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Zu der Anthologie “Grand Tour”


Grand Tour

Grand Tour, das ist ein etwas altbackener Titel für eine doch sehr beachtliche Anthologie, die uns mitnimmt auf eine Reise (oder sieben Reisen, denn als solche werden die Kapitel bezeichnet) in 49 europäische Länder und eine Vielzahl Mentalitäten, Sprachen, Stimmen und Lebenswelten, ins Deutsche übertragen von einer Gruppe engagierter Übersetzer*innen (und das Original ist immer neben den Übersetzungen abgedruckt).

Laut dem Verlagstext knüpft die von Jan Wagner und Federico Italiano betreute Sammlung an Projekte wie das „Museum der modernen Poesie“ von Enzensberger und Joachim Sartorius „Atlas der neuen Poesie“ an – vom Museumsstaub über die Reiseplanung zur Grand Tour, sozusagen.

Dezidiert wird die Anthologie im Untertitel als Reise durch die „junge Lyrik Europas“ bezeichnet. Nun ist das Adjektiv „jung“, gerade im Literaturbetrieb, keine klare Zuschreibung und die Bandbreite der als Jungautor*innen bezeichneten Personen erstreckt sich, meiner Erfahrung nach, von Teenagern bis zu Leuten Anfang Vierzig.

Mit jung ist wohl auch eher nicht das Alter der Autor*innen gemeint (es gibt, glaube ich, kein Geburtsdatum nach 1986, die meisten Autor*innen sind in den 70er geboren), sondern der (jüngste erschlossene) Zeitraum (allerdings ist die abgedruckte Lyrik, ganz unabhängig vom Geburtsdatum der Autor*innen, nicht selten erst „jüngst“ entstanden).

Wir haben es also größtenteils mit einer Schau bereits etablierter Poet*innen zu tun, die allerdings wohl zu großen Teilen über ihre Sprach- und Ländergrenzen hinaus noch relativ unbekannt sind. Trotzdem: hier wird ein Zeitalter besichtigt und nicht nach den neusten Strömungen und jüngsten Publikationen und Talenten gesucht, was selbstverständlich kein Makel ist, den ich der Anthologie groß ankreiden will, aber potenzielle Leser*innen sollten sich dessen bewusst sein.

Kaum überraschen wird, dass es einen gewissen Gap zwischen der Anzahl der Gedichte, die pro Land abgedruckt sind, gibt. Manche Länder (bspw. Armenien, Zypern) sind nur mit ein oder zwei Dichter*innen vertreten, bei anderen (bspw. England, Spanien, Deutschland) wird eine ganze Riege von Autor*innen aufgefahren. Auch dies will ich nicht über die Maßen kritisieren, schließlich sollte man vor jedem Tadel die Leistung bedenken, und würde mir denn ein/e armenische/r Lyriker/in einfallen, die/der fehlt? Immerhin sind diese Länder (und auch Sprachen wie das Rätoromanische) enthalten.

Es wird eine ungeheure Arbeit gewesen sein, diese Dichter*innen zu versammeln und diese Leistung will ich, wie gesagt, nicht schmälern. Aber bei der Auswahl für Österreich habe ich doch einige Namen schmerzlich vermisst (gerade, wenn man bedenkt, dass es in Österreich eine vielseitige Lyrik-Szene gibt, mit vielen Literaturzeitschriften, Verlagen, etc. und erst jüngst ist im Limbus Verlag eine von Robert Prosser und Christoph Szalay betreute, gute Anthologie zur jungen österreichischen Gegenwartslyrik erschienen: „wo warn wir? ach ja“) und auch bei Deutschland fehlen, wie ich finde, wichtige Stimmen, obwohl hier natürlich die wichtigsten schon enthalten sind. Soweit die Länder, zu denen ich mich etwas zu sagen traue.

Natürlich kann man einwenden: Anthologien sind immer zugleich repräsentativ und nicht repräsentativ, denn sie sind immer begrenzt, irgendwer ist immer nicht drin, irgendwas wird übersehen oder passt nicht rein; eine Auswahl ist nun mal eine Auswahl. Da ist es schon schön und erfreulich, dass die Anthologie zumindest in Sachen Geschlechtergerechtigkeit punktet: der Anteil an Frauen und Männern dürfte etwa 50/50 sein, mit leichtem Männerüberhang in einigen Ländern, mit Frauenüberhang in anderen.

„Grand Tour“ wirft wie jede große Anthologie viele Fragen nach Auswahl, Bedeutung und Klassifizierung auf. Doch sie vermag es, in vielerlei Hinsicht, auch, zu begeistern. Denn ihr gelingt tatsächlich ein lebendiges Portrait der verschiedenen Wirklichkeiten, die nebeneinander in Europa existieren, nebst der poetischen Positionen und Sujets, die damit einhergehen. Während auf dem Balkan noch einige Texte um die Bürgerkriege, die Staatsgründungen und allgemein die postsowjetische Realitäten kreisen, sind in Skandinavien spielerische Ansätze auf dem Vormarsch, derweil in Spanien eine Art Raum zwischen Tradition und Innovation entsteht, usw. usf.

Wer sich poetisch mit den Mentalitäten Europas auseinandersetzen will, mit den gesellschaftlichen und politischen Themen, den aktuellen und den zeitlosen, dem kann man trotz aller Vorbehalte „Grand Tour“ empfehlen. Wer diesen Sommer nicht weit reisen konnte, der kann es mit diesem Buch noch weit bringen.

 

Zur Kurzprosa in “Humbug und Variationen” von Ion Luca Caragiale


Humbug und Variation Ich werde leider nie beurteilen können, wie genau und adäquat die Übersetzerin Eva Ruth Wemme diese Texte aus dem Rumänischen übersetzt hat, aber ich möchte ihr in jedem Fall danken für die artistischen und sprachlich immer wieder überraschenden und findigen Übertragungen, die sie von Ion Luca Caragiales mehr als fünfzig Erzählungen für diesen Band angefertigt hat.

Caragiale scheint ein sehr aufmerksamer Beobachter gewesen zu sein, einer der die Feinheiten des Umgangs und des Selbstverständnisses bei seinen Mitmenschen wahrnahm; in jedem Fall einer, der das, was er täglich antraf, virtuos und überspitzt in Form von Charakteren und Geschichten zu verdichten verstand. In einigen der hier versammelten Erzählungen ließe er sich mit Größen wie Anton Ĉechov vergleichen; gerade die frühen, ebenfalls sehr ironischen oder sarkastischen, anekdotischen Kurzgeschichten von Ĉechov kommen einem während der Lektüre dieser Texte von Caragiale immer wieder in den Sinn. Aber das mag auch eine zu schnell angebahnte Verwandtschaft sein und eigentlich stehen Caragiales Texte in ihrer heftigen Bekümmertheit und ihrem fein bis grob knackenden Witz sehr für sich.

Humbug (ein schönes Wort, das man viel zu selten hört und zu dem es hoffentlich im Rumänischen ein schönes Pendant gibt) bezeichnet sehr gut den feinen Funken Irrsinn, der in all diesen Beobachtungen, Anekdoten, Skizzen und Geschichten aus dem Rumänien um 1900 in Erscheinung tritt oder unter den Oberflächen zischt; eine Funke allermenschlichsten Irrsinns wohlgemerkt, der aber immer wieder durch das Nebulöse, Verlogene und Durchtriebene angeregt wird.

Der deutsche Titel “Humbug und Varaiton” hat etwas mehr Color als das schlichtere rumänische „Momente și schițe” (Momente und Skizzen). Gemeinsam stecken sie gut die Stimmung ab, die diese Texte transportieren: das Lebendig, Dynamische, Absurde und Verwegene daran, aber auch das Geerdete und Präzise.

Letztlich finden sich hier vor allem gelungene Satiren, schnalzende Possen und Alltagsparodien, überbordendes Fabulieren erster Güte, voller Humbug, voller Zynismus und Komik.

Kleine Rezension für Jan Cornelius und sein “Narrenstück”


“-Ich bin gerade dabei, meine Vergangenheit aufzuarbeiten-.
-Was? Schreibst du jetzt etwas deine Memoiren?-, erschrak er.
-Nein, sagte ich, ich bin ja weder Boxer noch Kanzler geworden. Ich möchte nur ein bisschen erzählen. Ein paar kleine Dinge. Mal dies, mal jenes, darüber wie es mal war oder nicht war, und wie es heute ist oder nicht mehr ist oder eines Tages noch werden könnte. Oder so ähnlich. Und als erstes möchte ich jetzt mal aufschreiben, wie das lief als ich nach Deutschland kam, und wir zum ersten Mal miteinander telefonierten-.”

Als Jan Cornelius 1977, unter dem Vorwand einer Frankreichreise, aus dem kommunistischen Rumänien nach Düsseldorf kam, gab er sein letztes Geld für ein Telefongespräch mit dem deutschen Schriftsteller und Übersetzer Günter Ohnemus aus, der einen großen Teil der Romane und Gedichte des amerikanischen Ausnahmeautors Richard Brautigan ins Deutsche übertragen hatte. Und da Cornelius im abgeschotteten Rumänien begeistert das Buch Sombrero vom Himmel. Ein japanischer Roman gelesen hatte, wollte er ihn unbedingt sprechen.

Diese halb kuriose, halb berührende Anekdote kann sehr gut als der Angelpunkt in einem sehr frei gestalteten Buch gesehen werden; ein Buch, welches keineswegs (wie es Cornelius ja auch in einem Gespräch mit Ohnemus, 35 Jahre später, – siehe Zitat oben – anmerkte) Memoiren enthält. Memoiren sind etwas von vorne nach hinten Durchgeschriebenes, etwas Ganzes. Dabei geht es um Essenz, darum eine festgefügte Dimension des eigenen Lebens zu erschaffen.

Jan Cornelius dagegen hat mit seinem kleinen Buch in 51 Kapiteln eher so etwas wie eine Landkarte des Lebens geschrieben, in der er von Text zu Text, Erinnerungen und Geschichten mit den Schritten eines salopp-heitren Beobachters durchschreitet, der Teil hat an den wunderlichen Ereignissen des Lebens. Seine Exkurse über Begegnungen mit Freuden damals und heute, über Familie, rumänisch-ceauşescuse Vergangenheiten, Literatur & Popmusik sind meist aus natürlicher Kürze und vorder- wie hintergründigem Humor errichtet, sehr unterhaltsam und im Wesentlichen an dem “mal dies, mal jenes”-Anspruch orientiert. Was nicht heißt, das man nicht hier und da etwas über Rumänien oder nicht einiges über Jan Cornelius erfährt; aber, um noch einmal auf den Vergleich zurückzukommen: Landkarten sind eben, wie wir alle wissen, eine komprimierte Form der Dimensionalität, bergen aber wiederum auf ihre eigene Art eine große Faszination, eine simple und doch magische Freude.

Auf Cornelius Landkarte gibt es vor allem drei Länder: Literatur, Pointen und Rumänien. Das erste ist seine Leidenschaft, sowohl im Lesen als auch im Schreiben (wozu natürlich auch ein Repertoire an Anspielungen und Erwähnungen gehört), das zweite gehört zu seinem Wesen und Schreibstil und das letzte ist die seltsame Fügung, die sein Leben bestimmt hat und dies gleichzeitig nicht mehr und immer noch tut.
Wenn man sagt, dass einen etwas geprägt hat, meint man dies meist eher schlecht – doch Cornelius geht mit seiner Prägung und den Erlebnissen im Brachialsozialismus eher schwejkisch um, mit einem satirischen Blick, der es dem Leser ermöglicht die Realität dahinter kennen zu lernen und trotzdem nicht nur ein Geschichtsbuch, sondern Unterhaltung zu lesen – auf diese Weise bleibt von beidem erstaunlich viel zurück, von den Informationen und vom Humor.

Wer eine unterhaltsame und doch durchaus informative und beschauliche Lektüre genießen möchte, kann mit diesen Buch wenig verkehrt machen. Seine Kraft liegt in Humor und Leichtigkeit, welches als flüssiges Beiwerk zu Geschichten aus Cornelius Leben gemischt wird. Eine Kostprobe dieses Humors?:

“Die Rolling Stones gibt es nun schon seit über 50 Jahren: Chapeau. Aber wozu sich in falscher Bescheidenheit üben: Mich gibt es sogar noch länger.”

Link zum Buch: http://www.amazon.de/Narrenst%C3%BCck-oder-Wundern-Dolmetschers-Betrachten/dp/3895023485/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1379069439&sr=1-1&keywords=narrenst%C3%BCck

*diese Rezension ist schon teilweise auf Amazon.de erschienen