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STILL #5, Literaturzeitschrift in Berlin/New York, besprochen


auf fixpoetry.com

Zu Djians frühen Storys in “100 zu 1”


“Sie tranken und die Nacht brach herein. Ihre Seelen öffneten sich wie exotische Blumen, sie sahen allmählich klarer.”

Diese Geschichten steigen aufs Gas. Sie sind mit einer gewissen Schnurzegal-Haltung geschrieben; sie fabulieren gern, auf leicht virtuose, leicht obszöne, leicht trashige, leicht abwegig-banale Art. Sie handeln fast ausnahmslos von Leuten, die ein wenig gegen das Leben sind. Von Verlierern, die sich noch über Wasser halten wollen. Von schrägen Typen, die sich in bizarren Szenarien bewegen. Immer geht es ein bisschen um die Liebe, ein bisschen um das Wahre, aber vor allem ums Überleben. Es gibt Gewalt und Sex und Außergewöhnlichkeiten, aber vor allem eine Orientierungslosigkeit, die sich in allem Bahn bricht, jeder einzelnen Geschichte und ihren Motiven – ganz egal, ob es um lustmachende Leichen, Experimente mit 100 zu 1 Ergebnissen oder eine Utopie mit Frau und Vogel geht. Die Plots wirken hingerotzt, die Sprache ist immer scharf und hat immer ihre Stärken, einen Sog und einen Drive.

Ich mag Philippe Djian und ich mag, wie er schreibt. Und irgendwie mag ich auch die meisten seiner Geschichten, auch wenn ich wenig aus dem ziehen kann, was darin verhandelt wird. Djian hält sich nicht mit Botschaften auf und er ist ein bisschen vernarrt in kleine, aufregende Widrigkeiten. Er pflastert die Straßen seiner Protagonisten mit allerlei ulkigen bis heftigen Schlaglöchern und irgendwie ist alles egal und doch richtig wichtig, überlebenswichtig.

“Die Sonne strömte voll herein, wie Eiweiß.”

Ein bisschen fühlt man sich an Bukowski erinnert, aber Djians Prosa hat eine viel größere Beschleunigung und sehr viel weniger Selbstreferenzialität. Der Autor verschwindet hinter seinen Schöpfungen, in den jungen Männern, die sich etwas Beständiges wünschen, einen Rückzugsort von der Welt und eigentlich wollen sie alles und sie stehen irgendwie kurz vor dem nichts, dass überall ist.

Ich würde “100 zu 1” nur empfehlen, wenn es den Leser nicht stört, dass die Erzählungen sich kaum aufbauen, sondern einfach einschlagen. Sie entwickeln sich nicht einfach, sie explodieren, implodieren, steuern auf einen Höhepunkt zu. Sie sind von einer ungeheuren Lebendigkeit, dann wieder voller aufgehängter Verzweiflungslust. Sie rufen eine schräge Begeisterung hervor, wie Kerouac oder Henry Miller oder der schon erwähnte Bukowski, aber sind manchmal auch gar nicht so beeindruckend. Halt gut. Guter Stoff.

Über Katherine Mansfield und ihren Erzählband “In einer deutschen Pension”.


“Verheiratet zu sein bedeutet für mich nicht treu zu sein, denn wozu hat man einen Körper mitbekommen, wenn man ihn wie eine kostbare Geige in einen Kasten schließen muss?”
Katherine Mansfield in einem Brief

Katherine Mansfield, eine wendige Persönlichkeit, bisexuell, eine freche Frau, mit einem bravourösen Intellekt und einer spitzen, in späteren Werken abgeschliffenen, Zunge, die nur 34 Jahre alt wurde. Mit ihrem beneidenswerten Spott, der sich um ihre Liebenswürdigkeit und Sprache legte wie eine zweite Haut, ihrer Beobachtungsgabe und der zeitlosen Hilflosigkeit ihrer Charaktere, gehört sie bis heute zu den lesenswertesten Autorinnen überhaupt.

Es ist traurig, dass sie in deutschen Gefilden so sehr in Vergessenheit geraten ist; dabei hat sie doch alles, was Literatur, was Lesen, im Kern ausmacht: Witz, Charme, Aufdeckung und eine unverwechselbare Lebensnähe in jeder einzelnen ihrer kleinen Geschichten.

“In einer deutschen Pension” ist ihr erster von drei zu ihren Lebzeiten erschienenen Erzählbänden, den sie größtenteils in der Zeit welche sie in einer deutschen Kur-Pension zubrachte schrieb, nachdem sie ihre erste Fehlgeburt erlitten hatte. Viel losgelassene Bitterkeit paart sich hier mit Menschenkenntnis, Zynismus schmiegt sich an subtilen Humor, lebendige Gesten fahren in fast schon karg anmutende, unter der Oberfläche lebende Gestalten.

Mansfield kann vermutlich als die wahre Erfinderin der nüchtern-zweischneidigen Short Story, die nachher durch Hemingway und Raymond Carver ihre Berühmtheit erlangte, gesehen werden. Natürlich ist deren Stil noch karger, noch mehr nach Hemingways Theorie vom Eisberg, bei dem nur ein 5tel oben schwimmt und der Rest stets unter der Oberfläche bleibt. Bei Katherine Mansfield wäre es, in diesen frühen Erzählungen – die zwar nicht untypisch, aber ab und zu noch etwas formlos sind – vielleicht 1/3 oben und 2/3 unter der Oberfläche.

Vor allem ist dieses Buch eine amüsante, kurze Lektüre; es geht viel ums Kinderkriegen, um die Rolle von Frauen und immer wieder um die kleinen spitzen Vorurteile, die wir alle unter unseren Mänteln von Rechtschaffenheit und Bewandtnis tragen und um das Gerede, das von jedem geschwungen wird und mit jedem Charakter so verwachsen scheint, als sei nicht der Charakter der Träger von jenem, sondern das Gerede sei der Träger des Charakters.

Mansfield erzählt subtil und mit bedacht eingestreuten Höhepunkten und Flauten; sie komponiert ihre Geschichten wie Klaviersonaten, wo natürlich auch ein “Scherzo” nicht fehlen darf, wie hier im Textausschnitt:
(Zur Einleitung dieses Ausschnittes: gerade hat eine kleine bunte Truppe von Leuten mit der Ich-Erzählerin einen 8 Kilometer langen Fußmarsch zu einem Dorf zurückgelegt und sich im Wirtshaus erholt-)

>>Elsa beugte sich plötzlich zu Fritz hinüber und flüsterte ihm etwas zu, und nachdem er sie bis zum Ende angehört und sie dann gefragt hat, ob sie ihn liebe, stand er auf und hielt eine kleine Ansprache.
“Wir… wir möchten unsre Verlobung mit einer Einladung an Sie alle feiern, mit uns im Wagen des Wirtes heimzufahren – falls – falls wir alle reinpassen.”
“Oh, was für ein wunderbarer, nobler Einfall”, rief Frau Kellermann und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der zwei ihrer Korsetthaken hörbar sprengte.<<

Ich kann diese süffisante Literatur nur jedem ans Herz legen, der lächeln, lernen, beobachten und lesen und das alles zugleich will.