Tag Archives: Satire
Zu “How to … travel” von Thorsten Krämer
“Vergessen Sie nie: Reisen sind ein Privileg! Daher reisen Sie nie nur für sich selbst, sondern auch für die Daheimgebliebenen. Schon immer haben Reisende Wege gefunden, andere an ihren Erlebnissen teilhaben zu lassen. Cäsar schrieb ein dickes Buch über seinen Aufenthalt in Germanien, später kamen die berühmt-berüchtigten Dia-Abende im Familienkreis dazu.”
Reisen, das ist Utopie, Luxus, Stress und langes Schauen aus dem Fenster. Im Reisen beginnt eine besondere Freiheit – aber was wäre heutzutage irgendeine irdische Freiheit ohne die dazugehörige Anleitung! Doch statt eines dicken Reiseführers, der auch noch das letzte bisschen Erkundungsdrang in ein rudimentäres Abklappern und jede Stadt in ein Museum verwandelt, könnte Sie dieses Büchlein von Thorsten Krämer begleiten.
Es hat zwei große Vorteile: erstens ist es schmaler, leichter und wohl auch ein bisschen billiger und zweitens ist auf seiner Rückseite eine weiße Fläche, auf die Sie mit Filzstift die Worte „Keine Panik“ schreiben können.
Darüber hinaus enthält es, alphabetisch sortiert, Tipps für alle Abschnitte Ihrer Reise, von der Vorbereitung über den Aufenthalt bis zur Rückkehr, humoristisch aufgemacht, aber ohne all die kleinen Wahrheiten des Verreisens aus den Augen zu verlieren. Als reisender Person wird einem, trotz aller Kurzweil, häufig der Spiegel vorgehalten (wenn auch kein Riegel vorgeschoben), von B wie Blumengießen, über N wie noverbale Kommunikation (“Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man fuchteln”) bis zu S wie Soundtracks – wenn sie zu einem Stichwort nichts finden, dann ist hinten Raum für eigene Notizen.
Also: ziehen Sie dieses Buch bei der Planung Ihrer nächsten Reise in Erwägung! Wenn Sie einen Posten im Budget brauchen, den Sie für diese Anschaffung streichen können, wäre mein Vorschlag, die Reiserücktrittsversicherung wegzulassen. Wie schreibt Thorsten Krämer so schön:
“Man braucht sie nicht. Außer man braucht sie. Aber dann hat man keine.”
Zur Kurzprosa in “Humbug und Variationen” von Ion Luca Caragiale
Ich werde leider nie beurteilen können, wie genau und adäquat die Übersetzerin Eva Ruth Wemme diese Texte aus dem Rumänischen übersetzt hat, aber ich möchte ihr in jedem Fall danken für die artistischen und sprachlich immer wieder überraschenden und findigen Übertragungen, die sie von Ion Luca Caragiales mehr als fünfzig Erzählungen für diesen Band angefertigt hat.
Caragiale scheint ein sehr aufmerksamer Beobachter gewesen zu sein, einer der die Feinheiten des Umgangs und des Selbstverständnisses bei seinen Mitmenschen wahrnahm; in jedem Fall einer, der das, was er täglich antraf, virtuos und überspitzt in Form von Charakteren und Geschichten zu verdichten verstand. In einigen der hier versammelten Erzählungen ließe er sich mit Größen wie Anton Ĉechov vergleichen; gerade die frühen, ebenfalls sehr ironischen oder sarkastischen, anekdotischen Kurzgeschichten von Ĉechov kommen einem während der Lektüre dieser Texte von Caragiale immer wieder in den Sinn. Aber das mag auch eine zu schnell angebahnte Verwandtschaft sein und eigentlich stehen Caragiales Texte in ihrer heftigen Bekümmertheit und ihrem fein bis grob knackenden Witz sehr für sich.
Humbug (ein schönes Wort, das man viel zu selten hört und zu dem es hoffentlich im Rumänischen ein schönes Pendant gibt) bezeichnet sehr gut den feinen Funken Irrsinn, der in all diesen Beobachtungen, Anekdoten, Skizzen und Geschichten aus dem Rumänien um 1900 in Erscheinung tritt oder unter den Oberflächen zischt; eine Funke allermenschlichsten Irrsinns wohlgemerkt, der aber immer wieder durch das Nebulöse, Verlogene und Durchtriebene angeregt wird.
Der deutsche Titel “Humbug und Varaiton” hat etwas mehr Color als das schlichtere rumänische „Momente și schițe” (Momente und Skizzen). Gemeinsam stecken sie gut die Stimmung ab, die diese Texte transportieren: das Lebendig, Dynamische, Absurde und Verwegene daran, aber auch das Geerdete und Präzise.
Letztlich finden sich hier vor allem gelungene Satiren, schnalzende Possen und Alltagsparodien, überbordendes Fabulieren erster Güte, voller Humbug, voller Zynismus und Komik.
Zu Marc-Uwe Kling und seinem Roman “Qualityland”
Stanislaw Lem wird der Satz zugeschrieben: “Ein Zukunftsroman hat entweder absolut nichts mit den bestehenden Verhältnissen zu tun oder er kritisiert sie.” Wilhelm Busch, der unverbesserliche Spaßmacher, schrieb einmal: “Was man ernst meint, sagt man am besten im Scherz.” Diese beiden Sätze fielen mir immer wieder ein, während ich “Qualityland” las. Erster aus simplen, zweiter aus komplexeren Gründen, die weiter unten noch einmal aufgegriffen werden.
Ich habe, nach der erheiternden und teilweise inspirierenden Lektüre von Marc-Uwe Klings neustem Wurf, noch lange über diesen Roman nachgedacht. Irgendwie war ich trotz aller Freude, die ich beim Lesen empfunden hatte (hervorgerufen durch Gags, geniale Einfälle, wunderbare Spitzen und die hier und da eingestreuten Zitate und Verweise auf Popkultur, Geschichte und Wissenschaft, oft mit skurrilem Einschlag), nicht ganz sicher, wie ich das Buch verorten sollte. Sprachlich eher einfach und straight (wenn auch immer wieder mit gekonnten Stilwechseln und einer generellen Sicherheit im Ton, in der Darstellung), die Figurenzeichnung wunderbar komisch, aber nicht gerade tiefgründig und vielschichtig. Es wäre wohl auch unsinnig, solche Maßstäbe an ein Buch anzulegen, das seinen Fokus auf Themen und nicht auf Figuren legt.
Peter muss sich nicht die Mühe machen, relevante Informationen zu finden. Die relevanten Informationen machen sich die Mühe, Peter zu finden.
“Qualityland” ist eine Zukunftsvision, doch ich zögere, es einen Sci-Fi Roman zu nennen, weil die darin beschrieben technischen Errungenschaften mit algorhytmischen Tendenzen im Prinzip nur die ausgewachsenen, (noch) totalsierteren Versionen der Einrichtungen und Systeme von heute darstellen. Natürlich hat Marc-Uwe Kling auch einige schöne Erfindungen erdacht – aber im Prinzip basiert die von ihm erschaffene Welt auf dem Weiterdenken und Zuspitzen derzeitiger Erscheinungen und Entwicklungen; knapp an der Übertreibung vorbei, aber eigentlich sehr realistisch, geradezu gegenwärtig, zeitgeistig; deswegen mein Zögern, „Qualityland“ einen Sci-Fi-Roman zu nennen. Aber auch Bezeichnungen wie „beissende Satire“ würden zu kurz greifen.
Wie einst George Orwell oder Aldous Huxley, gibt Kling seiner Welt zunächst den Anstrich einer utopischen Ausrichtung (wenn das Buch auch in zwei Versionen erhältlich ist, von denen eine mit utopischen Intermezzos, die andere mit dystopisch-zynisch-satirischen Intermezzos versehen ist; am Ende des Buches befinden sich ein QR-Code und ein Link, mit dem man sich die Inhalte des jeweils anderen Buches ansehen kann, sodass ein doppelter Kauf nicht nötig ist). In dieser Utopie ist personalisierte Digitalisierung in ihre Vervollkommnung eingetreten: jede/r findet den/die richtige/n Partner*in, die richtigen Freund*innen, bekommt die richtigen Gebrauchsgegenstände geliefert, ihm/ihr wird die passende Werbung angezeigt und es gibt eigentlich nichts, was der Mensch noch selbst machen muss, außer sich seiner Prägung entsprechend zu verhalten oder hier und da eine Aufstiegschance zu nutzen oder den potentiellen Abstieg zu verhindern, der ihn zur Nutzlosigkeit verdammen würde.
Für diese durch-personalisierte Welt, die trotzdem von monopolistischen und totalitären Firmen und Dienstleistern quasi kontrolliert wird und in der es endgültig zu einer klar hervortretenden Klassengesellschaft gekommen ist, hat der Autor viele schöne Beispiele arrangiert, angefangen bei den Nachnahmen der Menschen, die den Berufen ihrer Eltern entsprechen, über einen Date-/Liebesdienst, der die Profile seiner Kund*innen einfach zusammenbringt & die angesprochenen Intermezzi, die meist aus absurd anmutenden Produktwerbungen und Nachrichtenmeldungen bestehen, bis hin zu vielen personalisierten Produkten:
In der Schule, sagt Peter, hatte ich mal eine Freundin, in deren Version von Game of Thrones keine einzige Figur gestorben ist. Die haben immer nur eine Sinnkrise bekommen und sind ausgewandert, oder so.
Diese ganze Charade wirkt immer wieder aberwitzig, ist aber bei genauer Betrachtung selten weit von der Wirklichkeit entfernt, sodass es einen schon ein bisschen gruseln könnte, würde man es nicht gerade so witzig finden, was dem Protagonisten von seiner Umwelt alles zugemutet wird. Allerdings sollte man sich dann auch mal fragen, was einem selbst so alles zugemutet wird – und noch zugemutet werden könnte. Denn Peter Arbeitsloser ist eben nicht nur die Fortsetzung des Kleinkünstlers mit anderen Mitteln – er ist auch der Nachfahre einer Gesellschaft, die sich vom System übervorteilen ließ.
“Ich hab es einfach satt, dass immer keiner verantwortlich ist. Immer ist das System schuld. Aber es gibt eben doch auch Leute, die dafür verantwortlich sind, dass das System ist, wie es ist!”
Die Herren der Welt, wie Noam Chomsky sie nannte. Bei Marc-Uwe Kling treten sie als Witzfiguren auf, als selbstzufriedene und blöde Fatzkes (wie schon im Känguru, an der Stelle hat sich nix verändert), die entweder nicht den Intellekt haben, die Situation zu durchschauen oder nicht die moralische Integrität, sie zu ändern (manchmal erstaunlicherweise auch beides). Dass es vor allem der Stumpfsinn ist, der in den Köpfen dieser Herr*innen der Welt regiert, der blinde und unreflektierte Systemglaube, ist gleichsam entlarvend, aber hier und da wirkt dieses brachial-plumpe Pochen auf dieser Dummheit auch etwas vereinfacht. Natürlich: wer sich umsieht, wird merken, dass wir in einer teilweise ziemlich pervertierten Welt leben und viele Schriftsteller*innen haben den Fehler gemacht, ihren Charakteren nicht das übliche Maß an Dummheit zuzumuten, das nun mal durchaus in der Welt draußen floriert. Trotzdem: manches, was haarsträubend genug ist, wird so allzu sehr zur Karikatur, hinter der die beunruhigenden Facetten der Machtpositionen nicht mehr ganz hervorlugen.
Wirklich beeindruckend an „Qualityland“ ist, wie Kling darin immer wieder Dialoge entspinnt, in denen ganz klar die Problematik und nicht nur die Komik des derzeitigen Systems und seiner Entwicklung hervorgehoben wird. Und nicht nur das: es werden konkrete philosophische und soziologische Dilemmata aufgeworfen und diskutiert, mit einer Leichtigkeit und Unwillkürlichkeit, die etwas leicht Gestelltes, aber auch etwas Geniales, Treffliches haben – vor allem wenn das Gespräch zwischen einem selbstfahrenden Auto und Peter Arbeitsloser stattfindet:
“Weißt du, was der entscheidende Unterschied zwischen euch und uns ist?”
“Was denn?”
“Wenn ein selbstfahrendes Auto einen Fehler macht, lernen alle anderen Autos durch diesen Fehler und machen ihn nicht wieder. Unterschiedliche Menschen machen immer wieder den gleichen Fehler. Ihr lernt nicht voneinander.”
“Ich verrate dir mal was”, sagt Peter. “Oft macht sogar derselbe Mensch den gleichen Fehler noch mal.”
Diese Zusammenführung von komischer und kritischer Perspektive, von Witz und Nachdenklichkeit, von Lachen und Entsetzen manchmal, ist der bewundernswerteste Zug dieses Buches. Und ebenso erstaunlich ist, dass ich mir immer wieder gewünscht habe, dass es an der einen Stelle mehr ins Kritische, an der anderen mehr ins Komische, Anspielungsreiche geht und am Ende doch sagen muss: die Mischung macht’s. Nicht nur im Hinblick auf die Unterhaltung, sondern auch im Hinblick auf das Kritische. Vielleicht hatte Wilhelm Busch Recht.
Wer in letzter Zeit wie ich Bücher wie „Was auf dem Spiel steht“ von Philipp Blom oder Noam Chomskys „Requiem auf den amerikanischen Traum“ gelesen hat, wird zweifellos ähnlich zweischneidig auf dieses Buch blicken, wo andere die entlarvende Komik einfach als eigenständige Erscheinung feiern werden – was ja auch wunderbar und vollkommen okay ist. Ich selbst komme, wie schon angedeutet, nicht umhin, eher die inspirierenden, kritischen Ansätze zu bemerken und mich zu fragen: wie ernst werden die Leute nehmen, was Kling hier präsentiert? Werden sie in der Komik das Entlarvende sehen oder doch eher das Überzeichnete? Werden sie in Passagen wie der folgenden (in denen der hyperintelligente Androide und Präsidentschaftskandidat John gerade von einer Wahlkampfveranstaltung fliehen musste) die Pointe genießen oder erkennen, dass sie die darin formulierte Problematik direkt und unausweichlich betrifft?
“Ich muss zugeben, es ist schwieriger als ich berechnet hatte”, sagt John.
“Was genau?”, fragt Aisha.
“Eine Antwort auf Betrand Russells Frage zu finden.”
“Wer?”, fragt Tony.
“Ein toter englischer Philosoph”, sagt Aisha. “Er hat gesagt: Die Frage heute ist, wie man die Menschheit überreden kann, in ihr eigenes Überleben einzuwilligen.”
Fantastische Fabeln von Ambrose Bierce
Ambrose Bierce gehört allgemein zu den Autoren, die man schwerlich einordnen kann. In der amerikanischen Literatur ist er eine Art halber Klassiker, fällt aber hinter solche Größen wie Poe, Melville oder Mark Twain zurück. Seine journalistische Tätigkeit und seine hauptsächlich in Zeitungen veröffentlichten Geschichten lassen sein Werk eher unübersichtlich, teilweise auch etwas beliebig wirken. Immerhin: sein “Aus dem Wörterbuch des Teufels” ist immerhin als eine Art Bibel des Zynismus weithin bekannt.
Ich war eher zwiegespalten, als ich den Diogenes Band der “Meistererzählungen” von Ambrose Bierce las. Dieser Mann, der von sich behauptete “Mein Ruf als unbekannter Autor ist weltweit” machte keinen großen Eindruck auf mich. Doch ganz hinten im Buch, fast am Ende, stieß ich auf einige sehr kurze Prosatexte, betitelt mit “Fantastische Fabeln”. Beinahe sofort war ich begeistert von diesen anekdotischen, mit Witz und Biss angefüllten Bonmonts. Ein wenig fühlte ich mich an das geniale Buch von Augusto Monterroso, “Das gesamte Werk und andere Fabeln” erinnerte, aber das hier war noch fieser, gleichzeitig aber in Teilen ungeheuer geistvoll, dann wieder geradezu brachialpointiert.
Ich machte mich also auf die Suche nach einer separaten Sammlung der fantastischen Fabeln und fand dieses Buch. Da es pro Seite immer 2-3 Texte enthält, sind es insgesamt ca. 250-300 im ganze Buch. Überwiegen tun die politischen Gleichnisse, in denen es viel um spielerische Aufdeckung von Heucheleien, menschlichen Schwächen und menschlicher Dummheit geht, aber auch Parabelartiges und Weises ist zu finden.
-Der Präsident einer großen Aktiengesellschaft betrat ein Textilwarengeschäft und erblickte ein Plakat mit folgender Aufschrift: “Wenn sie das, was sie wünschen, nicht finden können, fragen sie danach.”
Er trat an den Ladenbesitzer heran, der ihn genau beobachtet hatte, während er das Plakat las, und als er zum Sprechen ansetzte, rief der Ladenbesitzer einem Verkäufer zu: “John, zeig diesem Gentleman die Erde.”-
Natürlich sind auch viele “Klassiker” des Witzes und der Posse bei Bierce vertreten:
-Zwei Frauen im Himmel erhoben Anspruch auf einen neu eingetroffenen Mann.
“Ich war seine Frau”, sagt die eine.
“Ich seine Liebste”, sagt die andere.
Der Heilige Petrus sagte zum Mann: “Geht hinunter zu dem Anderen Ort – du hast schon genug gelitten.”-
Im Ganzen ergibt ein Summa Summarum des Buches auch eine größere Menge an überflüssigen oder sehr geläufigen Geschichtchen, dennoch machen sie einem Freude, und es ist ein großer Spaß immer mal wieder einen besonders guten, satirischen Text zu finden:
-Ein Parteimanager sagte zu einem Gentleman, der sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte:
“Wie viel würden Sie für eine Nominierung bezahlen?”
“Nichts”, erwiderte der Gentleman.
“Aber sie würden doch etwas zum Wahlkampffonds beitragen, um Ihre Wahl zu unterstützen?”, fragte der Parteimanager augenzwinkernd.
“O nein”, sagte der Gentleman gewichtig. “Wenn das Volk wünscht, dass ich für es arbeite, muss es mich ohne Anstiftung ernennen. Ich fühle mich ohne öffentliches Amt sehr wohl.”
“Aber”, drängte der Parteimanager, “eine Wahl ist etwas Wünschenswertes. Es ist eine große Ehre dem Volk zu dienen.”
“Wenn das Dienen eine hohe Ehre ist”, sagte der Gentleman, “wäre es für mich unschicklich, mich darum zu bewerben; und wenn ich es durch eigenen Anstrengungen erreichte, wäre es keine Ehre.”
“Nun gut”, beharrte der Parteimanager,” aber sie unterschreiben doch wenigstens, hoffe ich, das Wahlprogramm.”
Der Gentleman erwiderte: “Es ist unwahrscheinlich, dass die Verfasser meine Ansichten zutreffend zum Ausdruck gebracht haben, ohne mich zu konsultieren; und wenn ich ihr Werk unterschriebe, ohne ihm zuzustimmen, wäre ich ein Lügner.”
“Sie sind ein abscheulicher Heuchler und Idiot”, schrie der Parteimanager.
“Selbst ihre gute Meinung über meine Eignung”, antwortete der Gentleman, “kann mich nicht umstimmen.”-
Für und wider dem Wahnsinn – Vonneguts Kultbuch “Frühstück für Champions”
Wenn ich dazu ansetze Kurt Vonneguts Buch “Breakfast of Champions” als eine Kreuzung zwischen Douglas Adams, Richard Brautigan und Michael Moore (mit einem Schuss Mounty Python) zu bezeichnen, laufe ich natürlich Gefahr, mit einem dieser Namen potenzielle Leser zu vergrämen oder überdosierte Erwartungen zu wecken, die das Buch dann doch nicht im Sinne seiner Vergleichsobjekte erfüllen kann. Dennoch scheint es mir die angemessenste Art zu sein, dieses Buch gleichzeitig zu empfehlen und meine Wertschätzung dafür auszudrücken.
In seinen besten Momenten hat es die brillant Eigenheit und den Zug zum Sinnbildhaften wie eine von den Geschichten aus “Per Anhalter durch die Galaxis”, es hat in seiner Form und seiner Manier eine große, unterhaltsame Eigenheit, die daherkommt als wäre sie Nachlässigkeit, den Leser aber die ganze Zeit wunderbar in seinen Bann zieht, und einen wohl ausgerichteten Zynismus, der fast immer in Schwarze trifft.
Worum es in diesem Buch geht? Nun, Friedrich Dürrenmatt schrieb einmal, das Rationale am Menschen seien seine Einsichten, das Irrationale, dass er nicht danach handelt. In Vonneguts Kultbuch tut man sich allerdings schon schwer, rationale Einsicht zu finden. Oberflächlich gesehen und aufs Gröbste zusammengefasst ist das Buch eine böse Satire auf den Konsumwahn des Menschen und seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber den Zerstörungen und Auswirkungen, die seine Taten mit sich bringen.
Etwas konkreter und ohne Interpretation formuliert, ist es schlcht ein aberwitziger, geradezu elegant zwischen Kritik und Parodie balancierender Romanspaß, mit einer schmalen Handlung, vielen gelungenen Abschweifungen und einem großen Lesevergnügen – wollen Sie also dem Irrsinn der Normalität begegnen oder der Normalität des Irrsinns, so lesen sie dieses Buch! Es ist eine satirische Posse voller Anarchie und Weisheit, ein Meilenstein des unterhaltsamen und zugleich ernsten Scherzes – eine wunderbare schräges Plädoyer gegen den Irrsinn.
Nur ganz kurz: Notiz zu Kehlmanns “Kaminski”
“Herr Zöllner, dass alles sind doch abgeschlossene Geschichten! In Wirklichkeit gibt es uns nicht mehr. Alter ist etwas Absurdes. Man ist da und auch nicht, wie ein Geist.” (Zitat, S.39)
Trotz dieser Feststellung möchte Sebastian Zöllner, ein ehrgeiziger Journalist, den greisen Maler Kaminski interviewen, für ein Buch, was dann kurz nach seinem (hoffentlich baldigen) Tod erscheinen soll, damit es einschlagen kann in den Fokus des dann aufblitzenden öffentlichen Interesses, um seinen Autor zu einem reichen und berühmten Mann zu machen. Zöllner will alles aufbieten, um auch noch die letzte unveröffentlichte Wahrheit, das letzte Wissen und die letzte wertvolle Erinnerung aus dem alten Maler herauszutricksen – und stößt auf eine Persönlichkeit voller merkwürdiger, martialischer und genialer Züge, die ihm genau diese Informationen verweigert …
Kehlmann hat ein gleichsam interessantes und vor allem völlig in der Harmonie seines Stils auflebendes Buch geschrieben, das durch kleine Wahrheiten, Witz und intellektuellen Reiz zum Lesensvergnügen wird, aber auch durch einen trefflichen Blickwinkel auf den Geist der Zeit besticht. Man durchlebt Verwirrung und Heiterkeit, Orte und Worte werden schnell gewechselt und doch sehr gekonnt; in Gesprächen verspielt, locker und launisch, treibt sich der ganze Text um die Fragen: Wo leben wir hin? Und was bleibt? Ziele?
Wir erbauen uns selbst und doch kann uns alles entgleiten …
Am Ende von Kehlmanns Roman stehen wir verblüfft vor dem Nichts und wundern uns freudig, dass wir etwas erleben durften und von etwas befreit sind – von einer Kleinigkeit vielleicht, die uns nicht mehr gehören kann.
Drehn Sie sich nicht im Grabe um, Herr Kishon! – eine kleine Empfehlung zu Kishons Satiren und seinem ersten Buch “Drehn sie sich um Frau Lot”
“Das vorliegende Buch ist die erste Sammlung satirischer Kurzgeschichten aus Israel seit 2000 Jahren. Schon aus diesem Grund verdient es ein gewisses Maß an Hochachtung. Das dieser Grund gar kein Grund ist, da in Israel alles im Moment zum ersten Mal seit 2000 Jahren geschieht, schadet nicht und sei dahingestellt.”
Aus dem Vorwort
Ephraim Kishon, geb. 1924, kam 1949, als in der ersten Stunde, als Ferenc Hoffmann aus Ungarn nach Israel. In der Hafenstadt Haifa veränderte der israelische Einreisebeamte den Nachnamen kurzerhand in Kishon und setzte statt Ferenc – mit der Begründung so einen Namen gebe es nicht – Ephraim als Vornamen ein. Schon “drei Jahre nach diesem Schicksalsschlag” begann Kishon auf hebräisch Glossen für Zeitungen zu schreiben. “Drehen sie sich um Frau Lot” war sein erstes Buch mit Satiren und wurde in Amerika zum Book of the month gewählt. Weltauflagen in ein dutzend Sprachen folgten. Jedoch befinden sich etwa 2/3 der Weltauflage von Kishons Bücher bei dem Volk im Umlauf, dass ihn seit jeher doch am meisten schätzt: den Deutschen.
