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Zu “Rebellinnen”von Simone Frieling


Rebellinnen Bekannt, bewundert und umstritten – das trifft auf alle drei „Rebellinnen“ dieses Bandes zu, deren Lebensläufe und vor allem Wesenszüge Simone Frieling in jeweils separaten Kapiteln aufarbeitet. Es sind Porträts, die einen besonderen Balanceakt wagen, insofern als sie die Widersprüche und ambivalenten Bedürfnisse im Charakter der drei Frauen hervorheben, aber nicht das eine zur Licht-, das andere zur Schattenseite rechnen, vielmehr alles gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen.

Bei Rosa Luxemburg zum Beispiel verschweigt Frieling nicht, dass die Grande Dame des marxistisch-proletarischen Denkens durchaus sehr viel für bürgerliche Annehmlichkeiten übrighatte und auch für Besitz. Dies kehrt sie aber nicht tadelnd heraus, sondern stell es schlicht fest, es fließt ohne besondere Anmerkung oder Hervorhebung ein, gesellt sich zu ihrer bedingungslosen Analyse der Arbeiter*innenschaft, ihrem Desinteresse am Feminismus, ihrem Pazifismus, ihrer Zuneigung zu Tieren, ihrer Einstellung zur Treue, ihrer Heiterkeit, ihrer Starrköpfigkeit, etc.

Diese Art des biographischen Narrativ ist gleichsam beeindruckend und irritierend; ich zumindest bin es nicht gewohnt, dass die Protagonist*innen von Biographien in all ihren menschlichen Aspekten, die meist widersprüchlich sind, belassen werden. Meist machen Biograph*innen irgendeine Rechnung auf, erklären manches als situativ, manches als unwesentlich (oder verschweigen es) und basteln sich so etwas wie eine generelle Wesenshaltung, ein Leitmotiv, zurecht.

Frieling gelingt es, zumindest in den Texten zu Luxemburg und Weil, über das bloße Biographische hinauszugehen und uns einen Einblick in die Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit der Psyche zu verschaffen. Das liegt auch an der Dynamik ihres eigenen Schreibstils, der manchmal fast zu sprunghaft ist, aber gerade durch diese Sprunghaftigkeit einige Eindrücke besser vermittelt.

Der Text zu Hannah Arendt wirkt dagegen blasser. Er ist nicht schlechter geschrieben oder weniger informativ, aber nicht so intensiv. Während sich Frieling bei Luxemburg viel auf Zitate aus ihren Briefen stützt und Weil mit Nachdruck als das zerrissene Wesen portraitiert, das sie war, betont sie bei Arendt nur unermüdlich, wie schwierig die Zeit nach dem Erscheinen von „Eichmann in Jerusalem“ für sie war (als gäbe es keine andere Möglichkeit, Arendts Emotionen zu portraitieren – den Fall Heidegger z.B. erwähnt Frieling fast mit keiner Silbe).

Zugutehalten muss man ihr wiederum, dass sie Arendt (wie auch den beiden anderen) im genau richtigen Maße kritisch begegnet und auch klar macht, dass sie bei ihrem Bild von Eichmann danebenlag (wie spätere Dokumente und Audiobänder zeigten). Letztlich liegt der Fokus bei Arendt wohl so sehr auf diesem Lebensabschnitt, weil es sonst schwierig geworden wäre, sie neben den beiden anderen als „Rebellin“ einzureihen.

Der Weil-Text ist wiederum sehr gut und führt einem das Extrem ihres Lebens und die Besonderheit ihres Werkes, das meist in die eine oder andere Richtung vereinnahmt wird, vor Augen. Ich kann nur jedem raten sich einmal mit Weils Essays oder ihrem Fabriktagebuch zu beschäftigen.

Gerade wegen der beiden Texte zu Weil und Luxemburg (zu ersterer gibt es so gut wie keine, zu letzterer zumindest wenig Beiträge) ist dies Büchlein lesenswert; man verlässt es mit einem facettenreichen Bündel an Eindrücken zu den jeweiligen Personen. Überhaupt ist es natürlich wunderbar, dass es Bücher gibt, in denen an diese drei wichtigen Denkerinnen des 20. Jahrhunderts erinnert wird, deren Werke ganz gewiss noch nicht veraltet sind und zu denen man vielleicht mal wieder (oder zum ersten Mal) greifen sollte.

Über Auden und die essayistischen Texte im Band “Ein Bewusstsein der Wirklichkeit”


  Gerade bei den Literat*innen, die einem am nächsten sind, deren Werke man liebt und an deren Fähigkeit zur Vision, zur Berührung, zur Größe man glaubt, ist man meist auch ein bisschen vorsichtig, was Erwartungen angeht, und man fürchtet oft enttäuscht zu werden, wenn man ein neues Werk von ihnen aufschlägt.

Ich liebe und schätze Wystan H. Auden, sehr. Es geht nicht einmal darum, dass ich seine Poesie als die vollkommenste bezeichnen würde, die schönste (vielleicht) oder die epischste (ganz gewiss nicht). Aber sie ist die menschlichste und darin zugleich weitreichendste Dichtung, die ich kenne. Es gibt in ihr einen Verschmelzung von Überschwang und Besonnenheit, Zuneigung und Schmerz, Freiheit und Gewissen, die ich als eine Verkörperung der Dimension des Lebens selbst bezeichnen würde – so nah dran ist sie an dem Spiegel, der uns zeigen könnte, was das Leben ist.
Auden wusste, Sehnsucht, das heißt: mit den Ketten, in denen wir liegen, zu rasseln. Auden wusste: We must love each other or die; ein Satz, den er im hohen Alter umänderte in den Satz: We must love each other and die und in dieser Änderung fühle ich mich wieder ertappt in meinem Wesen, in dieser Änderung bin ich enthalten, schwingend zwischen sadness und euphoria.

Auden bekannte: If equal affection cannot be/ let the more loving one be me. Und in seinem Gedicht „As I walked out one evening“ gelingt es ihm, den Wahnsinn und die Macht der Zeit abzubilden, am Beispiel der Liebe. Und er wusste noch vieles mehr, ebenso, wie er vieles nicht wusste. In seinen Essays, deren Auswahl in diesem Band ausnahmslos auf Rezensionen, Aufsätze und Vorwörter hinausläuft, haben dieses Bild, das ich von ihm hatte, noch ergänzt: Jetzt bin überzeugt davon, dass W. H. Auden einer der bescheidensten, einfühlsamsten und gleichsam intelligentesten Menschen war, von denen ich gelesen habe.

Wie bereits erwähnt, fasst der Band Texte, die als Vorwörter zu Büchern geschrieben wurden oder als Rezensionen über neue Publikationen. Dass sich gerade in diesen eher einfachen Formen die ganze Vielfalt von Audens Gaben in Bezug auf Beobachtung, Einschätzung, Differenzierung und Definierung zeigt, verblüfft zunächst und diese Verblüffung verliert auch nie ganz ihren Zauber. Denn egal ob Auden über Oscar Wilde, Virginia Woolf, die griechische Literatur oder über Goethe und die italienische Reise (u.v.a.) schreibt: Keine seiner Betrachtungen gerät zur intellektuellen Ausschöpfung oder Profilierung, sondern mündet jedes Mal nach gewissenhafter Facettenschau in die menschliche Dimension, die Auden der Person des Autors, dem Thema oder dem Buch angedeihen lässt, zuspricht.

Keiner der Texte in diesem Buch ist überragend, alle haben streckenweise ein gewisses Mittelmaß – dass sie dann wieder elegant und unverhofft hinter sich lassen, um in allgemeineren Ausführungen kurz und brillant die metaphysische Seite eines Aspektes zu beleuchten und zu verorten, nur um sich dann wieder ganz dem Beschriebenen unterzuordnen, einen Eindruck von dessen Möglichkeiten und Ideen zu vermitteln.

Auden war ein Schriftsteller durch und durch und doch könnte man fast meinen, dass es ihm fast vollständig an Eitelkeit gemangelt hätte. Natürlich stimmt das nicht. Aber woran es ihm nie fehlte, ist das Bewusstsein für die eigene, die fremde, die Eitelkeit an sich. In der Bescheidenheit und Arriviertheit seines Schreibens und Dichtens schwingt immer dieses Bewusstsein mit, das jeden Gegenstand erschließt, aber ihn nicht ergreift und für sich beansprucht, sondern sorgsam innerhalb Perspektive, hinter der die fernen, großen Entitäten stehen, einordnet. Dieses Bewusstsein, sanft und doch bestimmt, erhellend und ohne Zwang zur Größe, ist eine Erfahrung, in deren Bann ich gern ganz lange verweilen und der ich Seltenheitswert zusprechen würde

Würde man nach der Lektüre dieses Bandes fragen: War Auden ein Kommunist? Ein Feminist? Ein religiöser Mensch? Ein Opportunist? Ein Unruhestifter? Ein Konservativer? Ein Intellektueller? – Auf all diese Fragen würde man keine Antwort erhalten, denn obwohl manche Themen und Bücher und Ausführungen Ansätze in die eine oder andere Richtung erkennen lassen: in Audens Texten findet sich keine Agenda, sondern nur der Wunsch, den Dingen gerecht zu werden – und gerade in den Endprodukten dieses Wunsches spiegelt sich wiederum ein umfassendes Bewusstsein von gefährlichen Ideen, fatalen Entwicklungen und gesellschaftlichen Missständen, sowie von Ignoranz, die diese Texte weder ignorieren, noch provozieren. Sie stellen sich in ihren Raum und dieser Raum füllt sich mit Verständnis und Bedeutung; einer Bedeutung, die von innen kommt, nicht von außen gegeben wird.

Man lese Auden. Man lese Auden. Was soll ich sonst noch sagen.