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Zu dem Band “Suchers Welt – Literatur, 49 leidenschaftliche Empfehlungen”


Suchers Welt, Literatur Ich frage mich, ob es noch andere Leute gibt, die diese Art von Empfehlungsbüchern in großer Anzahl kaufen und lesen; ich jedenfalls habe ein Faible dafür. Vielleicht, weil ich Begeisterung mag, vielleicht, weil man in jedem dieser Bücher mindestens eine Entdeckung macht (sonst taugen sie nichts) oder vielleicht, weil sie einem immer wieder längst bekannte Werke nahelegen; manchmal so überzeugend, dass man sie direkt im Anschluss zur Hand nehmen will.

C. Bernd Suchers neunundvierzig Empfehlungen beherbergen allerhand Bekanntes, viel Erfreuliches und ein paar ungewöhnliche (und mitunter ebenfalls erfreuliche) Spezialitäten. Die Texte zu den einzelnen Büchern füllen 3-4 Seiten und haben leicht unterschiedliche Gewichtungen (auch je nachdem, welches Genre der Text hat), verlaufen dennoch meist auf ähnliche Weise.

Zu Anfang erzählt Sucher in der Regel, wie er mit dem Buch oder dem Autor in Berührung kam, gibt eine kurze Auskunft über den Inhalt und/oder den Verfasser. Im weiteren Verlauf schildert er dann, was er aus dem Buch für Erkenntnisse gewonnen hat, zitiert und verknüpft es nicht selten mit seiner eigenen Entwicklung. Leidenschaftlich sind diese Empfehlungen tatsächlich, dennoch auch behutsam und filigran, manchmal etwas beliebig, aber mit einem Zug zum Wesentlichen.

Ärgerlich ist allerdings eine Bemerkung aus dem Vorwort: „Dass unter den 49 nur zwei Autorinnen sind, beweist keineswegs eine misogyne Haltung. Allein, ich kann mit vielen, vor allem zeitgenössischen Autorinnen nicht allzu viel anfangen. Da ich aber nicht den Ehrgeiz habe, politisch korrekt zu lavieren, sondern wirklich nur jene Bücher nennen möchte, die ich auf jede unbewohnte Insel mitnehmen würde, sind eben nur die zwei geblieben.“

Diese halbseidene Rechtfertigung hätte mir fast das ganze Buch vermiest. Entweder man hinterfragt als Autor(*in) eines solchen Buches seine Lesegewohnheiten und handelt entsprechend oder man lässt es bleiben und setzt sich der rechtmäßigen Kritik an seiner Sammlung aus. Sich aber präventiv dazu zu äußern und so zu tun, als würden sämtliche Vorwürfe von vorneherein nicht zutreffen (weil: eh bemerkt, aber halt Geschmack, etc., da kann man nichts machen), das wirkt etwas armselig.

Auch an anderen Stellen beweist Sucher wenig Taktgefühl, zum Beispiel, wenn er das teilweise erniedrigende Frauenbild in James Joyce‘ „Ulysses“ schlicht zum Bereich der notwendigen Grenzüberschreitungen zählt, es zum Tabubruch stilisiert. „Ulysses“ ist in vielerlei Hinsicht ein tolles, innovatives Werk und Sucher schafft es, viele Vorzüge gut herauszuarbeiten. Aber man sollte auch als begeisterter Freund eines Werkes, nicht blind für dessen Fehler und Zeitgeisterscheinungen sein oder sie retuschieren, wegerklären.

Auf jeden Fall sollte man derlei nicht in Nebenbemerkungen verhandeln, sondern umfassender Stellung zu den Themen beziehen oder es gleich bleiben lassen. Es wirkt sonst, als wäre das ganze Thema für den Autor nur eine Lappalie, was ich nicht glaube. In seinem Text zu „Malina“ setzt sich Sucher jedenfalls sehr viel genauer und sensibler mit dem Stoff auseinander und weist vortrefflich nach, warum „Malina“ auch ein Buch über die Gewalt ist, die Männer an Frauen verüben. Solcherlei versöhnt, macht die anderen Schnitzer aber nicht wett.

Man kann in diesem Buch viele Entdeckungen machen und wer eine breite Palette erwartet, wird nicht enttäuscht werden. Es finden sich zwar keine Werke jüngeren Datums (nach 1970), aber die Spannweite ist ansonsten groß und reicht von Dantes „Die göttliche Komödie“ über Hans Henny Jahnns „Perrudja“ bis zu Pasolinis „Raggazi di vita“.

Überhaupt sei das Buch besonders denen ans Herz gelegt, die sich für Literatur interessieren, die homosexuelle Aspekte und Geschichten beinhaltet und behandelt – hier präsentiert Sucher ein paar wunderbare Beispiele und wagt sich unter anderem an eine Auseinandersetzung mit Shakespeares Sonetten.

Zu “Ich ist ein anderer” von Bernhard Albers


Ich ist ein andererWegen der Ähnlichkeiten (z.B. in der Arbeit mit exemplarischen Beispielen), bietet sich bei diesem Buch ein Vergleich mit Joachim Campes 2001 erschienenem „Die Liebe, der Zufall und das Paar“ an. Zwar ist Bernhard Albers Buch mehr eine Sammlung von kurzen, manchmal fast schon streiflichthaften Betrachtungen, während Campes Buch aus längeren, essayistischen Arbeiten besteht, aber beide haben einen sehr ähnlichen Fokus: das männliche Paar, die Schwierigkeiten des Bekennens zum Begehren und zueinander, die Flucht davor.

Campe geht es allerdings um eine detaillierte Analyse der von ihm gewählten Beziehungen, während Albers in drei Kapiteln und fünf Exkursen (nebst Prolog und Epilog) ein Panorama entwirft, in dem die verschiedensten Lebensläufe und Beziehungsmodelle kurz und präzise nachskizziert werden.

Rimbaud und Verlaine, dem Prototyp der leidenschaftlichen Literatenbeziehung, ist das erste Kapitel gewidmet (Nach dem Prolog über Ludwig II und Wagner). Diese Geschichte ist ja in vielerlei Hinsicht exemplarisch, beinhaltet sie doch nicht nur das Motiv der gegenseitigen Inspiration, sondern auch den Topos vom älteren Mann der den genialen und/oder bildschönen Jüngling begehrt, liebt und ihm auch Vaterfigur ist; ein Motiv, das in dem Band immer wieder aufkommt und seit den Zeiten der alten Griechen geradezu ein Archetypus homosexueller Beziehungen ist (und damals sogar institutionalisiert war). Wobei in er modernen Version der exzentrische Jüngling oft den älteren Geliebten in den Ruin treibt oder zumindest in Verhängnisse führt – siehe Oscar Wilde, siehe Verlaine.

In den weiteren Exkursen und Kapiteln, in den u.a. Thomas Mann, Hans Henny Jahnn und Hubert Fichte im Mittelpunkt stehen, erzählt Albers von verschiedenen Beispielen homosexueller Begegnung und Zuneigung, Entwürfen von Partnerschaft und Liebe, Geschichten von Sehnsucht und Erfüllung. Natürlich spielt der Aspekt der Verheimlichung, des Nichtsagbaren eine große Rolle – viele der vorgestellten Personen konnten sich nie oder nur verdeckt zu ihrem Begehren bekennen. Anhand ihres Werkes dokumentiert Albers oft das Ringen und die Obsession mit dem eigenen Begehren.

Nicht dazu stehen zu können, machte es natürlich umso schwieriger, eine stabile Beziehungsform mit jemandem zu leben und führte zur Flucht in alternative Ausdrucksweisen der Zuneigung und des Begehrens (Verherrlichung und Transzendierung, Umdeutung und Ästhetisierung). Doch Albers erzählt auch davon, wie sich homosexuelle (Zu)neigung und künstlerischer Ausdruck dieser (Zu)neigung – und auch Lebensmodelle, die das Leben dieser Neigung inkludierten – letztlich immer wieder manifestierten und auch immer wieder zu geglückten Lebensentwürfen führten. Obgleich es auch in den letzten Beispielen, bei aller Verbesserung der Umstände und Möglichkeiten, schwierig bleibt.

„Ich ist ein anderer“ ist eine schmale Studie, aber eine gelungene. Wärmstens zu empfehlen an alle, die sich mit dem Topos des homosexuellen Begehrens und der Liebe unter Männern, unter Berücksichtigung vieler exemplarischer Aspekte, auseinandersetzen wollen.

 

Zu Axel Ranischs Coming-of-Age und Coming-Out Roman “Nackt über Berlin”


Nackt über Berlin Jannik liebt Musik, vor allem klassische. Und seinen Freund Tai, aber das darf keiner wissen, nicht seine Mutter und vor allem nicht Tai. Er ist sich ja auch gar nicht so sicher, ob er ihn liebt (als ob es ein deutlicheres Anzeichen gäbe, als das ständige Nachdenken mit klopfendem Herzen, ob man wohl in jemanden verliebt ist). Er ist ein bisschen übergewichtig, ein bisschen verzweifelt, ein bisschen schreckhaft.

Soweit die, noch relativ gewöhnlichen, geradezu klassischen Nöte eines 17jährigen Teenagers, der sich vor allem mit seinen Platten und seinen Gedanken beschäftigt; aus Janniks Warte besteht die Welt aus der Tyrannei der Schule, den Determinationen der Gesellschaft und dem kleinen Freiraum, den er sich mit seiner Musik und seiner Freundschaft zu Tai erkämpft hat.

Die Handlung setzt ein, als Tai sich eines Nachts meldet, mit einer kleinen Sensation: er filmt gerade den Rektor der Schule, der sich sturzbetrunken draußen auf der Straße auf den Hosenboden gesetzt hat. Tai ruft Jannik dazu. Ein leiser Auftakt, ein kurzer Trommelwirbel, der zu einer wirbelnden, rasanten Geschichte um Glück und Angst, Leben und Tod, Spaß und Ernst wird und in der hinter jeder Ecke eine neue Wendung wartet …

Es gibt schon allerhand Rezensionen, deswegen will ich vor allem das Wesentliche noch mal betonen: Dieses Buch hat Witz. Es ist, auf seine schräge Art, furchtbar liebenswert und das jenseits der Klischeegebiete. Die Figuren sind nicht nach dem üblichen Coming-of-Age-Etappenschema aufgebaut (am Anfang so, in der Mitte dann Wandlung, am Ende alles neu), sondern stets ambivalent gezeichnet und durchlaufen dennoch eine sehr gut inszenierte Entwicklung, mit vielen Ausläufern und Zwischentönen.

Und neben Witz und Charme hat das Buch auch einen großartigen erzählerischen Drive, eine geradezu bahnbrechende Erzähllust und -kraft. Kurzum: das Buch ist ein Volltreffer, ein Buch der Saison. Axel Ranischs Buch “Nackt über Berlin” wird hoffentlich dieses Jahr auf vielen Nacht- und Wohnzimmertischen liegen und für Unterhaltung sorgen – aber auch für tiefere Gedanken und Erfahrungen, über Wut, Frust, Liebe, Sein und Schein, Macht, Musik, Bedeutung, Hoffnung und Toleranz.

Zu Vincent Overeem und seinem Buch “Misfit”


  “Und als wir ausstiegen, sagte ich zu Kaat, tagsüber würden die Vögel durch die Luft fliegen und nachts die Fledermäuse und niemand nehme Notiz davon. Wir suchten den dunklen Himmel ab und sahen schließlich ein paar. Kaat stieß einen Schrei aus, umarmte mich uns sagte, wir seien auf der Welt, um auf solche kleinen Dinge zu achten. Und ich müsste dafür sorgen, dass das so bleibe. Das sagte sie, ehrlich wahr. Und zu Hause fickten wir die Sterne vom Himmel.”

„Misfit“ ist eins dieser Bücher, die man entweder in einem bestimmten Alter lesen muss oder sofort mit Nostalgie liest. Da ist ein 18jähriger Ich-Erzähler in einer mittelgroßen Stadt. In seiner eigenen Bude (eine baufällige, ranzige Angelegenheit) liegt nur eine Matratze auf dem Boden und er arbeitet mit seinem Nachbarn hier und da an einem Handwerks-Job; ansonsten verbringt er seine Zeit mit Kaat. Kaat, die großartige, die schöne, die aufbrausende, die selbstsichere, die freche, die nachdenkliche, die unausstehliche, die geliebte.

Kaat, das Mädchen, das sich wohl ein Großteil der 18jährigen, heterosexuellen Jungs aus Spielfilmvorlagen, Schulschwarms und eigenen ideelen Vorstellungen zusammenphantasiert; nicht nur eine Freundin, sondern eine Gefährtin durch dick und dünn. Die eines Tages einfach in der Tür steht. Und mit ihr beginnt die schwüle Zeit, die Zeit von häufigem Sex, von privaten Ritualen, kleinen (aber in der eigenen Prägung riesigen) Geschichten. Bis aus der Schwüle eine Hitze wird, die über der Stadt liegt und alles zu erdrücken scheint. Aber es ist nicht nur die Hitze, die drückt, sondern die unausgesprochene Vergangenheit des Protagonisten (aufgerollt in einer zweiten Geschichte, die sich Stück für Stück erschließt) und die geheimniskrämerische Seite von Kaat.

„Misfit“, das Buch eines Sommer, ein Buch voller schmerzlicher und schöner Emotionsanwandlungen (hinter denen aber auch dichtere Gefühle stehen), mit einem Auge für das – mal schmale und mal weite – Unbegreifliche, das oft zwischen Menschen steht, zwischen Freunden, Fremden, Liebenden und Familienangehörigen. Ein Buch über das Ende des Aufwachsens, den Übergang, in dem sich wie in einer Rinne zwischen Kindheit und Erwachsensein die Sehnsüchte ansammeln, vorwärts und rückwärts gerichtet.

Ja, das alles steckt in diesem Buch und ich bin selbst verblüfft darüber, denn seine Geschichte, die sich in zwei Geschichten aufteilt, ist geradezu simple und könnte Stoff für einen gewöhnlichen Teenie-Roman sein. Was „Misfit“ von einem solchen unterscheidet ist nicht nur das sich langsam in Bild schiebende ernste Thema im Hintergrund, sondern die ungefilterte und dennoch nie voyeuristische oder provokante Art der Darstellung, die ehrliche Form, die das Buch sich bewahrt. Die Nähe zum Geschehen quasi, die sich in ihrer Deutlichkeit und Schlussendlichkeit jedes Klischees entledigt.

Ein Buch des Sommers, ein Buch der Bewältigung, ein Buch der Schönheit im Jungsein. Nostalgie pur mit Genuss- und Anspruchsfaktor und dem gewissen, großartigen Etwas.