“Die Einwohner Israels haben eine gefährliche Manie: Sie wollen unbedingt das Land aufbauen. Aber da die Juden bekanntlich ein arbeitsscheues Volk sind, bauen sie zum Beispiel in drei Tagen ein Haus fertig, um den Rest der Woche faulenzen zu können.
Sollte sich ein Leser augrund dieses Buches zu einem Besuch des Staates Israel entschließen, so wird er dort mit eigenen Augen sehen, dass wir an einem chronischen, unheilbaren Baufieber leiden. Niemand wundert sich wenn irgendein ein Narr sich’s in den Kopf setzt, mitten in der Wüste eine Stadt zu errichten. Wir haben sogar eine ganz hübsche Anzahl solcher Narren. und folglich eine ganz hübsche Anzahl von Städten mitten in der Wüste.”
Anfang von “Der Blaumilch-Kanal”.
Kishonische Komödien suchen noch immer ihresgleichen. Vielleicht ist er nicht der bissigste oder beste, doch gewiss der unterhaltsamste und, trotz der thematischen Begrenzung auf den Raum Israel, auch der vielschichtigste Satiriker seiner Zeit. Mit seiner etwas überdrehten und doch immer trefflichen Gratwanderung zwischen realer Grundproblematik und satirischer Übertreibung bringt er nicht nur zum Lachen – immer wieder liefert er auch hervorragende Streiflichter und Parabeln des Alltags, der Politik und der Gesellschaft – und nebenbei versorgt er einen außerdem mit neuen vergnüglichen Anekdoten und Geschichten zum weitererzählen.
“Sehr viele Dinge können in Israel sehr leicht gefunden werden, aber die Straßen sind nicht darunter. Es gibt Straßen, die überhaupt keinen Namen haben, und wenn sie einen haben, dann gibt es keine Tafel, die ihn nennt. Mein Freund Jossle pflegt den Weg zu seinem Haus ungefähr folgendermaßen zu beschreiben: -Sie gehen vom Mograbi Square in die Richtung zum Strand, bis Sie auf einen Mann in einer Lederjacke treffen, der sein Motorrad repariert und die Regierung verflucht. Dort biegen Sie bis links ein und zählen bis zum 22. Olivenbaum. An diesem Punkt wird Ihnen ein fürchterlicher Gestank auffallen. Halten Sie sich rechts und folgen Sie der Steinmauer bis zum Katzenkadaver. Dann biegen sie wieder rechts ein und gehen bis zur jugoslawischen Bücherei (Vorsicht: nicht der rumänischen!) gegenüber dem Kino (nicht dem, wo französische Filme im Saal 3 laufen), wo ich auf sie warten werde, denn von dort an wird der Weg etwas kompliziert.”
Der Anfang von “Verirrt in Jerusalem”.
Es lohnt sich immer Kishon zu lesen. Er ist einer der cleversten, unterhaltsamsten und charmantesten Erzähler, die ich kenne. Und wer immer noch mit Sorgen über die Themen der Satiren die Stirn runzelt und sich fragt ob ihn solcherlei aus Israel importiert wirklich erheitern kann, der lasse sich sagen, “dass dem Leser die üblichen Lobeshymnen über Israel ausnahmsweise erspart bleiben sollen und dass er statt dessen den Vorzug genießen wird, nur das Beste über Israel zu hören.”
Wer direkt “fast” alles haben will, was Kishon zu bieten hat, kann auch zu dem großen Langenbuch Alle Satiren greifen
*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen
Kleine Rezension für Jan Cornelius und sein “Narrenstück”
“-Ich bin gerade dabei, meine Vergangenheit aufzuarbeiten-.
-Was? Schreibst du jetzt etwas deine Memoiren?-, erschrak er.
-Nein, sagte ich, ich bin ja weder Boxer noch Kanzler geworden. Ich möchte nur ein bisschen erzählen. Ein paar kleine Dinge. Mal dies, mal jenes, darüber wie es mal war oder nicht war, und wie es heute ist oder nicht mehr ist oder eines Tages noch werden könnte. Oder so ähnlich. Und als erstes möchte ich jetzt mal aufschreiben, wie das lief als ich nach Deutschland kam, und wir zum ersten Mal miteinander telefonierten-.”
Als Jan Cornelius 1977, unter dem Vorwand einer Frankreichreise, aus dem kommunistischen Rumänien nach Düsseldorf kam, gab er sein letztes Geld für ein Telefongespräch mit dem deutschen Schriftsteller und Übersetzer Günter Ohnemus aus, der einen großen Teil der Romane und Gedichte des amerikanischen Ausnahmeautors Richard Brautigan ins Deutsche übertragen hatte. Und da Cornelius im abgeschotteten Rumänien begeistert das Buch Sombrero vom Himmel. Ein japanischer Roman gelesen hatte, wollte er ihn unbedingt sprechen.
Diese halb kuriose, halb berührende Anekdote kann sehr gut als der Angelpunkt in einem sehr frei gestalteten Buch gesehen werden; ein Buch, welches keineswegs (wie es Cornelius ja auch in einem Gespräch mit Ohnemus, 35 Jahre später, – siehe Zitat oben – anmerkte) Memoiren enthält. Memoiren sind etwas von vorne nach hinten Durchgeschriebenes, etwas Ganzes. Dabei geht es um Essenz, darum eine festgefügte Dimension des eigenen Lebens zu erschaffen.
Jan Cornelius dagegen hat mit seinem kleinen Buch in 51 Kapiteln eher so etwas wie eine Landkarte des Lebens geschrieben, in der er von Text zu Text, Erinnerungen und Geschichten mit den Schritten eines salopp-heitren Beobachters durchschreitet, der Teil hat an den wunderlichen Ereignissen des Lebens. Seine Exkurse über Begegnungen mit Freuden damals und heute, über Familie, rumänisch-ceauşescuse Vergangenheiten, Literatur & Popmusik sind meist aus natürlicher Kürze und vorder- wie hintergründigem Humor errichtet, sehr unterhaltsam und im Wesentlichen an dem “mal dies, mal jenes”-Anspruch orientiert. Was nicht heißt, das man nicht hier und da etwas über Rumänien oder nicht einiges über Jan Cornelius erfährt; aber, um noch einmal auf den Vergleich zurückzukommen: Landkarten sind eben, wie wir alle wissen, eine komprimierte Form der Dimensionalität, bergen aber wiederum auf ihre eigene Art eine große Faszination, eine simple und doch magische Freude.
Auf Cornelius Landkarte gibt es vor allem drei Länder: Literatur, Pointen und Rumänien. Das erste ist seine Leidenschaft, sowohl im Lesen als auch im Schreiben (wozu natürlich auch ein Repertoire an Anspielungen und Erwähnungen gehört), das zweite gehört zu seinem Wesen und Schreibstil und das letzte ist die seltsame Fügung, die sein Leben bestimmt hat und dies gleichzeitig nicht mehr und immer noch tut.
Wenn man sagt, dass einen etwas geprägt hat, meint man dies meist eher schlecht – doch Cornelius geht mit seiner Prägung und den Erlebnissen im Brachialsozialismus eher schwejkisch um, mit einem satirischen Blick, der es dem Leser ermöglicht die Realität dahinter kennen zu lernen und trotzdem nicht nur ein Geschichtsbuch, sondern Unterhaltung zu lesen – auf diese Weise bleibt von beidem erstaunlich viel zurück, von den Informationen und vom Humor.
Wer eine unterhaltsame und doch durchaus informative und beschauliche Lektüre genießen möchte, kann mit diesen Buch wenig verkehrt machen. Seine Kraft liegt in Humor und Leichtigkeit, welches als flüssiges Beiwerk zu Geschichten aus Cornelius Leben gemischt wird. Eine Kostprobe dieses Humors?:
“Die Rolling Stones gibt es nun schon seit über 50 Jahren: Chapeau. Aber wozu sich in falscher Bescheidenheit üben: Mich gibt es sogar noch länger.”
*diese Rezension ist schon teilweise auf Amazon.de erschienen