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Eine CD mit Gedichten von Mascha Kaléko, gesprochen von Katharina Thalbach


Solo für eine Frauenstimme Als ich heute wieder Mahlers „Dritte“ hörte,
Umfingen mich die Schatten alter Zeit,
Und auf den Schwingen der Unendlichkeit
Entfloh ich dieser Stadt und dem Getriebe,
In das Gewoge der Vergangenheit,
In das Vineta unsrer ersten Liebe.

Melancholie und sehnsüchtige Hoffnung und gleichzeitig ein Reden wie einem „die Schnauze (und das Herz) gewachsen ist“: Mascha Kalékos Gedichte sind Kur und Kür für jedes gebrochene Herz, jede Einsamkeit, das Fernweh und die Angst vor dem Verlust. Katharina Thalbach betont als Sprecherin dieser Edition vor allem das Sanfte ihrer Verse, das Langende – worunter Witz und Ironie erstaunlicherweise nicht leiden: sie blühen, natürlich ungleich zarter, weniger scharf, in ihrer Stimme geradezu auf.

Auch die Auswahl der Gedichte ist sehr gut (wobei einiges, wie etwa das wundervolle “An mein Kind” und einige spitzere Epigramme, mir persönlich zwar fehlen, aber das hat mit Vorlieben zu tun), die Essenz von Kalékos Themen, Tönen und Facetten wird durch die Auswahl ohne Frage stimmig repräsentiert. Auch die Dramaturgie, mit den Liebesgedichten am Anfang, gefolgt von des Exilgedichten und abgerundet von den Lebensgedichten, ist gelungen.

Es freut ungemein, diese CD im Schrank und auf dem Rechner zu haben, um dann und wann das ein oder andere Gedicht nicht nur zu lesen, sondern von ihm durch das Lebendige der menschlichen Stimme berührt zu werden.

Ein Gedicht trieb mir geradezu Tränen in die Augen; eines der wenigen von Mascha Kaléko, das keinen durchgängigen Reim verwendet, nichts Spitzes hat, sondern sich auf geradezu haltlose Weise einem Moment des Herzens, einem Moment jenseits des Geregelten verpflichtet; Katharina Thalbach gelingt eine über die Maßen wunderbare Interpretation dieses “Post Scriptum”, von dem das Gedicht erzählt: Das lyrische Ich, das einen Geschäfts-Brief seines Verlegers überfliegt, übersieht dies Post Scriptum fast. Es lautet:

Nun, da mein Leben sich dem Abend zuneigt
und jenes dunklen Engels Flügelschlagen
schon manche Nacht den Herzschlag übertönt,
will ich, Verehrteste, es ein Mal sagen:
Ich habe dreißig Jahre Sie geliebt.

Nun liegt ein Weltmeer zwischen mir und Ihnen.
Und immer warte ich, dass noch ein Brief,
kein Liebesbrief und doch ein Schmetterling,
in mein mit Akten tapeziertes Leben
flattert.

In diesem Sinne: Mascha Kaléko hören und lesen. Für und gegen das Herzweh, für und gegen des Engels Flügelschlag.

Kleine Empfehlung zu “Vox” von Nicholson Baker


“Und überhaupt wollte ich darüber auch gar nicht reden. Ich meine bloß, ich saß hier nach dem Abendessen in meiner wunderbar ordentlichen Wohnung, und ich sah diesen großen Witz von einer Anlage, und ich schaltete sie an, und der Himmel wurde dunkler, und die ganzen roten und grünen Lichtchen auf dem Receiver waren wie Bojen im Meer oder so was, und allmählich kriegte ich so ein Gefühl, wie es ja zu erwarten steht, traurig, glücklich, resigniert, geil, eine Kombination aus allem, und plötzlich fand ich, dass ich jetzt lange genug tugendhaft gewesen war und eigentlich doch masturbieren sollte, und ich dachte, halt, Abby, nicht bloß so eine kurzatmige Masturbationssession, heute machen wir ein bisschen was Besonderes, um einen besonderen Tag zu krönen, ja?”

Nicholson Baker gehört zu jener Gruppe großartiger, amerikanischer Autoren, die seit jeher unter im Schatten ihrer großen Virtuosen (wie Jonathan Franzen, John Irving, Philip Roth oder Norman Mailer oder Gore Vidal, Pynchon oder Don Delillo) standen, obwohl sie eigentlich sehr gelungene (kleine) Bücher schreiben, die, wenn es ihnen auch an Breite und Hoheit mangelt, meist sehr viel menschlicher, einfühlsamer und unterhaltsamer sind, als die Brocken ihrer Kollegen. Neben Baker sollten hier, dieser Kategorie ebenfalls lose zugehörig, noch Charles Simmons (Salzwasser oder Geständnisse eines ungeübten Sünders) und Denis Johnson (Train Dreams) erwähnt werden.

Bei Vox stimmt alles, die Idee, das Feeling, die Authentizität der Wendungen und vor allem die Figuren.
Das ganze Buch ist ein einziger Dialog, ein Telefongespräch, mit einigen wenigen erzählerischen Anmerkungen. Ein Telefongespräch, das, begonnen aus dem Verlangen nach Lust, schnell zu einem Gespräch über die Verirrungen und Verwirrungen und Schönheiten der körperlichen Anziehung und den geheimen Fantasien der Lust und Liebe wird.

Es steckt viel Wahrheit in diesem Buch; auch viel an Allgemeinplätzen, auch ein bisschen Scham, aber das ganze umweht ein irgendwie mysteriöser Ton von Glück.
Bei dem Zusammenspiel der beiden Charaktere fühlte ich mich ein wenig an Gut gegen Nordwind erinnert. Wenn die Themen auch ungleich frivoler sind, liegt doch auch hier, genau wie bei Glattauer, beiden Charakteren eine unverhohlene, ehrliche Sympathie zu Grunde – und Baker schafft es diese auch noch unglaublich menschlich darzustellen. Wer gegen diese Sympathie immun ist, für den, glaube ich, ist das ganze Buch ein Reinfall. Aber wer sie für sich gewinnen kann, sich einlässt, der wird ein sehr schönes, erotisches, nicht gerade lasches Intermezzo genießen können, ein Spiel, wie es das Leben selbst oft ist: geheimnisvoll der Gesprächspartner, tief das Gefühl, bleibend die Bilder, unzerstörbar der Wille, frivol das Erleben, sinnlich das Wesen.

Link zum Buch

Diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen.