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Billy Joel zum 70. Geburtstag


 

“I think music in itself is healing. It’s an explosive expression of humanity. It’s something we are all touched by. No matter what culture we’re from, everyone loves music.”

Meine erste Begegnung mit der Musik von Billy Joel war eine rote CD-Hülle im Regal mit der Musik meiner Eltern, kyrillische Buchstaben auf dem Frontcover. Ich weiß nicht mehr genau, warum ich der festen Überzeugung war, dass es sich um klassische Musik handeln müsse; vermutlich das übermäßige Selbstbewusstsein des Teenagers. Aber da ich damals (bevor ich mich wirklich in einige Werke klassischer Musik verliebte, allen voran in die von Johann Sebastian Bach) dachte, ich sollte mich mit solchen Dingen auseinandersetzen, quasi als notwendige Bildung (geheimer Wunsch nach gerechtfertigtem Snobismus inklusive), schob ich die CD in den Spieler und drückte auf Play.

Die ersten 1:18 Minuten schienen zunächst meine Vorstellung zu bestätigen: Gesang in a cappella-Manier. Dann aber das Klavier, schnell, rasant, die Gitarre einsetzend – der Beginn von “Prelude/Angry young man”, das Joel bis heute am Anfang von fast jedem seiner Konzerte spielt.

Das war auch der Anfang einer großen Begeisterung und anhaltenden Liebe zu den Alben und den vielen unterschiedlichen Stilen des “Piano Man”, von den mitreißenden Radiohits bis zu den fast unbekannten Balladen. KOHЦEPT, 1987 aufgenommen in Leningrad, war der Türöffner. Vor dem letzten Track des Albums spricht Joel zum Publikum und sagt, dass er glaubt, dass die Stimmung in ihrem Land viel gemein hat mit den Umbrüchen in den USA in den späten 60er Jahren. Folgerichtig spielt er für sie als letztes die Hymne dieser Zeit: Bob Dylans “The times they are a-changin” – Gänsehaut (wie sonst nur beim Prolog zum Film “Watchmen”).

Ich hätte nicht übel Lust hier noch stundenlang über meine Lieblingssongs zu schreiben, aber werde mich kurz fassen.

Eine der schönsten Balladen (neben “Vienna”, ist ja klar) ist das auf dem 1976er Album “Turnstiles” enthaltende Lied “Summer, Highland Falls”, eine Meditation zu rauschendem Klavier, eine Utopie, eine Sehnsucht nach Besinnung und eine Hymne auf die Erbarmungswürdigkeit.

Ein großartiges Beispiel für Song-Storytelling ist nach wie vor “Scenes from an italian restaurant” von dem 1977er Erfolgsalbum “The Stranger” (von dem auch der damalige “Skandalhit” “Only the good die young” stammt, in dem ein junger Mann seine katholische Freundin zu überreden versucht, mit dem Sex nicht bis zur Ehe zu warten).

Manches von dem 1989er Album “Stormfront” ist mir zu pompös (auch wenn ich immer noch versuche den Text von “We didn’t start the fire” auswendig zu lernen und “Downeaster Alexa” mit seiner schunkelnden Melodik und seiner Zeile “there is no island left for islanders like me” irgendwie einen Nerv bei mir trifft). Aber tief berührend ist die wunderbare Geschichte von dem Clown in “Leningrad”, mustheard!

Ebenso berührend und eines der schönsten Liebeslieder, die man bedenkenlos an geliebte Menschen richten kann, ist “You’re my home”. Ursprünglich vom 1973er Album “Piano Man”, mag ich doch die Version auf “Songs in the attic”, dem ersten offiziellen Live-Album von Joel, am liebsten. Dort heißt es:

“Home could be the Pennsylvania turnpike
Indiana’s early morning dew
High up in the hills of California
Home is just another word for you”

“River of dreams” vom letzten Album mit gleichem Namen (1993, bevor Joel verkündete, er wolle keine Popmusik-Alben mehr machen (er veröffentlichte danach noch einige klassische Instrumentalstücke)), ist wiederum eine wunderbare Meditation, der Song “Piano Man” natürlich ein Klassiker, ein schönes Panorama amerikanischer Wirklichkeiten, ebenso wie “Allentown” von dem 1982er Album “The nylon curtain”, wo es um eine Bergarbeiterstadt geht.

Aber ich fühle mich mehr zu dem Album “An innocent man” von 1983 hingezogen, mit dem wunderbaren a cappella-Stück “Longest time” (Gänsehaut, again!), den fast schon swingähnlichen Rhythmen, dem wunderbar rasanten “Tell her about it” und dem lässigen “Keeping the faith”.

Fehlt noch etwas? Da wäre noch das wunderbare “Lullabye”, geschrieben für die Tochter, das davon singt, dass wir alle sterben, aber niemals stirbt, was wir weitereichen. Das rotzige “My life”. Und das selbstironische “Everybody loves you know”, das Joel schon auf seiner ersten CD 1971 veröffentlichte. Die Ballade von altgewordener Liebe: “This is the time”. Und “Matter of Trust”, ein Stück, das ich als Live-Version sehr schätze und das davon erzählt, dass Vertrauen letztlich das Wichtigste in einer Beziehung ist, egal was sonst passiert. “Captain Jack”, der einmal als “deprimierendster Song aller Zeiten” bezeichnet wurde. “And so it goes”, Gesang eines gebrochenen Herzens, das trotzdem loslässt.

In einem Teeniefilm, dessen Name mir entfallen ist, gibt es eine Szene, in der die Protagonistin mit ihrem Vater im Auto unterwegs ist. Aus dem Radio kommen die ersten Töne von “You may be right”. Der Vater dreht lauter. “Weißt du wer das ist?”, fragt er. Sie schüttelt den Kopf. “Das ist Billy Joel! Billy Joel muss man lauter drehen und mitsingen, wenn er im Radio kommt.” Na ja, nicht alles. Aber, verdammt, das meiste schon.

Kurz zur Verfilmung von John Le Carrés “Der ewige Gärtner.”


“Wer dem Kapital im Weg ist, der kann nicht gewinnen”. Diese zynische Wahrheit über die moderne, globalisiert-kapitalistische Gesellschaft, dringt durch Artikel, Bücher und viele andere Medien immer mehr in unser Bewusstsein. Das Geschäft mit dem Öl, mit Rohstoffen, mit Menchen und Organen, Pharmaartikeln und Fleisch etc. etc. ist eine längst bekannt gewordene Realität, die nur deswegen nicht als fesselndes Netz erkannt wahrgenommen und erkannt wird, weil seine Maschen sich bereits über die ganze Welt erstrecken, von den Großstädten bis zur Tiefsee, von den Citys bis in die entlegendsten Gegenden , so weit und groß, dass man keine Stelle findet, an der man es zu fassen kriegt oder beiseite ziehen kann – zerschneidet man einen Faden, gibt es trotzdem keinen Weg, aus dem Netz an sich zu entkommen.

Afrika ist neben Südostasien seit vielen Jahren der ausgebeutete Arbeiter dieses Systems. Gleichsam Versuchslabor, Schuttabladeplatz und Rohstoffquelle, ist der ganze Kontinent seit seiner Kolonisation durch die Europäer nahezu unwiderruflich vereinahmt und entstellt worden.

In John Le Carres Buch und in dem gleichnamigen Film geht es um eine besondere Form des Missbrauchs: das Teste von Medikamenten an Menschen …

Justin (Ralph Fiennes) ist Mitarbeiter im diplomatischen Dienst des vereinigten Königreiches in Kenia. Er ist ein unauffälliger, stiller, zurückhaltender Mensch, der seinen Blumen und seinem Garten eine höhere Aufmerksamkeit zugesteht als den verwickelten politischen Krisen und Problemen in dem Land, in dem er lebt. In England lernt er bei einem Vortrag die Aktivistin Tess (Rachel Weisz, Oscar und Golden Globe für die Rolle) kennen, die ihn mit ihrem Enthausiasmus und ihrer Forschheit überrumpelt. Mit einer unaufdringlichen Direktheit entwickelt sich ihr erstes Treffen schnell zu einer Liebesgeschichte hin, sie heiraten und er nimmt sie bald darauf mit nach Afrika.

Dort setzt sich Tess in ihrer gewohnten Art für die Armen ein und legt sich mit den Behörden an; bald ist sie einer Sache auf der Spur, doch ihren Mann bindet sie nicht mit ein, stattdessen hilft ihr ein befreundeter Arzt  aus der Gegend. Ahnungslos erfährt der “ewige Gärtner” kurz darauf von der Ermordung seiner Frau und er verliert den Boden unter den Füßen. Doch dann versucht er mit aller Macht herauszufinden, warum sie sterben musste; kamen die Drahtzieher aus seiner eigenen Regierung? Hat sie ihn am Ende doch nicht geliebt, sondern nur für ihre Zwecke eingesponnen? Waren sie weiter von einander entfernt als er gedacht hatte?

Am Ende ist der Film dann nicht nur die Aufdeckung eines politische Skandals, sondern, in viel schönerer, unnachahmlicher Weise, auch die leise Erweckung eines eher passiven Geistes, und von einer Liebesgeschichte, in der es die Beteiligten sehr unterschiedlich wahren und sich doch nahe standen, bei denen es am Ende um die unerklärliche Wahrhaftigkeit in der Liebe zwischen zwei Menschen geht …

Der Film geht einem (ohne ein Melodram oder eine Schnulze zu sein) oft an Herz und Nieren, wie auch an die Wut. Fast während des ganzen zweiten Teils ist es brillant gelungen, die Machtlosigkeit von Justin in die Atmosphäre einfließen zu lassen; ebenso gut ist die Erzählung der Handlung verschachtelt: beginnend bei der Identifizierung von Tess im Leichenschauhaus, ist der ganze restliche Film ein Auf und Ab zwischen den Erinnerungen von Justin an die gemeinsame Zeit, die verschiedenen Abschnitte in ihrer Beziehung, vom Kennenlernen über das gemeinsame Leben bis zu dieser Leichenhalle und Justins Rekonstruktion von Tess Entdeckungen und seinem Versuch, in der Gegenwart dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, dass sie aufgedeckt hatte. Dies alles gruppiert sich um diese erste Szene, den Einschnitt ihres Todes und erst ganz am Ende, nachdem sie immer wieder lebendig in den Rückblicken auftaucht und das Verlorene in Justins Gegenwart ist, schließt sich der Kreis. Es ist ein beeindruckender, perfekt inszenierter Kreis, spannend, folgerichtig und doch mit einer Spur Idealismus, genau im rechten Maß.

Es gäbe noch viel was man zu den Symbolen und den Ideen dieses Films anmerken könnte, angefangen bei der Figur des Gärtners Justin, der mit hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln seine Blumen vor Insekten und sonstigem Befall schützt, um dadurch das Leben in seinem Garten blühen zu lassen, während außen dieselbe Firma, die das Gift herstellt, Medikamente an die ahnungslosen Bewohner verteilt.

Das Spiel von Rachel Weisz ist einfach nur brillant. Von lasziv verführerisch, bis natürlich lebensfroh, von traurig-bewegt bis idealistisch frech, beherrscht sie nahezu jede Mimik und Haltung. Sie legt viel emotionales Gewicht in ihre Rolle und schafft es trotzdem, dass dies den Charakter nicht unglaubwürdig macht, stattdessen unverwechselbar und dynamisch, ein Charakter für die Ewigkeit.

Der ganze Film hält die Waage zwischen Anspruch und Spannung, Inszenierung und Story, wie ich es noch nie so harmonisch und ausgewogen gesehen habe. Es fehlt ihm hier und da an Tempo, aber das macht er durch eine wunderbare Komposition wett. Die Afrikateile wurden tatsächlich in Afrika gedreht, meist in den Gegenden wo sie spielen (Sudan hauptsächlich).

Töten um zu vertuschen – wir begegnen diesem Phänomen in Krimis, aber leider auch allzu oft in der Tagespolitik – diese Verfilmung zeigt barr und unverstellt wie Lobbyismus und Engagement so etwas zur Folge haben. Es ist am Ende mehr ein Film fürs Herz als für den Verstand. Aber vor allem: Großes Kino.

 

Die “Geständnisse eines ungeübten Sünders” von Charles Simmons


“Die Volkshochschule bestand aus einer unendlichen Serie von Verboten. Nimm die Hände aus den Hosentaschen, beeil dich, wenn du in der Badewanne sitzt, halt dich von schmutzigen Filmen fern. schmutzigen Magazinen, schmutzigen Büchern, schmutzigen Witzen und vor allem von Mädchen, die dich verführen wollen. Aber wo zum Teufel steckten die Mädchen bloß, die uns verführen wollten?”

