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Eine Polemik zu Steffen Popps “Spitzen”


Spitzen [08] besprochen beim Signaturen-Magazin

Zu “Das Gedicht & sein Double”, einem tollen Album-Band in der Edition Azur


Das Gedicht & sein Double besprochen beim Signaturen-Magazin

Tom Schulz und die “Innere Musik”


“in den schlafphasen vertiefte sich
das Wasser, es wuchs über die Ärmel
Kanäle hinaus, in ozeanischer Form

Musik, die Gesangsfiguren, du konntest
was von dir schwamm, während
Hebung & Senkung, ausufern lassen”

Die Schönheit und Sinnhaftigkeit vieler Gedichte ergibt sich einfach, ist unwillkürlich. In der zeitgenössischen Poesie, die neue Wege betritt, viele Entwicklungen verschärft und den Begriff des Gedichts letztlich nicht mehr nur auf dem Rücken der Sprache, sondern überall an und in ihr ansiedelt, kommt es jedoch öfters vor, dass Gedichte etwas Puzzleartiges oder auch Übereloquentes haben, sich quasi dem Leser mit ihre Sprache entziehen, anstatt ihn damit zu ködern. Auch die Poesie von Tom Schulz neigt dazu, sehr bunte Puzzles zu produzieren, bei denen man sich auf die Zusammenhänge genauso konzentrieren muss, wie auf die einzelnen Teile. Allerdings sind seine Gedichte nicht wirklich kryptisch oder intelligibel, sondern mehr wie eine Collage, bei der jedes der Teile leicht, und doch deutlich, von den anderen abweicht.

“& mit den Füßen
entfernte sich der Kontinent
deiner blütenweißen Haut

wie Schnee trug ich das Delikt
an die Wiege, ich schmiegte
mich zuhauf an lauter Schmetterlinge
die zuhauf in Schönheit starben”

Zugutehalten muss man ihm: er scheut sich nicht, sprachliches Konfetti zu werfen. Und vielleicht hofft er ja, dass wir uns fragen, welches Bild dieses Konfetti einmal gewesen ist, was die Eindrücke einst waren, wie man sie zurückverfolgen kann.

Doch da ist auch dieses Gefühl im Hinterkopf, diese schwer zu ignorierenden Fragen: “Wohin will diese Vervielfältigung von Sprache” und “Warum wurde sie unter diesem Titel vereint?”, die einem die Erschließung der scheinbar auf mehreren Ebenen operierenden Zusammenhänge nicht erleichtern. Als wären die Blaupausen mehrerer Gedichte durcheinandergeraten, haben viele Texte die Neigung zu einer Art Kerzentropfenpoesie, wo Bild auf Bild folgt und bald verliert man die Flamme aus dem Auge und irgendwann hat man sich komplett verfahren. Dann passiert es, dass man das immens versunkene, seltsame Gefühl hat, man käme mit geschlossenen Augen irgendwie besser voran, nur spürend die wenigen unüberseh/hörbaren Wendungen und Momente in den Gedichten.

“ich spürte
den Wind, das Unerreichbare”

“tritt
sie aus einem Regen in ein Niederschlaggebiet”

Das Gefühl für Sprache und Akzente kann man Schulz ja nicht absprechen (das Beweisen schon wenige kleine Zitate), im Gegenteil: seine Sprachverdichtung ist unerhört schön, immer wieder bemerkenswert, ein Evergreen, durch den ganzen Band. Und es ist auch nicht so, dass man ihn für einen Magier ohne Ideen hält; eigentlich kann man spüren, beinahe sehen, wie sehr es ihn zu den wahren Bestandteilen dessen bewegt, dem er einige Ansätze, Eindrücke, Annäherungen und Versuche widmet. Aber er traut sich sehr selten wirklich hineinzugehen in die Dinge, nicht nur Optik zu betreiben, sondern auch Wesenheiten zu entdecken; vielleicht weil er dies nicht als zentralen Punkt seines Schreibens betrachtet, vielleicht weil er Angst hat die Leichtigkeit seiner Stilworte zu verlieren, die, losgelassen, sofort wie Schmetterlinge abheben, einzeln und unüberbrückbar.

“wir lauschen den Holzinsekten
am Stamm, die Stille

müsste man mieten können.”

Innere Musik, das Phänomen, die Assoziation zu diesem Titel steckt in vielen Gedichten und seine Einfachheit wirft große Schatten – und etwas Licht – in die Zwischenräume von Welt und Wahrnehmung. Vieles macht sie (die Welt) für uns ja nicht gänzlich, aber eben ansatzweise aus; und diese komplexen inneren Strukturen, mit denen wir ihre Wirkung chiffrieren (ins Unterbewusstsein, die Gedanken und die Erinnerung), aufzudecken, ist eine der Aufgaben des Gedichtes. So schmiedet es blitzartige Erkenntnisse, die wir erleben, nur antizipieren wir diese eher, als dass wir sie direkt aus dem Wortgespinst herauslesen. Und vielleicht ist das der Knackpunkt in diesem reichen, aber eben doch leicht abgewandten Buch und seinen Gedichten: Dass darin zu sehr die wortwörtliche Zuwendung an den Leser gesucht wird, der sich sprachlich angesprochen fühlt – und vielleicht braucht es ja auch nicht mehr – aber eben nicht auf einer unwillkürlichen, hindernislosen Ebene, die seine Sinne nicht nur anspricht, sondern ihnen auch etwas eingibt.

“vor Mitternacht schneit es
in mein Herz”

Keiner weiß, was Gedichte wirklich sind, was sie alles können, und wir lernen es immer wieder von denen, die den Mut, den Wunsch und die Geduld haben, welche zu schreiben. Dass dieses Buch keine Verschwendung von Lesezeit ist habe ich hoffentlich vermitteln können. Denn dieser Band gibt einem einen Begriff davon, was alles auf den nicht linearen Bahnen der Sprache möglich ist, bewirkt werden kann, und dass es Gebiete darin gibt, auf denen noch viel zu entdecken und zu erfahren bleibt. Ein paar Gedichte von Schulz (z.B. “Die Alleinstehende”, “Ich bitte dich, pardon”) sind grandios und vielleicht spielt mir bei den restlichen auch mein Ego wieder einen Streich und ich schaue zu sehr in eine Richtung. Aber wir sind halt Menschen, die in eine Richtung schauen, mit zwei Augen, haltlos suchend nach Wirklichkeit, von der wir nicht wissen, ob sie mehr realistisch oder mehr phantastisch ist… – und wir lauschen der eigenen inneren Musik…

Link zum Buch