Tag Archives: Südstaaten

Zu Eudora Weltys “Die Tochter des Optimisten”


Die Tochter des OptimistenHauptsächlich wegen ihrer Kurzgeschichten (aber auch wegen diesem, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman) gilt Eudora Welty als eine der wichtigsten US-Amerikanischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, als Chronistin der Südstaaten und als weibliches Pendant zu William Faulkner. Zeit ihres Lebens wurde sie mit vielen Ehrungen bedacht und ihre Geschichten sind in manchen Südstaaten sogar Schullektüre.

Ihr letzter Roman (sie brachte danach nur noch Kurzgeschichten heraus) „Die Tochter des Optimisten“ spielt in Mississippi. Darin reist die Tochter des über 70jährigen Richters Judge McKelva, Laurel, aus Chicago an, um ihren Vater und dessen stets semi-hysterische, junge Gattin (sie ist wenige Jahre jünger als die Mitte 40jährige Tochter) zu einem Arzttermin zu begleiten. Es stellt sich heraus, dass die Netzhaut auf dem einen Auge eingerissen ist. Der Arzt führt eine Operation durch, nach der sich das Auge lange erholen muss, während der Patient ebenfalls ruhen und möglichst durchgehend stillliegen soll. Man richtet sich also im Krankenhaus ein.

Zwischen der Frau Fay und der Tochter Laurel geht es von Anfang an nicht heiter zu – Fay empfindet die Behandlung ihres Mannes und die Auflagen des Arztes als eine Zumutung und hat immer und überall etwas zu meckern, gleichzeitig ist sie ausgenommen weinerlich und neigt zu Ausfällen jeglicher Art. Laurel versucht die Verbindung zu ihrem Vater zu stärken, liest ihm vor und versucht sich nicht anmerken zu lassen, dass sie einen kleineren Kulturschock durchmacht. Stoisch erträgt der Richter, seit jeher ein stichelnder Optimist, seine Genesungsauflagen. Doch allmählich scheint er auf dem Krankenbett in sich zusammenzufallen, in seinem Schweigen und Ruhen zu versinken …

Welty zeichnet in dem Buch ein minimalistisches, aber dennoch bestechendes Bild einer Südstaatengesellschaft, die sich in mitgehörten Gesprächen ausbreitet und die auch sonst überall subtil mitschwingt, ohne genau umrissen zu werden; wie bei William Faulkner ist ihre Darstellung dabei ungeschönt, aber auch ohne jede hinzugemischte Kritik. Sie lässt die Leute sprechen und man selbst denkt sich seinen Teil.

„Die Tochter des Optimisten“ ist ein langsames, sehr unspektakulär verfahrendes Buch, das vor allem in seinen Beobachtungen, seiner Präzision in den Dialogen glänzt. Für europäische Leser*innen erscheint es möglicherweise etwas weltfremd. Doch wer gerne Zwischentöne heraushört und bei einem Buch die unaufdringliche und unspektakuläre Entfaltung schätzt, der wird wohl kein besseres Buch finden als Weltys Roman.

NACHTRAG: Der Roman gehört zur rowohlt repertoire-Reihe, im Zuge derer der Verlag viele alte & vergriffene Titel neu auflegt. Darunter auch viele Titel von Autorinnen wie Susan George, Daniela Dahn, Ann Fairbairn, Ricarda Huch u.v.a.

Schöne Depressionslektüre – zu “Ein konföderierter General aus Big Sur”


Ein konföderierter General aus Big Sur Was kann man noch lesen, wenn gar nichts mehr geht? Zugegeben eine eher unangenehme, unschöne Frage. Aber sicher keine abwegige.

Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk schrieb über seine Thomas Bernhard-Lektüren, die ihm vor allem in depressiveren Zeiten geholfen hätten. Ein Freundin von mir spricht oft davon, dass man, wenn gar nichts mehr geht, nur noch Kafka lesen kann – dann könne man die Schwelle in Kafkas Schreiben und Denken erst richtig begreifen und sich mit seinem eigenen Abgrund auseinandersetzen, sich hineinstürzen ohne wirklich zu stürzen. Michel Houellebecq beschreibt ausführlich, dass ihm H.P. Lovecrafts Antiwelteinstellung immer eine perverse Art von Trost gegeben habe. Ein anderer Freund empfahl mir, bei Traurigkeit Cioran zu lesen, was vielleicht ein Witz war, vielleicht auch nicht.

Ich selbst habe immer nur vier Dinge lesen können, wenn gar nichts mehr ging: Douglas Adams Hitchhikers Guide, Mascha Kalékos Gedichte, Susan Sontags nachgelassene Texte aus „Zur gleichen Zeit“ und Richard Brautigans Gedichte und Romane. Im Prinzip sind auch dies (wie alle erwähnten Beispiel oben) Werke voller Hoffnungslosigkeit (und darin mitunter voller Hoffnung, denn die gehört, obgleich das Wort es zu verschleiern sucht, zur Hoffnungslosigkeit dazu).
Mascha Kalékos Melancholie und Bitterkeit, die Worte eingefärbt von ihrem traurigen Schicksal. Adams turbulent-phantastischer, brillanter Versuch eines heiteren Zynismus. Sontags entfaltetes, großartiges Denken, gefangen im Bild, in den Grenzen ihres Sterbens. Und Richard Brautigans Romane, Utopien ohne Halt, der Wirklichkeit entfremdet und ohne Chance, ihr zu entgehen, immer im Versuch etwas schöner, etwas besser zu sein als sie, ohne sie zu verlassen.

1964 erschien dieser erste seiner Romane, über zwei Freunde, die versuchen im Kalifornien der 60er Jahre über die Runden zu kommen. Beide sind sie so etwas wie Tunichtgute, Allerweltsverlierer, meist nur auf der Suche nach etwas zu essen, einer netten Frau, einem Drink. Im ganzen Roman geht es eigentlich nur darum, wie sie versuchen zu überleben und ein erträgliches Dasein zu haben, der Trostlosigkeit ein Schnippchen zu schlagen, mal hier, mal dort. Brautigan würzt diese Versuche mit einer Menge unprätentiöser, poetischer Komik und Szenen voller improvisiert wirkender und unschlagbarer Vergleiche und Beschreibungen wie diesen:

“Die Nacht kam herein und borgte sich das Licht. Sie hatte sich zuerst bloß für ein paar Cent Licht geborgt, aber jetzt borgte sie sich jede Sekunde Licht für Tausende von Dollars. Das Licht würde bald weg sein, die Bank geschlossen, die Kassierer arbeitslos und der Bankdirektor ein Selbstmörder.”

“Sie lachten beide. In Elizabeths Stimme war eine Tür. Wenn man die Tür aufmachte, fand man noch eine Tür, und wenn die Tür offen war, noch eine andere Tür. Die Türen waren alle hübsch und führten aus ihr hinaus.”

Diese Passagen schweben über dem Text, in ihnen entkommt man, mit einem erstaunlich freien Lachen und Staunen, für einen Moment der ganzen Schwere, die im Leben liegt (aber auch im Text, im Erzählen, im Denken, etc.) und der das Lebendige entgegenzuwirken versucht. Und es ist dies Lebendige, das in Brautigans Gedichten und Romanen immer wieder durchkommt, in seinen Erzählungen und Kurzprosastücken. Als wollte er eine neue Faszination der Welt begründen und doch von den ganz einfachen Dingen sprechen, drehen sich seine Romane um außergewöhnliche, aber eigentlich ganz unspektakuläre Momente, die sich aneinanderreihen, in immer neuen, meist kurzen Kapiteln aufziehen. Zwischen Märchen und bitterem Ernst, Gelassenheit und Abgrund.

Mit Brautigan kann man an der Welt zugrunde gehen und gleichzeitig ihre ganze, absurde Schönheit betrachten, ihr alles entgegenhalten und nichts. Deswegen kann man sie wohl noch lesen, wenn eigentlich gar nichts mehr geht. Weil die Welt darin still steht und doch in jeder Facette funkelt wie eine Discokugel. Sie zeigen das Leben wie es ist: absurd schön und trotzdem größtenteils ein Ort, an dem das, was man braucht (zu brauchen glaubt) und das, was man hat, nicht zusammenkommt, weswegen man ohne Ende dabei ist, dieses Zusammenkommen zu ermöglichen.

 

Zu Joan Didions “Süden und Westen”


Süden und Westen „Alles entlang des Golfes scheint zu vergammeln: Wände werden fleckig, Fenster rosten. Gardinen schimmeln. Holz verzieht sich. Die Klimaanlagen funktionieren nicht mehr.“

Golfküstenregion: Wildnis, Abgeschiedenheit, Riten, Rauheit, Zivilisationsabhang. Die drei Staaten zwischen dem weitläufig-erzkonservativen, cowboygeprägten Texas und dem sonnig-paradiesischen Florida, namentlich Louisiana, Mississippi und Alabama, gelten in vielerlei Hinsicht als spezielle US-amerikanische Bundestaaten.

Große Teile der Bevölkerung von dort müssen regelmäßig (wie der Süden von Amerika im Allgemeinen) als Blaupause für jenes Klischees vom hinterwäldlerischen, immer leicht soziopathischen Amerikaner herhalten, stur und allem Fremden gegenüber skeptisch, dabei oft brutal und abgestumpft.

Die Atmosphären in diesen Gegenden, mit denen Schriftsteller und Filmemacher immer wieder gearbeitet habe (zuletzt zum Beispiel in der Staffel 1 der Serie „True Detective“), sind geprägt von einer Mischung aus verquerem Lokalstolz, einfachen Traditionen, Mystik und einem tiefsitzenden Fatalismus (nicht umsonst ist diese Region die Quelle des Blues), der sich aus den zermürbenden klimatischen Bedingungen und der Abgeschiedenheit der Region ergeben.

„Das war ein Fatalismus, der, wie ich feststellte, zu diesem bestimmten Sound des Lebens von New Orleans gehörte. Bananen verfaulten und beherbergten Vogelspinnen. Das Wetter kam über das Radar herein und war schlecht. Kinder bekamen Fieber und starben, häusliche Streits endeten in Messerstechereien […]
der Fatalismus ist der einer Kultur, die von der Wildnis bestimmt wird.“

Joan Didion ist 1970 in diesen Staaten unterwegs gewesen. Zusammen mit ihrem Mann, der aber in den Notizen kaum auftaucht – in den wesentlichen Szenen ihrer Notizen wirkt es so, als wäre Didion allein in den Gespräche, bei den Begegnungen, mit ihren Überlegungen. Eine Frau aus Kalifornien im Kontakt mit Menschen vor Ort.

Die Notizen, die einmal zu einem Artikel über diese Staaten des Südens werden sollten (aber nie wurden), sind in Kapitel eingeteilt, die jeweils Abschnitte der Reise markieren, sodass man allein anhand der Kapitelüberschriften Didions Route auf der Karte verfolgen kann.

Während ihrer Reise kommt sie ins Gespräch mit Menschen, beschreibt die örtlichen Gegebenheiten, ihr eigenes Herausstechen (als einzige Frau, die Bikini trägt, die selber Auto fährt, die so weit weg von ihrer Heimat angetroffen wird), ihren Versuch die Lebenswelt der Menschen zu begreifen.

„Die Abgeschnittenheit dieser Menschen von den Strömungen des amerikanischen Lebens der siebziger Jahre war erschreckend und verblüffend anzusehen. Alle ihre Informationen kamen aus fünfter Hand und waren im Weitergeben mythisiert worden. Spielt es überhaupt eine Rolle, wo XY liegt, wenn XY nicht in Mississippi liegt?“

Trotz der Chronologie wirkt „Süden und Westen“ eher unsortiert, weil die Themen und die Art der Darstellung stark variieren und Zusammenhänge nicht immer erkennbar sind und auch nicht immer geliefert werden. Didion gibt schon am Anfang zu, dass das Buch ein Skizzenbuch ist und des Weiteren vor allem fasst, was ihr unverhofft passierte – sie recherchierte selten bewusst.

„Ich versäumte es, die Menschen anzurufen, deren Namen ich hatte, und hielt mich stattdessen in Drogerien auf. In einem wörtlichen Sinne war ich unter Wasser, diesen ganzen Monat.“

Gerade weil es nur eine Art Notizbuch ist, verblüffen allerdings die Klarheit und der Stil der meisten Schilderungen. Zwar variiert die Darstellung, aber der Fokus in der jeweiligen Darstellung ist immer gestochen scharf und die jeweiligen Überlegungen wirken zwar manchmal willkürlich, sind aber in sich geschlossen.

„Süden und Westen“ ist ein Reisebuch und gut, geradezu angenehm zu lesen. Es streift einen konsequent, aber oft auf eindringliche Art. Manche Abschnitte, wie etwa die Suche nach dem Grab William Faulkners, des Schriftstellers, der diese Regionen so gut beschrieb und doch (oder: deswegen) von den meisten Südstaatlern gehasst wird, bleiben im Gedächtnis.

Alles in allem ist das Buch natürlich auch eine minimale Sozialstudie – inwiefern noch immer gültig, lässt sich schwer sagen. Aber wenn man „True Detective“ sieht oder Bücher wie „Fremd in ihrem eigenen Land“ liest, bekommt man den Eindruck, Didion würde heute, 45 Jahre später, nicht wirklich eine andere Region bereisen.

Nachtrag: Es gibt auch noch ein kleines Kapitel über Kalifornien, in dem es u.a. um den Patty Hearst-Fall geht. Es ist allerdings mehr ein beigegebener Schnipsel und als eigenständiger Text eher nicht ernstzunehmen.