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STILL #5, Literaturzeitschrift in Berlin/New York, besprochen


auf fixpoetry.com

Klaus Merz: “Unerwarteter Verlauf”


“-Wechselkurs-
Vom helleren Licht
hinter den Scheinen
erzählt das Gedicht.”

Wenn man von filigraner Sprache spricht, ist mehr gemeint, als nur Präzision oder Sensibilität oder Ästhetik. Es ist die Kunst aus wenigen Worten ein mehrdimensionales Erleben zu schaffen, mit Sprache etwas zu erschließen, was über ihre normalen Zusammenhänge hinausgeht (nur, weil man über etwas nicht sprechen kann, ist es noch nicht, so weiß das Gedicht, von der Sprache ausgeschlossen). Insofern ist jedes Gedicht auch so etwas wie eine kleine Wette auf die ahnende Kraft der Sprache – gegen ihr bloßes Existieren in Begrifflichkeiten.

“Regen fällt und sickert
durch die Friedhöfe
der Welt.”

Je filigraner die Sprache ist, je knapper die Gesten, desto mehr wird ihr Erleben, ihre Aufnahme, zu einer sich ausbreitenden Wahrnehmung. Ein Gedicht findet nicht nur Zusammenhänge, sondern löst sie auch auf – damit wir sehen, was wirklich da ist, was hinter Austauschbarem und Verkopftem liegt, was wir nicht vergessen dürfen. Schon in einem sehr simplen Anfang, wie dem Dreizeiler über diesem Abschnitt, wird uns etwas bewusst – was ist es? Eigentlich ist diese Betrachtung ja bloß eine Tatsache, an die wir eben nur nicht immer denken. Aber ist es nicht noch mehr? Steckt darin nicht auch ein Sinnbild? Und ist es nicht auch einfach eine wunderbar stimmige Art, Gehirn und Schönheit zusammenzuführen, ein Sprachgemälde, das man im Kopf wenden kann, immer weiter, immer wieder, wie einen kleinen, heimlich-schönen Kunstgegenstand?

“Sie sei dem Vergessen
anheimgefallen, hör ich
dich leise sagen: Was
für ein zarter Satz und
voller Geborgenheit”

Klaus Merz, schon ein gestandener Dichter, hat mit diesem Band ein leises Werk abgelegt, das auf den ersten Eindruck zwischen allen Stühlen zu stehen scheint. Kurze, fast aphoristische, komprimierte Poesie, einige wenige längere Gedicht und ein Zyklus – letzterer hat eine besondere Schönheit inne: eine beeindruckende, ganz eigene, leichte Metamorphose aus eigenständigen Metaphernpatzellen und Empfindung, tief und fließend, sinnlich und subtil – das alles auf knappen 75 Seiten. Filigran (wie oben bereits ausgeführt) ist, glaube ich, das beste Wort, um die Intensität dieses Buches auf diesem knappen Raum, die Vorgänge innerhalb der Räume dieser kurzen Gedichte, halbwegs, zu beschreiben. Und mit filigran ist eben nicht nur die Sprache selbst, sondern auch ihre Wirkung, das Ausgedrückte gemeint.

Viele Dichter zögern heute, Zärtlichkeit oder Sinnlichkeit in ihren Gedichten auch nur einen Takt angeben zu lassen. Klaus Merz überwindet dies Problem auf seine Weise und graviert beides einfach mit in seine Sprache ein, sodass es nicht offensichtlich und zwingend daraus erwächst oder erwachsen muss, sondern einfach dazugehört, auf einer Grundebene, in den Pausen zwischen den einzelnen Abschnitten; im Langsamerwerden des Lesers, wenn er die kurzen Texte, wie auf einer Penrose-Treppe, immer wieder durchwandert.

Dies alles soll nicht die Subtilität unterschlagen, die Merz Gedichten ebenfalls unverkennbar innewohnt. Jeder Leser kann bei jeder Lektüre nun mal nur ein Gedicht in jedem Gedicht lesen, nur eine Ausdeutung der Zeilen komplett sehen. Dass er aber dahinter noch zwei, drei, zehn andere Gedichte ahnen kann, Bilder, Bedeutungen und Szenerien, weist den Verfasser meist als einen wirklichen Poeten aus. Bei Klaus Merz ist diese Ahnung manchmal geradezu übermächtig.

Wer Sprache nicht nur als schlichten, sondern als universellen Rezeptor erleben will, sollte Gedichte lesen und kann sehr gut mit den Gedichten von Klaus Merz beginnen. Sie sind sehr vielschichtig und doch auch unverstellt, ihre Komplexität verdanken sie keiner plumpen sprachlichen Verzerrung, sondern einer sehr feinen Chiffrierung; ihre Magie ist klein, aber keineswegs simpel und auf eine gewisse Weise ist sie verlässlicher als jede noch so große Genugtuung, die eine klare Aussage uns oft zu bescheren scheint – und das macht das Wesen großer Gedichte wirklich aus.

Link zum Buch

Über Leben, Liebe und nicht zuletzt den Tod… Zum Film “Restless” und seiner wunderbar echten Liebesgeschichte


“Das einzig wichtige im Leben, sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.”
Albert Schweitzer

Woraus besteht unsere Welt, unser Leben, wenn nicht aus Liebe, Problemen und dem Tod? Und hat ein Film nicht noch immer ab und zu die Aufgabe, wie einst das antike Drama, eine Katharsis zu bewirken, ein Bewusstsein für diese zentralen Stellen des Lebens zu schaffen – eine Möglichkeit, sich wieder auf Mitleid, Trost und Glück zu besinnen; das alles, indem er uns eine Geschichte zeigt, in der wir den übergreifenden Sinn vom Am-Leben-Sein erfahren und spüren?

Manche würden im Zusammenhang mit dem Film Restless sicherlich von Kitsch oder von einer reinen Konstruktion aus den Themen Tod und Liebe reden, vielleicht sogar von einer unglaubwürdigen Story. Dass ich diese Meinung verstehe und respektiere, wenn auch nicht teile, möchte ich hier vorweg betonen.

Viele Filme sind interessant, viele andere unterhaltsam. Dann gibt es manche, die bestechen einfach durch ihre Einzigartigkeit, ihre Cleverness, ihre Atmosphäre und sind echte Highlights, die man in froher Erwartung gerne immer wieder sieht. Und zuletzt gibt es einige ganz wenige Filme, die für einen selbst etwas ganz Besonderes sind; Film-Juwelen, die einem wie eine Begegnung erscheinen und auch nach dem Ansehen wie eine Art kleines Wunder.

Vielleicht hängt das mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem man sie zum ersten Mal gesehen hat, vielleicht ist man für eine ganz bestimmte Gefühlsebene, auf der diese Filme arbeiten, so empfänglich, dass sie einen regelrecht durchdringen; vielleicht hat es auch etwas mit den eigenen Erlebnissen zu tun, wenn man z.B. eine bestimme Lebensstimmung, in der man sich einmal befand, in einem Film wieder(auf)findet.

In solchen Filmen begegnen wir einem wesentlichen Teil unserer Ängste, Wünsche und einem wichtigen Teil dessen, was wir in der Welt für schön und wichtig erachten. Für mich war Restless so ein Film.

Enoch, der uns am Anfang des Films vor die Nase gesetzt wird, ohne Einführung und alles, begegnet dem Zuschauer als sehr unnahbarer, fast unsympathischer Junge von 18 Jahren, der scheinbar einen Faible für Beerdigungen hat. „Aha: ein Freak, ein Außenseiter,“ ist die erste Reaktion des Zuschauers, auch meine. Da haben wir also unseren Protagonisten, einer der aus dem Rahmen fällt – damit lässt sich ja was machen.
Doch ganz so einfach ist es nicht und man muss es dem Regisseur sehr zu Gute halten, dass dieses Außenseitertum nicht der alleinige Angelpunkt der Story ist, sondern die Geschichte sich darum herum und darüber hinaus entwickelt, zu etwas Unspektakulärerem, aber wirklich Berührendem, so leicht wie ein Kuss, so schwer wie dessen Botschaft und Wirkung.

Das Leben an sich scheint Enoch nicht besonders zu interessieren; er schirmt sich von allem ab, geht allein auf Beerdigungen von fremden Leuten – bis er auf einer dieser Beerdigungen Annabel trifft, ein Mädchen, dass für seine sonderbare Natur kein Unverständnis, sondern Interesse zeigt, was er zunächst abblockt. Doch schon nach einigen weiteren Begegnungen gehen die beiden über ihre Handikaps hinweg und verbringen immer mehr Zeit miteinander – eine erste Liebesgeschichte scheint sich schleichend und unwillkürlich anzubahnen … Doch wie verläuft eine solche Geschichte, wenn es kein Happy End geben kann … ?

Die Geschichte, die erzählt wird, ist nicht sehr kompliziert und kommt mit wenigen Figuren und wenigen Höhepunkten aus. Spannung kommt nicht im eigentlichen Sinne auf und mal abgesehen davon, dass der Tod in diesem Film weder eine nebensächliche, aufräumende, noch eine humorvolle Rolle spielt (wie sonst so oft) ist dieser Film zwar etwas ungewöhnlich, still und hat seine eigenen kruden Kleinigkeiten, aber er ist keineswegs formal experimentell oder Neuland. Wenig gereicht ihm also, überraschungstechnisch, zum Vorteil – wäre da nicht die wirklich sehr subtile Poetik und die tiefgehende Schönheit seiner Botschaft, die sicherlich schon oft angebracht wurde, aber selten in einem so natürlichen Gewand. Mit dazu gehört auch sein unverfänglicher, manchmal schräger Humor, der kaum einen einzigen Lacher, dafür jede Menge Lächeln aus einem hervorholt.

Restless ist kein Film der viel riskiert oder viel Aufsehen erregt – und doch ist er gerade deswegen etwas Besonderes. Es ist einer dieser Filme, der einem nicht einfach die Aussichten präsentiert und einen schon vor dem Ansehen für sich einnimmt, einen nicht mit seiner Monumentalität oder seinen Stars und einigen Gags einfängt, sondern ein Film, auf den man sich wirklich einlassen muss, ein Film, den man wie ein Buch lesen muss, Seite für Seite, dem man Begegnen muss und der einem nicht einfach mit seiner Geschichte ins Haus marschiert kommt. Doch dafür ergeben sich aus diesem sehr leichten Geflecht ein paar wirklich wunderbare Momente, Szenen und letztlich auch eine tiefe, übergreifende Emotionen. Trotzdem ist es natürlich auch kein Film für jedermann und ich hoffe, dass nach dieser Beschreibung jeder selbst ein wenig besser beurteilen kann, ob er ihn kennenlernen will oder nicht. Dann wäre der Sinn dieses Textes schon erfüllt.

Letztendlich ist es vor allem eine wunderbar echte Liebesgeschichte und deswegen allein lohnt es sich, ihn anzusehen…

 

Link zum Film: http://www.amazon.de/Restless-Mia-Wasikowska/dp/B0063DOMPM/ref=cm_cr_pr_pb_t

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen.

 

 

So still – Ein paar Zeilen zu “Das Mädchen mit dem Perlenohring”


Gerade einmal 19 Jahre alt war Scarlett Johansson als sie 2003 zwei große stille Rollen spielte: Die der Charlotte in Lost in Translation und die der Griet in diesem Film über eines der schönsten und subtilsten Gemälde holländischer Malerei. Ihre schauspielerische Leitung war in beiden Filmen äußerst beeindruckend; der einzige Unterschied zwischen den beiden Rollen, abgesehen von den physischen Einzelheiten der Filmplots, war die Art des Schweigens: In “Lost in Translation” ging das Schweigen hinaus in die Welt; hier, in diesem Film, geht es tief hinein, in die unterste Ebene der Gefühle und des Eindrucks.

Handlung:
Die Familie der 17jährigen Griet kann sie nicht mehr miternähren, ohne dass sie selbst arbeiten geht. Sie wird als zusätzliche Magd im Haushalt des damals schon bekannten Malers Johannes Vermeer angestellt. Es gehört dabei auch zu ihren Aufgaben, das Atelier des Malers zu reinigen. Langsam entwickelt sich über diese Tätigkeit hinweg eine Faszination für die Malerei und auch für den Maler selbst, der diese Kunst erschafft. Vermeer seinerseits erkennt früh Griets Affinität zu seiner Kunst und auch ihr Talent Kunst zu verstehen; und ihr Profil regt seine künstlerische Phantasie an. Aber auch die Aufmerksamkeit von Vermeers wichtigstem Mäzen hat die blasse, schöne junge Frau schneller gewonnen, als ihr lieb ist…

Selten habe ich einen so stillen, bedächten Film gesehen. Ganz entfernt ist dieses subtile, fast immer unterschwellige Kunstgemälde vielleicht noch mit Barry Lyndon von Stanley Kubrick zu vergleichen, auch wenn es nichts von dessen offensiver und pompöser Statur hat, aber genauso wie dieser Film lebt auch “Das Mädchen mit dem Perlenohrring” fast gänzlich aus seinen Bildern und Eindrücken heraus. Selten kann etwas in diesem Film als bestätigte Handlung gesehen werden; die Spannung, die Schönheit, die Kraft ergibt sich nicht aus einer allem einzelnen übergeordneten Geschichte, sondern aus dem Zusammenspiel der Personen im Haus des Malers und außerhalb in einzelnen, bildhaften Momenten. Das berühmte Gemälde ist dabei zugleich Akteur und Mittelpunkt, steht aber nicht im Fokus des Films. Eigentlich steht nichts dauerhaft im Fokus des Films, außer Griet und die Zwischenräume der Stille. Den Titel einer anderen Rezension “Rausch ohne Rauschen” empfand ich als sehr treffende Beschreibung dieses Zustandes.

Wer einen Film und seine Szenen als Kunst sehen kann, die meist über ihre Bilder mit dem Zuschauer kommunzieren, der wird diesen Film lieben. Vielen Leuten, die eine spannend historisch aufgemachte Geschichte erwarten, denen wird der klare Fluss dieses Films vielleicht zu dünn oder zu karg erscheinen. Die schauspielerischen Leistungen sind allesamt als stark zu bewerten und ein Genuss für sich. Wer mehr braucht, dem ist abzuraten.

Link zum Film: http://www.amazon.de/Das-M%C3%A4dchen-mit-Perlenohrring-DVDs/dp/B0007W9DJU/ref=cm_cr_pr_pb_t

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen.