“Meiner Tochter Teresa, die mir das Heft geschenkt hat, in dem dieses Buch entstanden ist.”
Widmung des Buches “Träume von Träumen”
Antonio Tabucchi ist tot. Er starb vorgestern in seiner Wahlheimat Lissabon (er war zwar ein gebürtiger Italiener, lebte aber dennoch fast ein Leben lang in Portugal und war einer der bekanntesten Schriftsteller dieses Landes, zeitweise sogar die Nr.1. Mit ihm verliert die literarische Welt einen vielfach interessierten, schöpferischen Geist, der sich wie kaum ein anderer für die Lektüre interessierte, für das Leben von Dichtern und Denkern und für ihre Werke.
Es ist nun also spätestens an der Zeit, auch sein Werk wieder zu lesen, anstatt es nur abschließend zu beurteilen. Egal ob man zu dem Erfolgsroman Erklärt Pereira greift, ein bis heute wunderbarer Text, ganz individuell und eigen, wie es die besten Romane sind, oder aber noch andere Facetten des Werkes entdeckt, so die Erzählungen (Die Zeit altert schnell oder das wunderbare indische Nachtstück) oder einen der unbekannteren Roman – hier wartet ein literarischer Schatz. Möglicherweise kann man sehr gut mit diesem kleinen Werk, “Träume von Träumen” beginnen, was ich persönlich immer noch für sein schönstes halte. Nicht für das Größte, das Vollendetste, oder Beste. Aber dennoch für das Schönste.
“Ich habe oft das Bedürfnis verspürt zu erfahren, was die Künstler, die ich liebe, geträumt haben. Leider haben uns die, von denen in diesem Buch die Rede ist, nicht von den nächtlichen Streifzügen ihres Geistes erzählt. […] Freilich ist mir bewusst, dass die Erzählungen in diesem Buch, die ein Ersatz für andere sein sollen und die sich jemand hat einfallen lassen, der unbekannten Träumen nachtrauert, nur armselige Vermutungen sind, blasse Illusionen, unglaubwürdige Substitute. Als solche sollen sie gelesen werden, und die Seelen meiner Personen, die jetzt im Jenseits träumen, bitte ich, Nachsicht zu üben gegenüber ihrem armen Nachfahren.”
Wenn man diese knappe Einleitung liest, meint man Jorge Luis Borges sprechen zu hören. In der Tat hätte ihm dieses kleine Buch sicherlich gefallen, hat er doch selbst einmal eine Sammlung von Träumen, herausgesucht aus der Weltliteratur, herausgegeben (Buch der Träume). Hätte Tabucchi zu seiner Zeit gelebt, bestimmt hätte Borges einen der Träume aus diesen Buch mit in seine Sammlung aufgenommen, vermutlich den von/über Robert Louis Stevenson.
Dieses Buch ist etwas für diejenigen, die wie ich, das Spiel mit der Literatur lieben. Es ist eine Hommage an alles was Kunst beinhalten kann und was sie auf wunderbare oder schmerzliche Art aus unserem Leben macht, und gleichsam ist es ein Lobgesang auf die, bei denen sie entsteht. Tabucchi hat sich mit diesem Werk, gestand er einmal in einem Interview, eine Art privaten kleinen “Traum” erfüllt: Seine liebsten – oder zumindest die Auffälligsten der Liebsten – Literaten, Musiker und Maler einmal in Szene zu setzten; einmal sie nicht bloß zu zitieren, wie er es oft tat, sondern wahrlich mit der Fantasie über etwas zu schreiben, was Teil ihres Lebenswerkes sein könnte, wenn auch nur fiktiv. Allerdings hat er sich Gestalten ausgesucht, deren Leben oft eh halbe Fiktion war, weil ganz aus Kunst und Leben zu einer Zwischenexistenz verschmolzen – z.B. Ovid, den Schreiber der Metamorphosen.
“In einer Januarnacht im Jahr 16 nach Christus, einer kalten und stürmischen Nacht in Tomi am schwarzen Meer, träumte der Dichter und Höfling Publius Ovidius Naso, er sei ein Dichter geworden, der vom Kaiser geliebt wurde. Und als solcher hatte er sich durch ein göttliches Wunder in einen großen Schmetterling verwandelt.”
Viele der “Träume” beginnen auf ähnliche Weise. Datum und Person plus Bezeichnung ihres Berufs/ihrer Lebensaufgabe. Und dann die Träume, die alle recht unterschiedlich, dabei aber alle in der gleichen einfachen Sprache geschrieben sind und auf sehr unterschiedliche Weise enden, meistens mit einer Art von Pointe, Symbol oder mit einem offenen Ende.
Inhaltlich spielt Tabucchi mit den Werkinhalten der Personen, mit ihren Vorlieben, Ängsten, ihren Lebensentscheidungen und -leistungen; teilweise geben die Träume den Schriftstellern scheinbar ihre großen Werke ein, oder aber es sind einfach glückliche Phantasien, Märchen, die sich nicht wirklich als Träume ausgeben lassen (Was aber nicht zu kümmern braucht. Das Wort Träumen, es hat mittlerweile als engl. “dream” schon auf der ganzen Welt zwei Bedeutungen inne: Schlafend wachen und wachend schlafen. Träumen im Geiste und Träumen im Schlaf.)
Auch das Datum der Träume ist oft präzise gewählt. Hinten im Buch finden sich deswegen kurze Biographien der einzelnen Träumer aufgelistet, mit Lebensgeschichte, aber auch mit einer näheren Erklärung der Umstände in dem Zeitraum des Traumes, falls dies notwendig erscheint und auch manches über die Bedeutung der Symbole die vorkommen.
Man hat das Buch sehr schnell durch – langwidrig oder vertiefend ist es nicht. Aber es hat den Glanz ungetrübter Leselust, der einen für alles entschädigt. Es ist Tabucchis persönlichstes Buch und als solches sollte man es lesen, als eine Hommage von einem Schriftsteller an das, was ihn im Leben fasziniert und begleitet hat.
“Träume sind die Antwort des Menschen auf das Universum”
Fernando Pessoa
Es sind harte Zeiten für Portugal. Nach Jose Saramago (2010), verliert das Land nun seine zweite Weltseele und Nobelpreiskapazität, wobei Saramago diesen immerhin noch erhalten durfte, was Tabucchi leider versagt bleiben wird. Gewiss, es gibt viele die diesen Preis verdient hätten und alle können ihn nicht bekommen. Und nicht von allen die ihn bekommen haben oder bekommen sollten, kann man etwas lesen. Aber ich glaube es wird sich für jeden lohnen, sich eine Stunde Zeit für dieses Buch zu nehmen und allgemein Tabucchi zu lesen. Man bekommt Anregungen, man ist begeistert von so mancher Wendung, man ist erfüllt von der bewegenden, leichten Kraft von Kunst und Traum. “Träume von Träumen” ist ein Buch für Leser die gerne ein Buch zuklappen und sagen: Mensch, das war schön.
Antonio Tabbuchi – Requiescat in pace.
Link zum Buch: http://www.amazon.de/Tr%C3%A4ume-von-Tr%C3%A4umen-Antonio-Tabucchi/dp/3423134224/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1379080671&sr=1-1&keywords=Tr%C3%A4ume+von+Tr%C3%A4umen+tabucchi
*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen