkäufer*innen zuständig ist, indem sie sie durchdringend anschaut, manchmal auch Kummer in ihren Gesten zum Ausdruck bringt, während der Vater mit ihnen verhandelt. Sie lernt die Lebenswelt der Vertreter noch genauer kennen und trifft sogar einige Kollegen ihres Vaters, mit denen dieser sich in Cafés oder auch bei Kund*innen und in Hotels trifft. Bald hilft sie auch D. Kollegen S. beim Verkauf von Drogerieartikeln. Und dann ist da noch der Filmvorführer E., mit dem der Vater befreundet ist und den er ab und zu mitnimmt zu Dörfern, in denen E. versucht, Geister zu fotografieren …

Vorangestellt ist dem Roman ein Zitat aus dem Film “Paper Moon” aus dem Jahr 1973. Oberflächlich gesehen hat das Buch von Ferrada mit diesem Film über einen Trickbetrüger und ein Findelkind lediglich gemein, dass die Erzählerin des Buches, ebenso wie das Findelkind, sehr früh zu rauchen beginnt und man in ihren Versuchen, die Ladenbesitzer*innen zu verunsichern, auch eine Art von Trickbetrug sehen könnte, zumal der Vater (und später ein Kollege) oft behaupten, dass sie krank oder ihre Eltern tot sein.

Man könnte es aber auch so sehen, dass beide Geschichten Tragödien im Gewand einer Komödie sind. Über weite Strecken ist Ferradas Buch durchzogen von der kindlichen Freude am Kramp-Weltbild, das für die Leser*innen natürlich in vielerlei Hinsicht eine eigenwillige Komik besitzt. Zwar tauchen früh erste Anzeichen auf, dass es Dinge gibt, die im Argen liegen (hier spielt vor allem die Mutter der Erzählerin eine Rolle, deren Schicksal mit dem der Desaparecidos verknüpft ist, aber auch disfunktionale Familienverhältnisse werden angeschnitten, Alkoholismus, Armut, etc.), aber über 2/3 des Buches federt die tiefe Zuneigung der Erzählerin zum Milieu und zur Tätigkeit ihres Vaters diese dunkleren Aspekte ab.

Auch in “Paper Moon” erleben die Zuseher*innen eine heiter dargebrachte Story, deren Elemente (Verlust der Eltern, Rücksichtslosigkeit, Wirtschaftskrise, Trickbetrug, Eifersucht, etc.) aber eher auf eine Tragödie hinweisen. Während der Film allerdings bis zum Ende immer ein bisschen über den Dingen schwebt, sich auf und ab bewegt, werden die Leser*innen des Buches gegen Ende hin, zusammen mit der Erzählerin, unabänderlich auf den Boden der Tatsachen geholt.

Würde man das Buch auf autobiografische Ansätze zurückführen, wofür es mir aber jetzt an Informationen fehlt, so könnte sich in dieser Abweichung zwischen Film und Wirklichkeit auch das Verhältnis von Kindheit und Erwachsenseins ausdrücken: In der Kindheit kann alles noch irgendwie richtig sein wie es ist (muss es vielleicht sogar, in unseren Köpfen) und es kann einfach so weitergehen, denken Kinder, und Erwachsenwerden heißt, dass man lernt, dass manche Dinge nicht richtig sind wie sie sind und dass es nicht immer so weitergehen kann.

“Kramp” ist eines dieser Bücher, bei denen man erst gegen Ende merkt, wie raffiniert sie gebaut sind und wie geschickt sie uns bestimmte Themen untergejubelt haben. Es wirkt zunächst wie eine launige Posse, eine Wiederbelebung des magischen Realismus mit einem Schuss Oulipo, wird aber letztendlich zu einem Text, der Grundsätzliches dort verhandelt hat, wo man als Leser*in davon überzeugt war, dass er sich exzentrisch seinen Themen auslieferte.

Fulminantes Debüt


9783835337305l Wann ist ihnen das das letzte Mal passiert: dass sie das Gefühl hatten, ein Buch bringt ihnen das Lesen ganz neu bei, zeigt ihnen ohne Unterlass, dass Sprache nicht nur ein Informationsmedium, sondern ein Gefüge, eine Komposition, ein Spielplatz, kurzum: eine gänzlich eigenständige Erfahrung ist. Falls eine solche Begegnung ein Weilchen her sein sollte, empfehle ich sehr, dass sie sich Leander Fischers Debütroman „Die Forelle“ zulegen.

In diesem Roman geht es, auf der Handlungseben, um zwei große Fs: Fliegenfischen und Freundschaft (bzw. Feindschaft). Aber es ist auch ein (Anti-)Provinzroman und eine Auseinandersetzung mit österreichischer Geschichte vom 2. Weltkrieg bis in die frühen 90er Jahre (und einer Darstellung der Mentalitäten, die aus diesen beiden Schauplätzen ergeben). Es ist eine Erzählung über das unerfüllte Leben, Intrigen und die Distanz (sowie Nähe) zwischen Mensch(engeschaffenem) und der Natur.

Das Fliegenfischen, also die Praxis, den Fisch mithilfe von naturgetreuen Nachbildungen von Beuteinsekten zu fangen, ohne ihn jedoch durch einen Widerhaken zu verletzten (stattdessen wird er wieder freigelassen) und die Freundschaft, die Praxis des Menschen, sich im Bestreben nach Gemeinschaft/Harmonie mit Menschen zu umgeben, die einen verstehen und mit denen man etwas teilen kann, wodurch eine Nähe entsteht, die einen wiederum anfällig macht für Verletzungen und in der man dem freien Willen des anderen ein Stück weit mehr ausgeliefert ist – vor dem Hintergrund dieser beiden Komplexe und ihrer breiten Potenziale, bewegt sich Fischers Werk.

Es sollte natürlich ehrlicher Weise gesagt werden, dass „Die Forelle“ kein handelsüblicher Page-Turner ist. Fischer entspinnt ein Narrativ, das die Leser*innen in die Leerräume zwischen die Zeilen schickt, damit sie als verbindendes Element agieren. Seine Prosa schweift ab, verliebt sich in Bilder, Anklänge, ergeht sich hier und da in Wortspielen, macht Sprünge, bewegt sich auf mehreren Ebenen – seine Art des Erzählens fügt nicht alles zusammen, sondern muss aktiv nachvollzogen, interpretiert werden, an manchen Stellen fast wie ein Gedicht. Wer sich den Akt der Partizipation, des Mitspielens, zu eigen macht, wird allerdings belohnt mit einer schier unerschöpflichen Lektüre.

Viele Referenzen könnten an dieser Stelle genannt werden, bei wenigen belasse ich es: im Bezug aufs Fliegenfischen (man denke an Robert Redfords Film „In der Mitte entspringt der Fluss“, aber auch Paulus Hochgatters Novelle „Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen“ oder Ernest Hemingways schwebende Erzählung „Großer doppelherziger Strom I+II), aber auch im Bezug auf Fischers Stil und Ästhetik, die beeinflusst sind von den Werken Thomas Pynchons, William Faulkners, Claude Simons, Valeria Luisellis und anderer moderner bis postmoderner Autor*innen.

Fazit: Sie werden vielleicht ein bisschen brauchen, um in den Roman hineinzufinden. Aber dann werden sie kaum wieder herausfinden – schnappend nach jedem Glänzen in den Strömungen, Kreiseln und Wellen von Fischers Sprache, und kaum, dass sie etwas zu fassen bekommen, werden sie wiederrum hineingeworfen, tauchen wieder ein in den Strom dieser erstaunlichen, widerspenstigen, genüsslichen und überbordenden Prosa, die für mich zu den großen Entdeckungen des Jahres gehört.

Zu Johannes Wallys “Das Gewicht der Bilder”


Das Gewicht der Bilder „Menschen konnten über alles Mögliche Gewissheit erhalten, nur nicht über die wahren Gründe ihres Handelns.“

Es ist gar nicht so leicht, Johannes Wallys Roman „Das Gewicht der Bilder“ beizukommen. Augenscheinlich vollzieht sich in dem Buch eine ziemlich konventionell erzählte, stringente Geschichte über eine Liebe, den Optimierungsimperativ/gesellschaftlichen Leistungsdruck und die entscheidenden Momente, in denen sich in unseren Geschichten so etwas wie Schicksal verdichtet. Doch durch die Art, mit der manche Motive sich, fast klammheimlich, entfalten und auch weil sich die Perspektive während des letzten Drittels der Erzählung stark wandelt, wird aus dem zunächst simpel erscheinenden Konstrukt ein, zumindest in den Ausläufern, ungleich komplexeres Vexierspiel.

Die Geschichte beginnt in einem Fitnessstudio (ein kleines, keine High-End-Ketten-Einrichtung), wo die Protagonistin und Ich-Erzählerin Vanja, Ende 20, regelmäßig trainiert. Dort lernt sie auch Arthur kennen, besser gesagt: sie hat ihn schon kennengelernt, wir werden nur Zeuge der letztendlichen Vollziehung ihrer Annäherung. Alles deutet auf ein relativ schnell gedeihendes, nur mit den üblichen Abwehrreflexen gespicktes Glück zu zweit hin.

Doch Arthur, charmant und lebenslustig, entpuppt sich schnell als ein Getriebener, der nach einer Zeit der Arbeits- und Erfolglosigkeit unbedingt eine neue Geschäftsidee umsetzen will. Doch er braucht jemanden, der für einen Kredit bürgt, der ihm den Einstieg ermöglichen soll. Aufgrund einer Verkettung von Umständen, die auch mit einem Unfall und wohl auch dem Wunsch nach einem restlos-verbindenden Element zu tun haben, bürgt Vanja, trotz ihrer sich als wacklig herausstellenden Anstellung, für den Kredit und Arthur beginnt mit einem gemeinsamen Bekannten der beiden ein vielversprechendes kleines Business im Bereich der Getränkeindustrie. Doch schon bald scheint ihm die Erfüllung seines Wunsches und die viele Arbeit über den Kopf zu wachsen – und mit einem Mal ist alles anders …

Obgleich das Buch mit Roman betitelt ist, könnte man bei „Das Gewicht der Bilder“ auch von einer Novelle sprechen, denn der Text hat ein sehr überschaubares Personal und ist sehr linear erzählt. Zur Novelle passt auch, dass es letztlich ein Ereignis (“eine unerhörte Begebenheit”, wie Goethe einmal sagte) ist, welches die Weichen stellt und dessen Folgen zu dem zentralen Wendepunkt in der Handlung führen, der ebenfalls ein Merkmal der Novelle ist. Zudem ist die Protagonistin, wenngleich involviert, meist eine außenstehende Beobachterin der Prozesse.

Die Protagonistin Vanja ist neben ihrem Beruf (Lehrerin) auch Malerin – ihre Spezialität ist es, Gemälde zu malen, die dem Anschein eines Fotos nahekommen. Fotos halten zwar nur Momente fest, aber werden oft nicht nur als Momentaufnahme, sondern als Darstellung eines Ganzen wahrgenommen, als charakteristisches Element des Dargestellten. Das Gewicht der Bilder liegt dabei allzu oft in der Waagschale, die sich zu unseren Wünsche und Vorstellungen hin neigt, zumindest, wenn das Foto derlei ermöglicht.

Dieses Motiv von Schein und Sein findet sich auch in der Erzählperspektive. Vanja ist die einzige Quelle für Informationen, wir erfahren nur, was sie erfährt und vollziehen die Dinge vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen nach. Eine Weile scheint diese Rezeptionsart gänzlich unbedenklich, auch weil Wally eine geschickte Erzählführung und eine bestechende Dialogkunst an den Tag legt, was sich allerdings oft erst in späteren Kapiteln gänzlich offenbart.

Man könnte noch weiter aushohlen, was die Psychologie von Vanja betrifft und auch die scheinbar nur am Rande vorangetriebene Geschichte über den frühen Verlust ihres Vaters mit ins Bild ziehen. Auch über das Zusammenspiel einiger Motive, bspw. der Fitnessstudiokultur und der Idee von Romantik als zwei Seiten einer Optimierungsidee, könnte man sicher noch einige Worte verlieren, auch unter dem Aspekt, dass wir oft wie jemand wahrgenommen werden wollen, als der/die wir uns dann erst im Nachhinein oder von da an fühlen können.

Fest steht: „Das Gewicht der Bilder“ wirkt zwar zunächst wie eine relativ simple, auf Bodenständigkeit bedachte Geschichte, aber in vielen Abschnitten tun sich vielschichtige Überlegungen und Anregungen auf. Wally schreibt geradlinig, aber sein Stil ist nicht ohne kleine Finessen und erfüllt vor allem die Aufgabe, die Leser*innen auf gelungene Art im Unklaren zu lassen, während alles sehr klar wirkt, bis zum Kipppunkt.

Nicht zuletzt konfrontiert er uns durch dieses Kunststück mit unserer eigenen Vorstellung, mit jener gern gehegten, scheinbaren Gewissheit, dass unser Blick auf die Ereignisse nichts unerschlossen lässt, das für uns von Belang ist. Dass wir aber oft trotz vieler Einsichten ohne die Zusammenhänge macht- und ahnungslos sind, das führt Wally am Beispiel seiner Protagonistin wunderbar vor. Die Macht der Bilder, an die wir glauben wollen, weil sie unsere Bilder sind oder uns so zwingend und eindeutig erscheinen, ist groß. Aber Bilder täuschen uns oder: wir täuschen uns in ihnen.

Zu “Fremdes Licht” von Michael Stavarič


Fremdes Licht Michael Stavaričs neuer Roman „Fremdes Licht“ hält nicht lange mit der Katastrophe hinterm Berg: schon auf den ersten Seiten befinden wir uns in einer Endzeitwelt aus Kälte und Schrott, in der nur noch ein letztes menschliches Bewusstsein glimmt und flackert: Elaine, eine Genforscherin, und mit ihr ein letzter menschlicher Monolog, eine letzte menschliche Erinnerungskammer in einer unwirtlichen Welt. Ihr Großvater, der eine wichtige Bezugsperson war, hat ihr einst das Überleben in Eis und Schnee beigebracht, denn er lebte lange bei den Inuit …

Soweit die Ausgangslage, die man auch dem Klappentext entnehmen kann und die sicherlich bei dem/der ein oder andere/n Interessierten für gehobene Augenbrauen gesorgt hat – und auch für mich klang das alles zwar spannend und auch nicht abwegig, aber doch ein bisschen dubios. Nun ist es aber so, dass die Zusammenfassung eines Romans wenig aussagt, denn es geht ja darum, wie ein Roman diese Inhalte vermittelt, wie die Geschichte, so dubios sie auch erstmal klingen mag, umgesetzt wird.

„Fremdes Licht“ ist in dieser Hinsicht ein durchaus anspruchsvoller Roman, denn Stavarič erzählt mit einer Langsamkeit und Intensität, die zwar atmosphärisch den Welten entsprechen, die er beschreibt – und auch dem Zustand, der existenziellen Lage der Protagonistin (*innen) – trotzdem sorgt diese stilistische Entscheidung in einigen Passagen für etwas, das manche Leser*innen wohl als „Längen“ empfinden könnten. Auch ich habe hin und wieder ein bisschen gehadert mit diesem Stil – und bewundere umso mehr, was er letztendlich, auf seine meditative und zugleich erbarmungslose Art, herausarbeitet, hervorbringt: einen sehr tiefen Ein/Abdruck von Menschlichkeit, in einem Universum, dass abseits des Menschlichen, jenseits der dünnen Haut mit allen Träumen, Illusionen und Empfindungen darin, sehr lebensfeindlich ist, ohne Entsprechung für all das, was wir darin suchen – und doch ist diese Suche vielleicht das Einzige, was das Menschliche letztendlich ausmacht.

Man könnte hier noch einige Bezüge einflechten, zu Sci-Fi Filmen wie Kubricks „2001: A Space Odyssey“, „Eden Log“, etc. oder auch zu dem Inuit-Film „Atanarjuat – Die Legende vom schnellen Läufer“. In dieser Rezension werde ich es aber bei einer Empfehlung belassen, einer eingeschränkten wohlgemerkt, denn auch wenn das Buch keineswegs langweilig oder manieriert ist, so ist es doch, in meinen Augen, keine Unterhaltungsliteratur und wer nach einer solchen sucht, der/die ist mit „Fremdes Licht“ nicht gut beraten. Wer aber mit Literatur einzigartige Erfahrungen machen möchte, wer es mag, dass Inhalte auch über sich hinausweisen, dem/der kann ich das Buch bedenkenlos empfehlen. Es ist mythenreich, philosophisch, abenteuerlich und hinterlässt viele bleibende Eindrücke.

Zu “Unsere glücklichen Tage” von Julia Holbe


Unsere glücklichen Tage „Als ich auf meinem kleinen Hotelbalkon in Luxemburg saß und auf die Stadt blickte, konnte ich nicht anders, als mich ganz den Erinnerungen hinzugeben. Diese Erinnerungen waren Dämonen, aber ich hatte sie vermisst. Wie eine Droge.“

Vier Freundinnen und der Sommer ihres Lebens + große Liebe + großes Zerwürfnis – das klingt nach einem altbewährten Rezept. Bewährt nicht nur wegen dem relativ klaren Plotverlauf, sondern auch weil der/die Autor*in, wenn sie rückblickend erzählt (wie auch Julia Holbe es tut), gleichsam über die Jugend und übers Alter schreiben kann, also beide Gefühlswelten abdeckt.

Zu Anfang ist das Buch auch genau die eindringliche und bewegende Erfahrung, die es durch diesen Mix zu sein verspricht: nach fast drei Jahrzehnten trifft Elsa Marie wieder. Sie bildeten einst gemeinsam mit ihrer Freundin Fanny eine 3er-Clique, die in ihren Studienjahren immer die Ferien in einem Haus von Elsas Eltern an der französischen Atlantikküste verbrachte. Dort wartete jeden Sommer das vierte, ortsansässige Mitglied ihrer Gruppe auf sie: die quirlige Lenica, zu der besonders Elsa ein tiefe Zuneigung hegte. Sie verbrachten die Tage mit trinken, reden, lesen, schwimmen und essen, in tiefer Eintracht.

Dann, im letzten gemeinsamen Sommer, trat auf einmal Sean in diesen erlesenen Kreis: Sean, der etwas ungeheuer Anziehendes hatte, etwas Raubtierhaftes und gleichsam Liebevolles, etwas Umwerfendes und der aber auch Geborgenheit geben konnte, Leichtigkeit, Freiheit. Mitgebracht hatte ihn Lenica, die ihn bereits lange zu kennen schien – aber zusammen kommt er dann mit der Erzählerin Elsa, die sich mit aller Leidenschaft in diese Beziehung stürzt, obgleich sie den Abgrund darin von Anfang an ahnt.

Danach sahen sich die Freundinnen über Jahrzehnte nicht; Lenica starb in der Zwischenzweit. Und jetzt, nach Ehen, Kindern und Scheidungen, erscheint den drei Freundinnen (Marie und Elsa spüren auch sehr schnell Fanny auf) dieses einstige Glück nicht nur magisch, sondern sie legen es auch auf ein letztes Revival an und fahren noch einmal in das Haus, um ein langes Wochenende dort zu verbringen. Und es kommt, wie es kommen muss: Sean taucht wieder auf …

Am Anfang ist Holbes Buch unwiderstehlich und sie versteht es, die Gegenwarts- und die Vergangenheitsebene gut miteinander zu verschränken und doch separat voranzutreiben. Es wird Spannung aufgebaut und viel Vorfreude stellt sich ein, gleichsam zeichnet Holbe ein gutes Bild von Erinnerungswelten und ihrer Anziehung, ihrer trügerischen und doch tiefen Schönheit.

Bis sie dann anfängt, es in einigen Formulierungen zu übertreiben. Als würde sie der Kraft und Dynamik ihres eigenen Sujets (das sich ja, wie gesagt, schon bewährt hat) nicht vertrauen, beteuert sie etwa ab dem zweiten Drittel in jeder Szene die Intensität und Bedeutung der Gefühle ihrer Protagonistin – manches davon mag als authentischer Überschwang durchgehen, aber vieles wird zur enervierenden Overdosis.

Ja, kann man jetzt einwenden, die Protagonistin wird halt von ihren Gefühlen überwältigt, sie schwelgt darin, das gehört zu ihrem Charakter. Das mag stimmen, ist sogar logisch, ergibt aber leider streckenweise einen furchtbaren Stil und macht die Spannung in vielen Szenen zunichte; und auch die zentralen Gefühle erscheinen zu durchsichtig, zu wenig ambivalent.

Ich möchte hier gar nicht mit irgendwelchen creative-writing-Regeln à la „Show, don’t tell“ kommen und Holbes Stil generell aburteilen. Ich verstehe, warum er zeitweise übersteigert sein muss – eben weil die Protagonistin so empfindet, aber noch mal: Logik ersetzt mir nicht das Lesevergnügen und das schwindet leider spätestens ab der Hälfte rapide, zumindest in den Szenen, in denen – statt dass vorausgesetzt wird, dass ich die emotionalen Verfassungen der Beteiligten grundsätzlich verstanden und im Blick habe – immer und immer wieder dieselben Gefühlswelten abgegrast werden.

Und das ist wirklich sehr, sehr schade, denn zu Anfang hatte ich den Eindruck, ein wirklich überdurchschnittlich gutes, sehr in seinem Thema aufgehendes Buch in Händen zu haben, das ich nach dem ersten Drittel wohl auch hymnisch besprochen hätte, als Ode an die Landschaften unserer Erinnerungen, als Psychogramm des Alters, als Elegie über das Gefühl der verpassten Dinge, etc.

Und gerade auf diesen ersten Seiten ist das Buch auch in Bezug auf das eigene Erzählen viel klüger als später, wie Formulierungen wie diese hier beweisen:

„Wahrscheinlich war alles irgendwie gebrochener, ambivalenter, wahrscheinlich trauriger. Aber ist nicht das Wichtigste, wie wir uns erinnern? Nein. Das Wichtigste ist, wie wir es erinnern wollen.“

 

Zu “Technophoria” von Niklas Maak


Technophoria „Nie hatte man so viel Geld verdienen und gleichzeitig der Menschheit und der Natur so viel Gutes tun können.“

Smart Homes, Smart Citys, Roboter, die sich wie Menschen verhalten, Serverfarmen, die mit Ökosystemen gekoppelt sind, selbstfahrende Autos, Überwachung der meisten Interaktionen zum Schutz und der Optimierung aller Abläufe – in Niklas Maaks Roman betreten wir eine Welt, an deren Schwelle wir längst stehen, die aber immer noch futuristisch anmutet, wenn man sie, mit all ihren innovativsten und fortschrittlichsten Zügen, vorgesetzt bekommt.

Vor allem, weil sich schnell die Frage stellt, wie sich das vereinbaren lässt: auf der einen Seite die immer mehr in Richtung Perfektion und Reibungslosigkeit verlaufende Evolution der Technik und auf der anderen Seite der Mensch, dieses ganz und gar nicht reibungslose Wesen (das „Reibung“ sogar benötigt, in vielerlei Hinsicht), das mit dieser Evolution kaum Schritt halten kann, ohne dessen Mitwirkung die Visionen der Technik aber nichts weiter sind als ausgeklügelte Mechanik, der die Funktion (und der Sinn) fehlt.

Wie weit ist das Menschsein heute schon über Interaktionen zwischen Mensch und Maschine definiert (oder bewegt sich zumindest auf neue Definitionen zu)? Können Natur und Technik verschmelzen, können Herkunft und Errungenschaften des Menschen zu einem gemeinsamen Lebensumfeld werden?

„Technophoria“ geht diesen Fragen auf den Grund und das extrem schnörkellos. Wer ein geruhsam aufgebautes Narrativ erwartet, der wird rasch eines Besseren belehrt: das Buch ist ebenso schnelllebig wie die Zeiten, von denen es erzählt. Damit ist keineswegs gemeint, dass Maak einen platten, uninspirierten Schreibstil pflegt – seine Sprache ist präzise und bringt doch immer wieder erstaunlich poetische Bilder hervor, durchaus mit feinen Nuancen. Es ist vielmehr so, dass das Buch einfach niemals wirklich innehält, sondern geradezu unaufhaltsam seine Episoden abspielt.

Fixpunkt und roter Faden in dieser Abfolge von Episoden rund um den Globus ist zumeist Turek (nebst einer Gruppe von weiteren Protagonist*innen, in deren Innenleben wir allerdings nur begrenzt, meist nur in einer einmaligen Sequenz, Einblick erhalten). Er arbeitet am Anfang für einen Smart-City-Pionier namens Driessen, der in Berlin gerade ein Viertel modernisiert, mit allem was dazugehört: von Lichtern, die nur angehen, wenn jemand in ihrer Nähe ist, bis zu selbstfahrenden Autos. Ein anderes Projekt, das immer wieder eine Rolle spielt und eine Art Rahmen für das Buch bildet, ist das Anlegen eines Grabens vom Mittelmeer zur Qattara-Senke in Ägypten, zur Senkung des Meeresspiegels und der Schaffung einer neuen wirtschaftlichen High-End-Region, ähnlich dem Silicon Valley.

Aber auch zu Gorillas in den Urwald, Roboterpionieren in Japan und zu Serverfarmen in der Wüste Montanas verschlägt es Turek. Überall ist er konfrontiert mit den Auswüchsen der Globalisierung und, unter der dünnen Schicht aus Technik, Wirtschaft und Politik, einer gleichbleibenden Menge an menschlichen Emotionen.

Denn das arbeitet Maak gut heraus, wenn er es auch selten direkt zum Thema macht: ganz gleich, wie weit die Technik schon ist und was die Menschen alles schon für sich entdeckt (oder wiederentdeckt) haben: noch immer sind da, die Begierden, die Irritationen, die guten alten Affären, die unerwiderte Liebe, die Geltungssucht, die Sehnsüchte generell. Turek glaubt an die formende und erneuernde Macht der Technik, die Erlösung der täglich aufs Neue verlorenen Menschheit durch ihre kühnsten Schöpfungen – und doch bringt der Mensch mit jeder neuen Schöpfung mehr zwischen sich und seine Ursprünge und vielleicht auch zwischen sich und andere Menschen.

Wie steht es um die Vereinbarkeit von Innovation, Ressourcenmanagement und Ökologie? Können wir eine Welt erschaffen, die wie für uns gemacht ist oder verlieren wir gerade diese Welt aus dem Blick? Welche Hoffnungen und Ängste verbinden wir mit Technologie? Maaks Roman ist ein kleines Panorama technischer Möglichkeiten und der damit verbundenen Hoffnungen und Abgründe. Zwar sind die Figuren nicht unbedingt Sympathieträger*innen und man baut keine wirkliche Beziehung zu ihnen auf, aber man erlebt als Leser*in eindringlich, wie sie mit ihrer Umwelt und deren technischer sowie animalischer Natur verbunden sind/interagieren – und das ist, auf Umwegen, dann doch ein Blick in den Spiegel.

„Je neuer die Dinge sind, hatte Driessen gesagt, desto mehr muss man den Leuten einreden, dass alles so wie immer ist.“

It ain’t work, ain’t no good literature


Omama

„Es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese Biographie als Hommage oder als Rufmord betrachtet.“

Über Humor lässt sich nicht streiten, sagt man bekanntlich. Das dergleichen schlicht (und weniger ergreifend) nicht wahr ist, beweist (u.a.) der Fall Lisa Eckhart. Denn um ihren Humor hat sich ein ganzer Streitfall zugetragen. Und selbst wenn man ihre Stand-Up-Auftritte und die damit verbundenen Kontroversen mal kurz hintenanstellt: ihr Debütroman „Omama“ liefert genug Stoff für weitere Kontroversen und, vor allem, weitere Fallbeispiele streitbaren Humors. Darüber haben viele Leute viel Kluges (und weniger Kluges) geschrieben. Das steht auf einem anderen Blatt (Blättern, Websiten, etc.)

Verlassen wir (für die Dauer dieser Rezension) das Politische, betreten wir das Literarische. Ich bin der Überzeugung, dass jedes Werk ganz unabhängig von der Person, die es geschrieben hat, betrachtet werden kann; diese Überzeugung stellt im Fall dieses Buches zunächst kein Problem dar, wenn es um die Person Lisa Eckhart (und ihre Ansichten) geht. Wenn man allerdings die Kunstfigur Lisa Eckhart hinzuzieht, puh, dann wird es schwierig.

Denn wer diese Kunstfigur einmal erlebt hat, auf der Bühne, per Youtube, wie auch immer, der wird deren Stimme, deren Gehabe kaum ausblenden können, während er dieses Buch liest. Fans dieser Figur werden damit möglicherweise nicht einmal Probleme haben – wer aber (ganz abgesehen vom Humor der Bühnenauftritte, den ich, wie gesagt, hier nicht thematisieren will, ohne zu sagen, dass er nicht thematisiert gehört) Schwierigkeiten mit dem Stil, dem Habitus dieser Figur hat, dem wird es womöglich nicht möglich sein, es ohne Zähneknirschen zu lesen.

Denn was bei einer Bühnenfigur vielleicht noch charmant ist – dass sie sich selbst gern reden hört, dass sie sich in ihre Extravaganzen verstrickt, dass sie kalauert und Gefallen daran findet über die Stränge zu schlagen, unzuverlässig zu sein, selbstverliebt ironisch, etc. – wirkt bei einer Erzählerin in einem Roman mitunter einfach nur konfus, ja, geht sogar so weit, dass man als Leser das Gefühl hat, die Autorin habe ihn aus den Augen verloren, während sie Worte hinklatscht und Sätze Loopings schlagen lässt. Es geht mir nicht darum, Lisa Eckhart eins auszuwischen, aber es muss gesagt werden: die Umsattlung von Kabarett auf Literatur ist in meinen Augen nicht geglückt, eher halbgar geraten.

Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie das Buch aufgebaut ist. Da wird die Geschichte einer Oma erzählt, auf eine Art, die wohl biographische Ernsthaftigkeit persiflieren soll. Tatsächlich erscheinen aber eher die essayistischen Passagen, die Eckhart immer wieder großzügig einwebt, wie Persiflagen, wie Satiren auf die geistreiche Abschweifung im Roman. Durchaus ein würdiges Objekt für eine Satire, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass Eckhart sich darin mitunter schon ganz geistreich vorkommt, gern als Küchenphilosophin auftritt, wenn auch eingehüllt in ein gutgeschnittenes Ironie-Kostüm.

Die Passagen der Erzählung von der Großmutter und diese Abschweifungen (die in Teilen manchmal sogar etwas Erhellendes haben, diesen Glanz aber fast immer durch Übersteigerung und Veralberung auf halben Weg verlieren) wechseln sich ständig ab, eine Verfahrensweise, die die Konsistenz des Buches auf Dauer zersetzt und einen roten Faden gar nicht aufkommen lässt. Ein irritierendes Chaos ist die Folge, dass das Lesen mitunter ziemlich anstrengend macht.

Jetzt könnte man zweierlei einwenden: Zum einen, dass dieses Chaos nun mal das Konzept des Buches ist und zum anderen, dass Eckhart halt sowohl eine Geschichte erzählen, als auch ihre Fangemeinde bedienen wollte. Das mag beides sein und gelten. In meinen Augen ist aber zum einen Chaos nur dann ein gutes literarisches Konzept, wenn es nicht nur irritiert, sondern innerhalb dieser Irritation auch ein Mehrwert entsteht, sich etwas offenbart. Zum anderen finde ich, dass das was auf einer Bühne in einem Comedy-Programm gemacht wird, nicht als Literatur funktionieren kann (wie viele Bühnenautor*innen hätten sonst schon längst ihre Programme in Sammelbänden rausgebracht). Es gibt vielleicht Ausnahmen, wie etwa Volker Pispers Radio-Kolumnen (aber die haben in gewissem Sinne schon ein literarisches Format), aber Acting/Performing und Telling sind nun mal zwei unterschiedliche Vermittlungsformen. Gerade Eckharts exentrischer Stil, der auf der Bühne erlesen wirkt, verliert auf Papier an Wucht und ist teilweise enervierend.

Statt dasselbe Publikum zu bedienen, nur diesmal mit einem Buch, hätte Lisa Eckhart in der Literatur etwas leicht (oder auch ganz) anderes machen können, viele Möglichkeiten standen ihr offen. Sie hätte die Idee der persiflierten Abschweifung ausbauen und ernster nehmen, einen neuen Tristram Shandy schreiben können. Sie hätte ein flottes Buch über ihre Oma schreiben können, in dem sie Ernst und Witz aneinanderlegt und nicht permanent auseinandertreibt.

Geworden ist es ein Hybrid aus biographischer Persiflage und Kabarettreden, der der Komik auch dann den Vorzug vor der Signifikanz gibt, wenn es komplett unnötig ist. Auf der Bühne ist das komisch, im Buch kann es auch funktionieren, aber es braucht dazu zumindest ein bisschen echtes Fleisch um all die klappernd-komischen Knochen. Das liefert Lisa Eckhart nicht und so bleibt „Omama“ eines unter vielen Unterhaltungsbüchern, das durch nichts besonders hervorsticht, außer durch den Namen auf dem Titelblatt.

(Ja, ich weiß, Kritiker*innen, die sich andere Bücher wünschen, als sie bekamen, sollten sich an die eigene Nase fassen: vielleicht sind sie viel eher vor dem Buch gescheitert als das Buch vor ihnen? Ich habe meine Argumente und sie reichen mir; wem sie nicht einleuchten, den kann ich nicht daran hindern, sie zu übersehen.)

Zu “Herkunft” von Saša Stanišić


Herkunft Saša Stanišić ist ein Autor, der sich, ähnlich wie bspw. Kazuo Ishiguro, viel Zeit für seine Romane lässt. Zwischen dem ersten Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“, der ihn zu einem Shootingstar der deutschen Literaturszene machte, und dem zweiten Roman „Vor dem Fest“ lagen acht Jahre, zwischen dem zweiten und dem dritten Roman „Herkunft“ dann immerhin auch noch fünf (wobei hier in der Zwischenzeit auch ein schmaler Band mit Erzählungen erschien).

Diese Langsamkeit hat etwas Sympathisches und lässt die Romane schon vor der Lektüre wie etwas Kostbares (und auch wie etwas sehr Gewissenhaftes) erscheinen. Möglicherweise ist es diesen Erwartungen und dem Sympathievorschuss geschuldet, dass ich mich mit „Herkunft“ ein bisschen schwergetan habe. Aber vielleicht zunächst zum Inhalt, auch wenn er wohl bereits jeder/m an dem Buch Interessierten durch Klappentext und andere Besprechungen bereits bekannt sein dürfte:

Der Roman liest sich wie eine fiktionalisierte und mit Ausschmückungen versehene Biographie des Autors, mit speziellem Fokus auf die Beziehung zu seiner Großmutter und den Jahren nach der Flucht aus dem ehem. Jugoslawien in der neuen „Heimat“ Deutschland. Die einzelnen Kapitel sind kurz und Stanišić bedient sich immer wieder unverhofft schöner Sprachkapriolen, statt einfach nur einen gelungenen Stil zu pflegen und springt viel in der Zeit hin und her, was manchmal einen etwas übereifrigen Eindruck macht.

So entsteht aus der Schilderung eines Lebens ein Gestrüpp/Geflecht von sich überlagernden Empfindungswelten, das zwar immer wieder beeindruckende Muster hervorbringt, aber auch genauso oft zu leichten Verhedderungen in der Wahrnehmung führt, zumindest bei mir war es so. Stanišić greift auf viele Register und Stilmittel zurück, sein Roman ist ein sehr agiles Konstrukt, aber manchmal wirkt es dabei nicht nur bravourös, sondern wie auf allzu flüchtigen Ideen erbaut.

Was dabei vor allem verloren geht, ist die Anschaulichkeit. In vielen Momenten hatte ich das Gefühl, das Stanišić einem wichtigen Detail viel Mühe angedeihen lässt, dabei aber über das Ziel hinausschießt, weil das Anschauliche eben eine Frage der Balance und nicht der Kompensation ist. Es mag vermessen wirken, dass ich über einen hochverdienten Autor solch eine Kritik verhänge, aber auch wenn ich viele meiner Eindrücke relativieren kann, dieser Eindruck bleibt doch bestehen.

Dabei ist Stanišićs Sprache keineswegs ohne Prägnanz. Vielmehr hat sie alles: Witz, Prägnanz, Ruhe, Dynamik, nur eben manchmal in für mich unpassenden Verhältnissen/Ausprägungen. So schwingt viel mit, aber wenig verdichtet sich zu einem Begriff, einem Verstehen, in das man sich begeben kann. Vielleicht ist die Erwartung, die aus dieser meiner Auseinandersetzung hervorscheint, auch einfach fehl am Platze. Vielleicht haben diese meine Erwartungen etwas mit der oben bereits genannten Aura der Sorgfalt zu tun, die (für mich) Stanišićs Romane umgibt. In jedem Fall ist „Herkunft“ ein wichtiges Buch, das mitunter auch blendend unterhält, aber einige Längen hat.

Zu Juli Zehs “Alles auf einen Rasen”


Alles auf einen Rasen Kompromisslos und scharf: Juli Zeh, vielen vor allem als Romanautorin bekannt, ist auch eine begnadete und streitlustige Essayistin. Dieser Band, ursprünglich veröffentlicht 2006 (knapp 10 Jahre später folgte dann der großartige Band „Nachts sind das Tiere“), hat zwar schon einige Jahre auf dem Buckel und wirkt an manchen Stellen ein bisschen entrückt, ist aber immer wieder erstaunlich gegenwartstauglich, legt den mahnenden Finger in so manche nach wie vor weit (oder sogar noch weiter) aufgetane, gesellschaftliche Wunde.

Diese Wunden und die daraus resultierenden Debatten ruft einem das Buch wieder ins Gedächtnis und zumindest ich habe währende der Lektüre mehr als einmal gedacht: stimmt, Moment, das wurde mal heiß diskutiert, aber irgendwie nie geklärt, ist dann einfach versandet und/oder wurde abgelöst vom nächsten Skandal, der nächsten breitgetretenen und letztlich meist totgetrampelten Thematik.

Wer geistig rege bleiben will, der wird sicherlich Freude daran haben, sich mit Zehs Gedankengänge auseinanderzusetzen, ganz gleich ob man ihr nun auf jeden Kriegspfad folgen mag oder nicht. Sie beweist in jedem Fall mal wieder, was sie zu einer so wichtigen Figur in der Literaturlandschaft macht: ihr unabhängiges und dennoch fundiertes Denken, das sich oft genug jenseits des Mainstreams postiert und dennoch mitten im Geschehen ist, viel Aktualität aufbietet.