besprochen beim Signaturen-Magazin
Tag Archives: Spanisch
Zu “der Rede wert” von Christoph Janacs
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu Julio Cortázars Erzählung “Die Katzen”
Wer ihn noch nicht kennt, dem/r rate ich, das schleunigst zu ändern. Vor allem, wenn man für jene besondere Art von Faszination anfällig und empfänglich ist, die phantastische, irreale und dennoch fesselnde Elemente erzeugen, die als bedrohliche, unheimliche und irritierende Momente innerhalb einer Erzählung eingesetzt werden und die Realität gleichsam umdeuten und hinterfragen.
Julio Cortázar hat eine Handvoll Erzählungen geschrieben, die ich wirklich liebe, die mich immer wieder begeistern (nicht zu vergessen: jenen irren Roman „Rayuela“, der gleich Joyce „Ulysses“ eine lange (möglicherweise nie endende) Vorlaufzeit braucht, bevor man ihn wirklich in Angriff nimmt, außerdem “Der Verfolger” eine der schönsten Novellen über Musik, die ich kenne). Die meisten davon sind in dem ersten Band der gesammelten Erzählungen bei Suhrkamp, „Die Nacht auf dem Rücken“, zu finden.
Viele dieser Texte arbeiten mit zwei Arten von erzählerischer Technik. Zum einen mit einer atmosphärischen Beschreibungskunst, die einem das Geschilderte nah an die Haut heranträgt. Cortázar ist kein Erzähler, der sich nur an seinen Ideen erfreut und dem es genügt, sie zu präsentieren, auszuwalzen – er will, dass die Lesenden die emotionale Komponente seiner Texte abbekommen, ja, sie ist oft die wahre Kraft, die in dem Text wirkt und die zweite Komponente als Vehikel benutzt.
Diese zweite Komponente sind die geschickt eingeflochtenen, immer tiefer verwobenen Irritationen, die aus der scheinbaren Wirklichkeit (in der man den Text zunächst verortet glaubt) eine Anderswelt machen, eine alternative Wirklichkeit, die sich bei Cortázar aber nicht als fremd entpuppt, sondern nur einen unscheinbaren Hauch entfernt ist und oft in einem kleinen Schritt, mit einer Bemerkung, in den Text eintritt und alle Spielregeln ändert. Diese Verschiebung ist immer wieder großartig zu beobachten und vollzieht sich auf so unterschiedliche Arten und Weisen, dass sich die Überraschung und Bewunderung angesichts dieses Kniffs nicht abnutzt; die Gewänder und Pointen, Ausgangspunkte und Verläufe sind vielfältig, geistreich, teilweise würde ich nicht zögern sie als genial zu bezeichnen.
Die aus dem Quasi-Nachlass stammende Erzählung „Die Katzen“ (in dieser Edition übersetzt von Henriette Terpe und Frank Henseleit, allerdings zweisprachig abgedruckt) ist ein Text aus dem Jahr 1948, kurze Zeit bevor die ersten wichtigen Erzählungen publiziert wurden. In ihr wird man keinen Tropfen jener erzählerischen Magie nach Art der zweiten Komponente finden – es gibt keine phantastischen Elemente in dieser Erzählung. Dafür tritt der erste Aspekt noch stärker hervor und die typische Aufgeladenheit einer Cortázar-Erzählung wird hier allein über den Aspekt des Emotionalen erreicht (die ja in ihren Extremen auch etwas Phantastisches, Transzendentes hat).
Schauplatz ist das Haus einer argentinischen Familie in den 40er Jahren. Carlos María wächst zusammen mit seiner Cousine im Haus seiner Eltern auf; ihre Eltern sind tot, wobei die Geschichte ihrer Herkunft nicht ganz klar ist. Die beiden Kinder spielen Verstecken, Fangen und Cowboy und Indianer – letzteres ein Spiel, das Carlos María bevorzugt, weil er seine Cousine dabei an den Marterpfahl binden kann, wo sie ihm ausgeliefert ist.
Schon zu Anfang wird klar, dass „Die Katzen“ die Geschichte einer Obsession werden wird, eine starke Anziehung zwischen den Heranwachsenden im Mittelpunkt steht. Im weiteren Verlauf wird zunächst das Widerstreben behandelt, das die beiden in Bezug auf ihre Zuneigung zueinander an den Tag legen. Die Mutter hält sie, kaum sind sie dabei in die Pubertät einzutreten, möglichst fern voneinander – und bald gesellt sich auch ein neuer Verehrer der Cousine dazu …
„Die Katzen“ ist vordergründig eine Geschichte vom Erwachsenwerden, mit einen leichten Hauch von Tabu versehen, der dann und wann hervorblitzt. Vielmehr als um die verbotene Liebe zwischen den gemeinsam aufgewachsenen Kindern, geht es um die, als prekärem Einschnitt empfundene, allgemeine Aufwallung des Begehrens; jenen Wunsch sich mit jemandem zu balgen, spielerisch wie einst als Kind, aber mit einem unterschwellig-heftigen Drang, der auf irgendeine Art und Weise „weiter“ gehen will. Keusche Verehrung und rasender Nähe- und Besitzwunsch prallen aufeinander, zusätzlich verstrickt in die sozialen Konventionen und die sich täglich wandelnden Verhältnisse, sowie die unklaren Dimensionen, als die sich die Gefühle der anderen Menschen darbieten und die man nicht aufdecken kann, nur schwerfällig ausdeuten.
Diese emotionale Achterbahnfahrt, mit all ihren kleinen Momenten, Wendepunkten, Erschütterungen, fährt Cortázar in seiner Erzählung ab, zeichnet jede neue Facette gekonnt und unreißerisch nach. Man kann den beiden Übersetzer*innen und Nachwortschreibenden nur danken, dass sie diesen Text ausgewählt haben (sowie dem Lilienfeld Verlag, dass sie ihn publiziert haben), denn in ihm wird eine weitere Qualitätsfacette von Cortázars Werk greifbar. An alle daher die Empfehlung – lesen!
Zu Marjorie Agosins Gedichtband über die Shoa und die Erinnerung ihrer Familie
Dichter mit der Virtuosität des Himmels – Einblick in Federico Garcia Lorcas Gedichte in drei Kapiteln
I – Dichtung vom Cante Jondo
“In dem gelben
Turm der Kirche
läutet eine Glocke.
Auf dem gelben
Winde öffnen
sich weit die Glockentöne.
In dem gelben
Turm der Kirche
höret auf die Glocke.
Der Wind macht aus dem Staube
verwehnde Silberbüge.”
Federico Garcia Lorca gehörte zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Überschattet werden seine beinah universellen Kompetenzen auf den Gebieten des Dramas und der Lyrik (man könnte ihn von ungefähr mit Bertolt Brecht vergleichen, suchte man ein deutsches Äquivalent) jedoch bis heute durch seinen dramatischen Tod (1936, ermordet durch die Guardia Zivil von Franco) und die Fixierung der Nachwelt auf einige wenige Werke – im Drama seine sehr späten sozial-kritischen Stücke, in der Lyrik seine surrealen Exzesse aus Dichter in New York.
Dabei gehört meiner Meinung nach Garcia Lorcas lyrisches Gesamtwerk, von den frühen Romanzen, bis zu den New York-Gedichten, zu den schönsten und innovativsten Poesie-Werken überhaupt. Es ist von magischer Vollkommenheit und verbindet Romantik, Avantgarde und Symbolismus auf ganz eigene, zwischen Melancholie und Erhebung, Glanz und Gloria zerrissene, Weise.
“Die Nacht verdichtet sich wie hundertjähriger Wein. Im Morgengrauen öffnet die große Schlange des Südens ihre Augen, und die Schläfer haben ein unendliches Verlangen…”
“Dichtung von Cante Jondo” gehört zu den frühen Gedichtwerken. Unmittelbarkeit, Minimalismus und manifestierende Metaphern (siehe oben: Hundertjähriger Wein) prägen das ruhige Bild dieser Verse; auch das dieser Rezension vorrangstellte Gedicht wurde von Lorca mit der Anmerkung “im tiefsten Gitarrenbass” versehen.
II – Dichter in New York
“Auf der Terrasse kämpft’ ich mit dem Monde.
Schwärme von Fenstern durchlöcherten einen Schenkel der Nacht.
Aus meinen Augen tranken des Himmels sanft Kühe.
Und an des Broadways Fensterscheiben, grau wie Asche, klopften
die Brisen mit sehr langen Schwingen.”
Viele Facetten hat das Werk „Dichter in New York“ und ich möchte nicht zu weit ausholen, auch wenn es viel zu diesem Werk zu sagen gäbe, da die Verstörung und Begeisterung, die es wie einen Schmetterling, der einen Orkan beschwört, erscheinen lässt, letztlich verraucht, schwer mittelbar ist.
Surreale und paradierende Gänge sind es, die Garcia Lorca, gleich einem rollenden Augenapfel in einem Ungeheuer von Stadt (dem Big apple) niederschreibt, ausufernd und doch immer so nah an einem festen Eindruck, dass surreal schon fast wieder zu einfach gegriffen ist. Es sind Poetisierungen, aber voller Winkel, in denen sich viel wirklicher Schmutz ansammelt und verschmiert.
Der wichtigste Punkt, zu dem Ich hier noch etwas mit einbringen will, ist der der Übersetzung. Wer also gerne inhaltlich beraten werden will, den verweise ich auf die gesetzten Textbeispiele.
“Ich.
Es gibt kein neues Zeitalter, kein neues Licht.
Nur ein azurnes Pferd und einen Morgenanbruch.”
Ich habe “Dichter in New York” in der alten Übertragung von Enrique Becks gelesen (so noch zu finden in der hervorragenden Werkausgabe in drei Bänden und der handlichen Insel-Ausgabe der Gedichte, außerdem natürlich in der Suhrkamp-Bibliothekfassung von Dichter in New York. Da ich des Spanischen nicht mächtig bin, mag meine Stimme wahrscheinlich (zu Recht) kaum Gewicht in dieser Debatte haben, doch möchte ich trotzdem hier einmal leise gegen die Kritik an Becks Übersetzung protestieren.
Schon immer sind Neuübersetzungen großer Werke mit abschätzigen Bemerkungen gegen die alten Übersetzungen einhergegangen. Bei Hemingway, bei Dostojewski, bei Rimbaud, Baudelaire undundnund… vielleicht nicht immer zu Unrecht. Doch man sollte mittlerweile vorsichtig sein, es pauschal zu tun.
“Das Heulen
ist eine lange violette Zunge, welche hinterlässt
Entsetzensameisen und Liliensaft.”
Im Mittelpunkt steht beim Übersetzen/Übertragen immer die gleiche Problematik: Wortgetreu und stil-nah übersetzen oder versuchen Intention und Aussage des Künstlers in die eigene Sprache zu transferieren – was nicht das Gleiche ist, wenn auch manchmal beides geht, ohne eines zu vernachlässigen!
Viele Übersetzer wählen den Mittelweg und fahren gut damit. Wenn der Übersetzer selber ein Dichter ist, wird er zwangsläufig versuchen, die poetische Nuance, das besondere Fluidum des Gedichts zu retten, ganz egal, ob das durch die erste oder zweite Variante geschieht.
Übersetzen ist auch eine eigene Kunstform und fast schon die Schaffung eines neuen Werkes. Deswegen ist es auch bei diesem Genre oft so wichtig zwischen Übertragung und Übersetzung zu unterscheiden. Was Enrique Beck gemacht hat, ist sicherlich eine Übertragung (so steht’s auch in meinem Band), die sich auch noch etwas an seiner Vorstellung von “poetisch” orientiert haben wird, die zugegeben etwas zu sehr an diesem Wort hängen mag und deren heute als zu erhaben angesehene Geste. Aber: zu behaupten die neue Übersetzung sei garantiert mehr im Sinne von Lorca gewesen, dass halte ich für sehr vermessen (die Toten zu rekrutieren ist an sich fragwürdig). Lorca hätte nie auf Deutsch geschrieben, von daher ist es wider dem Sinn, dass irgendeine deutsche Fassung von sich behaupten kann, die einzig getreue Übersetzung zu sein. Übersetzen ist interpretieren. Lyrik ist Spiegel. Zu behaupten in einen Spiegel müsse man so sehen, dass das richtige heraussieht …
Jedoch: Natürlich muss die Übersetzung mit der Zeit gehen und neue Übersetzungen will ich daher auch nicht hinter die alten stellen, ganz im Gegenteil. Solange aber Becks Dichtungen mir das Gefühl geben, die Schreie zu bemerken und die Klagen dieses Werkes zu verstehen, kann ich sie nicht als unzureichend oder ungemäß ansehen – und ob die nüchterne, neue Version jetzt so sehr der spanischen Sprachwirksamkeit entgegenkommt, wo die deutsche Sprache eine ganz andere hat, will ich auch noch mal still bezweifeln.
“Gleich sah man, dass der Mond
ein Pferdeschädel und die Luft
ein dunkler Apfel war.”
“Die Nacht hat’ einen Spalt
und ruhige Salamander, elfenbeinern.
Es trugen die amerikanischen Mädchen
Kinder im Bauch und Münzen…”
Soviel zu der Übersetzung. Hiernach kann ich nur noch mal sagen, dass, ganz egal in welcher Übersetzung, dieses Buch eine surreale, kantige, buntblutige Freude ist, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Sie ist die Krönung eines großen dichterischen Werkes und als solche schon von unermesslichem Reichtum, aber durch ihre unnachahmliche Kraft und Schönheit, weiß sie das auch jedem einzugeben.
“Ich strauchle schwankend durch die harte, feste Ewigkeit
und Liebe endlich ohne Morgengrauen. Liebe. Sichtbare Liebe!”
“und wer den Tod da fürchtet, trägt ihn auf den Schultern”
III – Diwan des Tamarit
“Niemand hatte je den Duft erfahren
von deines Bauches dunkler Magnolie.
Niemand wusste, dass ein Liebeskolibri
du zwischen deinen Zähnen hast gemartert.”
Die letzten Dichtungen Federico Garcia Lorcas weisen ihn noch einmal als einen großen Sprachmagier und elementaren Dichter aus. Bedrückende Verse, doch voller Schönheit.
Diwan des Tamarit musste postum veröffentlicht werden, ebenso wie die über Jahre nicht vollendeten Sonette der dunklen Liebe, zu denen der Diwan quasi gehört.
“Tausend kleine Perserpferdchen schliefen
auf dem Mondesplatz deiner Stirne.
während ich vier Nächte deine Hüften,
Feindinnen des Schnees, umschlungen habe.”
Unerklärliche Trauer, Lust und nahe Dunkelheit – der Einband in Lila und Schwarz von Suhrkamp wirft es voraus – sind die zentralen Themen dieser Gesänge und Betrachtungen, die scheinbar von Lorca teilweise nach altindischer Form geplant waren; zumindest tragen einige der Werke Titel wie “Gasel von der unvermuteten Liebe” oder “Kasside von der Wehklage”, beides altindische Gedichtformen.
“Ich habe meinen Balkon geschlossen,
weil ich nicht hören will die Klage,
doch hinter dem grauen Gemäuer
hört man nichts anderes als die Klage.”
Lorca lyrisches Gesamtwerk ist beeindruckend, aber wie bei Brecht und seinen Buckower Elegien, ist dies letzte Werk auch bei Lorca, dieser letzte Federstrich, das Anrührenste unter allen, obwohl die Thematik manchmal eher abgründig und abweisend wirken kann. Sprachlich ist dies Werk jedoch so vollkommen, so mündend wie ein Fluss, dass vielleicht der Inhalt sogar letztlich zurückstehen muss, hinter so viel unbedachter Schönheit.
“Ich will, dass das Wasser bleibt ohne Flussbett.
Ich will, dass der Wind bleibt ohne Täler.”