Charles Simmons, geb. 1924, hat nur 5 Romane geschrieben, wobei dies hier sein erster ist. Obwohl jedes seiner Werke einzigartig ist und weit über der Norm liegt, hat es, mit Ausnahme einiger lobender Rezensionen zu Salzwasser, bis heute nur wenige Auseinandersetzungen mit seinem Werk gegeben; vielleicht weil die Zeitabstände zwischen seinen Romanen (1964 dieses Buch, 1978 Lebensfalten, 1987 Belles Lettres, 1998 Salzwasser, 2002 Das Venus-Spiel) meistens ungewöhnlich hoch sind. Aber Simmons besitzt eine ganz eigene Art von Subtilität, die eigentlich nicht ungewürdigt bleiben dürfte.

“Der Weg zum Herzen eines Mannes führt durch seine Genitalien, aber wer wusste denn damals schon, dass der Weg zu den Genitalien einer Frau durch ihr Herz führt?”

1964 löste dies Debüt einen kleinen Skandal aus. Selten zuvor hatte sich ein Schriftsteller in einem Roman so vulgär, heftig und konträr zu Amerika, Kirche und Sexualität geäußert; das dies etwas mit Authentizität und nichts mit Provokation oder der inneren Ausrichtung der Geschichte zu tun hatte, wurde aber Gott sei dank schon damals bemerkt.
Ebenfalls relativ neu für damalige amerikanische Verhältnisse war die Konzeption des Buches: Alles wird durch Briefe, die der Protagonist einem anderen schreibt, erzählt, wobei jeder Brief überlang ist (das Buch besteht aus ca. 25-30 dieser Briefe). Gleichzeitig schreibt der Autor auch noch einen Roman, den er in den Briefen ausführt und mit dessen Figur er sich immer wieder (neu) identifiziert. Durch die Briefform wird der Blickwinkel auf die einzelnen Geschichten, die das Leben des Protagonisten ausmachen, natürlich auch modifiziert.

“Unter Katholiken gibt es das geheime Einverständnis, das Nichtkatholiken zwar nicht gerade verdorben oder fehlgläubig oder böswillig sind, aber doch schrecklich irregeleitet. Besonders Protestanten. Und was die Heiden angeht, asiatische Babys und so: die sind alle nur Kanonenfutter. Ich glaube, in dieser Hinsicht sind die Katholiken wie Kommunisten, mal abgesehen davon, dass sie in letzter Zeit nicht ganz so erfolgreich sind.”

Beinahe 50 Jahre haben diesem Roman sicher einiges an gesellschaftlicher und politischer Sprengkraft genommen, jedoch finde ich, dass Dynamik und Stil, also das, was jede Geschichte authentisch machen kann, kaum einen Tag gealtert sind; die Originalität und die leicht schräge Art mancher Stellen haben den Roman vor dem Verfall bewahrt.

Ebenso natürlich, fernab aller sprachlichen Qualitäten, seine wunderbar ehrlich gestaltete Hauptfigur, ein junger Mann, der (Zitat: “Liege ich falsch, wenn ich versuche, das zu sein, was ich sein will, und tue, was ich tue, um es zu werden?) mit 21 Jahren noch immer an der Startlinie des Lebens steht, der in Sachen Frauen und Beruf immer weniger durchzublicken glaubt und den Simmons mit erstaunlicher Sensibilität im Auf und Ab seiner Stimmungen gefangen hält, nur um ihn gleichzeitig ganz unmerklich zu sich selbst zu führen. Vielleicht wegen der Form, doch auch wegen dieser Ungetrübtheit der Beziehung zwischen Leser und Protagonist, ist man über die Dauer des Lesens sehr stark in das Buch integriert.

Wer kleinere Romane mag, wird in Charles Simmons einen der Meister dieser Gattung finden. “Belles Lettres”, eine wunderbar Fiktion über eine Literaturzeitschrift, und “Salzwasser” sind am meisten zu empfehlen.

“Geflogen bin ich mit der Alitalia. Ich dachte, wenn ich schon in ein fremdes Land reise, ohne die Sprache zu verstehen, kann ich auch gleich bei Null anfangen, und als ich beim Einsteigen durchs Gate ging, wusste ich, dass nun in meinem Leben etwas wichtiges passierte. Seit meiner Kindheit verband mich ein unsichtbares Gummiband mit irgend etwas, mit meinem Bett, meiner Mutter, mit irgend etwas eben. Allzuviel Zug hielt das Gummiband aber nicht aus. Ich wollte immer dahin zurück, zu diesem Etwas, was auch immer es gewesen sein mochte. Aber als ich vorgestern das Flugzeug bestieg, gab es das Gummiband nicht mehr.”

Link zum Buch

*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen.