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Auf jenen Höhen seid gewahr


Gang zu jenen Höhn

Wir verdanken ihm u.a. eine Geschichte der Kreuzzüge, eine Karl-May Biographie, einen Briefwechsel mit Arno Schmidt, einen Essay, der zum heutigen Kernprogramm von vielen Tierschützer*innen gehört und die Übersetzung von James Joyce Jahrhundertroman Ulysses, eigene Romane u.v.a. – Hans Wollschlägers literarisches Vermächtnis ist breit und vielseitig. Wohl auch deshalb gibt der Wallstein Verlag seit beinahe 20 Jahren eine Edition seiner Werke in Einzelausgaben heraus. Nun ist der Band „Der Gang zu jenen Höhn“ erschienen, mit dem Untertitel „Legenden zur Literatur“.

Legenden, da denkt man an Mythen, an Kuriositäten vielleicht, an Entrücktes, Strahlendes. Nun sind aber weniger diese sagenhaften Legenden gemeint, sondern jene, die als Zeichenerklärungen bei Landkarten oder Plänen beigefügt sind. Hier arbeitet ein Kenner der Literaturen für seine Leser- und Zuhörer*innen eine ganze Reihe von (An)Zeichen heraus, die ihnen die Navigation und Übersicht in den Werken einiger Autoren erleichtern können; mitunter so beflissen und gleichsam subtil, dass man fast die Stellen übersieht, an denen Wollschlägers Argumentation/Darstellung einen entscheidenden Ausfallschritt macht, eine Wendung vollzieht, zu einem wichtigen Punkt vorstößt.

Allein fünf Texte des Bandes drehen sich um die Werke von Friedrich Rückert, an dessen historisch-kritischer Ausgabe Wollschläger mitgearbeitet hat – besonders berührend und aufschlussreich ist seine Analyse des Gedichtes Chidher, ein Text, für den er mich voll und ganz gewinnen konnte, allein durch seine Betrachtungen. Aber auch andere Texte und Themen des Bandes sind ein großes Vergnügen, bspw. ein Beitrag mit dem Titel „Vom Wahnsinn des Unterfanges“, in dem es um eine Auswahl aus der „Fackel“ von Karl Kraus geht.

Die meiste Literatur erschließt sich, zumindest auf einer Ebene, vor den Augen aller geduldigen, aufmerksamen Leser*innen. Aber es zeigt sich immer wieder, dass es Menschen gibt, die eine schier endlose Anzahl an Schlüsseln zu noch mehr Ebenen und/oder auch zu den komplexesten Werken der Literatur besitzen. Wollschläger war so ein Schlüsselträger, einer, der bei den verschiedenen Ebenen großer Werke ein- und ausgehen konnte, wie es ihm beliebte. Und zu unserem großen Glück nahm er gerne Leute mit auf den Gang zu jenen Höhn.

Hafis, großer Dichter persischer Zunge


Hafis-Kanani- Seinen bis heute bekannten, klingenden Namen verdankt der persische Dichter, der eigentlich Mohammed Schemseddin hieß, einer Fertigkeit, die er sich schon in jungen Jahren aneignete: er konnte alle 114 Suren des Korans auswendig, da war er gerade einmal acht Jahre alt. Dies brachte ihm den Ehrentitel Hafis ein, durchaus ein geläufiger Ehrentitel, auch heute noch, der aber bei ihm als Poetenname über sein Zeitalter hinaus erstrahlen durfte.

Geboren wurde Hafis Anfang des 14. Jahrhunderts, in den stürmischen Zeiten der letzten Mongoleninvasionen und zahlreicher weitere Konflikte und Rivalitäten auf dem Gebiet Persiens. Seine Heimatstadt Schiras, die er, abgesehen von ein paar unbedeutenden Reisen, nie verließ, lag im südlichen Teil des heutigen Iran und war immer wieder von türkischen, afghanischen und mongolischen Überfällen bedroht.

Dennoch war Hafis ein vergleichsweise langes Leben beschieden, in dem eine große Zahl von Gedichten (vor allem Ghaselen) entstand, die bis heute als unübertroffen in ihrer Formvollendung gelten; viele sind Teil des Allgemeingedächtnisses aller Persisch/Fārsi/فارسی sprechenden Menschen geworden.

Auch in Deutschland hat Hafis viele Bewunderer gehabt, einer der bekanntesten ist Johann Wolfgang von Goethe, der mit West-Östlicher Divan ein ganzes Werk schrieb, das von den Dichtungen des Hafis inspiriert ist; auch Friedrich Rückert hat sich zeitlebens mit dem persischen Dichter beschäftigt und einige der besten Übersetzungen zu seinem Werk angefertigt.

In seiner Studie arbeitet Nasser Kanani sehr gewissenhaft die Rezeptionsgeschichte von Hafis in der deutschsprachigen (vorrangig, aber auch internationalen) Literatur und Geschichtsschreibung heraus. Beginnen tut das Buch allerdings mit einem Kapitel, in dem es vor allem um die Geburtsstadt Schiras und ihre Rezeption (die allerdings von der Hafis-Rezeption schwer zu trennen ist) in der deutschsprachigen Literatur geht und warum sie in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Kernstück von Hafis Dichtungen ist.

Kapitel 2 und 3 beschäftigen sich dann mit Hafis Lebensgeschichte und seinen philosophischen Überzeugungen, immer auch im Spiegel seiner Werke, wozu Kanani umfangreich aus den Übersetzungen zitiert (die Originale sind auch abgebildet). Dadurch gelingt ein breit gefächertes, teilweise auch erschöpfendes Bild des widersprüchlichen und doch mit sich im Einklang liegenden Menschen, der Hafis gewesen ist.

Die letzten Kapitel 4 und 5 sind dann Hafis Dichtungen, genauer der Liebeslyrik und dem Divan, vorbehalten. Kanani präsentiert Deutungen und Rezeptionsansätze und zitiert wiederum umfangreich aus dem Werk. Auch wenn das ganze Buch eine spannende Aufbereitung ist, sind diese beiden Kapitel seine Meisterstücke.

Für wen Hafis bisher nur ein Name ist, der sollte sich diese umfangreiche Studie zulegen – sie ist ein guter Einstieg, bieter aber dennoch Tiefe und breite Auseinandersetzung. Kananis Leidenschaft und Begeisterung für Hafis sind nicht nur ansteckend, sie werden im Zuge seiner Ausführungen auch nachvollziehbar. Ob Hafis wirklich der größte Lyriker persischer Zunge war, das ist ungewiss. Gewiss aber ist: er war ein wunderbarer Poet, mit einem trefflichen Überschwang, der seinesgleichen sucht.