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Anna Achmatowa – Gedichte aus “Im Spiegelland”


spiegelland   “Wie tief im Brunnen weiße Steine liegen,
Liegt ein Erinnern tief in meinem Herzen.
Ich kann nicht und ich will es nicht bekriegen:
Es bringt mir Freude und es bringt mir Schmerzen.”

Die russische Dichtung des 20. Jahrhunderts kennt viele große Namen, von denen sich viele auch untereinander kannten und gegenseitig inspiriert haben und selbst ihre Schicksale weisen ähnliche Komponenten auf, darunter oftmals Exil, Lagerhaft, Bespitzlung, Schreibverbot und sogar Ermordung. Die Grande Dame dieser verlorenen Generation russischer Dichter (das als silbernes Zeitalter gilt – das goldene war die Zeit von Puschkin) war ohne Zweifel die Dichterin Anna Achmatowa, deren Schicksal es war, die meisten ihrer Freunde und Zeitgenossen um manchmal viele Jahre zu überleben. So Mandelstam und Zwetajewa, aber auch Pasternak und Alexander Blok.

“Die einen Scherzen in der Nacht und küssen,
Die andern trinken, bis der Tag anbricht.
Mit mir verhandelt nächtens mein Gewissen,
Das klar und unerbittlich zu mir spricht.

Ich sag zu ihm: Wie lang soll ich noch tragen
Die Last von dem, was längst Vergangenheit?
Doch es erwidert: So darfst du nicht fragen,
Denn weder Raum gibt es für mich noch Zeit.”

Nachdem sie vor der Revolution (1912-1917) bereits einige Bände mit Liebes- und anderen Gedichten veröffentlicht hatte, wurde sie in Sowjetrussland schnell mit einem Publikationsverbot belegt (1923). Ihre bereits geschriebenen Verse überlebten die lange Zeit des auferlegten Schweigegebots – das, bis auf winzige Ausnahmen, bis zu Stalins Tod (1953) gelten sollte – vor allem dank ihrer Eingängigkeit und Lebensnähe in den Köpfen der Menschen; ihre Gedichte erreichten teilweise eine große Sprichwörtlichkeit.

Dieser Traum eines jeden Dichters, er war für Achmatowa gleichsam ein Alptraum, aus der düsteren Quelle der Umstände gespeist. Dieser Zwiespalt überschattete ihr ganzes Leben, auch nachdem sie wieder publizieren konnte und findet sich auch als wiederkehrendes, unterschwelliges Motiv, als eine Stimmung von Grau, in ihren späten Versen wieder.

“Verließ’ uns schlichtes Fühlen, frisches Wort –
Wär’s nicht als nähm’ dem Maler man das Sehen,
Dem Schauspieler das Sprechen und das Gehen,
Und einer schönen Frau die Schönheit fort?

Doch such nicht zu behalten deinerseits
Die Gaben, die der Himmel dir verliehen:
Wir sind verdammt – wir wissen es – zum Blühen
Und zur Verschwendung – nicht zum Geiz.”

Schlicht, bisweilen mit einem Anflug Spott, und auch manchmal nahe am Schmachten, Verzieren und Verzehren, doch eigentlich immer nur leicht bewegt, nur träumend oder weisend, kommen ihre Verse daher; ihr lyrisches Credo ist eine dünner Frist, die auf alle Worte gestrichen ist. Spürbar, unter der Oberfläche, liegen darin Sehnsucht, Abneigung, Angst und Furcht: glattgestrichen; weder Feuer, noch Eis, sondern eher Rauch, Brunnenplätschern, Schifffahrtswellen, die ungefähren Wesenheiten ihrer Dichtung. Blinzelnd vor dem Aufragen und Verschwinden betonen sie das Flüchtige, aber auch das Bleibende, das Matt-werdende.

Ihre Liebesgedichte sind heute noch lesenswert; im Spätwerk sind es jene Verse, die sich um das Schicksal drehen, ihre eigenen Händel mit dem Staat (ihr Sohn saß über 15 Jahre in einem Lager, manchmal drohte ihm sogar die Exekution) und die Portraits der Personen, Dichter und Denker, die sie schätzte, dazu die Gedicht-Zyklen und die vielen, meist unbetitelten, nach innen gekehrten Beobachtungen und Betrachtungen; letztere schwanken oft zwischen vollendeter und angeknackster Beherrschung.

“Aus Stein scheint des Himmels Bogen,
Verwundet von gelbem Glühn.
Oh, sei mir endlich gewogen,
Send ein einziges Wort über ihn.

Der mit Tau Du benetzest die Triebe,
Beleb mit der Kunde mein Herz –
Nicht für Leidenschaften und Scherz,
Für die große irdische Liebe.”

Liebe, Liebe, als ein Ding, so groß wie eine Welt, aber so abgewandt und versunken wie deren tiefste Schluchten und entlegenste Gegenden – und doch auch wieder schön; ein magischer, unfehlbarer Fall. Kaum ein Dichter hat die Liebe in so ambivalente, entsprechende und gleichsam schlichte, in so tiefe und doch so unbewegte Verse gekleidet, wie Anna Achmatowa. Jedes der Gedichte über diese Thema hat seinen eigenen Herzschlag, seine eigene Vorstellung von der Liebe, aus der Momentaufnahme der damaligen Empfindung entsprungen und wie darin gefangen; die Atmosphären in diesen Zeilen können sanft wie Wasser oder schwer wie Brokat sein, aber immer sind sie Oberfläche und Inhalt zugleich – ein schwieriger Balanceakt und ein sehr kontrastiertes Leseerlebnis.

“O zerknülle nicht, Liebster, mein Schreiben.
Nein, mein Freund, ließ es bis zum Schluss.
Ich bin’s Leid, dass ich unbekannt bleiben,
Stets die Fremde dir bleiben muss.
[…]
Dieses Lächeln schenk bewahr ich mir,
Das die Lippen kaum sichtbar bewegt;
Liebe selbst hat es in mich gelegt,
Und ich schenke es keinem als dir.”

Wenig Licht herrscht in diesen Gedichten, viel Dunkelheit, aber eine Dunkelheit, die wiederum viele ferne Lichtquellen auf sich zieht wie Sterne; als wäre sie Wein, auf den man blickt, während die Lichter eines Saales sich auf Glas und Flüssigkeit brechen und spiegeln.

“Unausgesprochene Sätze
Und Worte, nie gesagt.
Die Blicke, die sich nicht trafen,
Wissen nicht wohin.”

Man kann es heikel nennen, Gedichte aus einer Sprache (und dann noch aus der russischen Sprache, die sehr viel mehr natürliche Reime und vielfältigere Kadenzen kennt als die deutsche) in eine andere zu übertragen und dabei den Reim halten zu wollen. Immerhin hat diese Ausgabe insofern einen interessanten Mittelweg gefunden, dass sie ab und an mehrere (von 2 bis manchmal 4) Varianten einer Übersetzungen anbietet (jedoch alle gereimt).

Ansonsten ist es, im Falle von Anna Achmatowa, auf jeden Fall das kleinere Übel, denn ihre Lyrik lebt elementar von Reimen, von dem Kranz- und Kreischarakter des Verses, der sich in seinen Windungen immer wieder mit dem Ursprung verbindet. Das mag im Deutschen manchmal etwas herunterkonstruiert wirken, hat aber auch den Vorteil, dass man, trotz der Komplexität, die manchmal in der Einfachheit von ihren Zeilen liegt, über den Rhythmus und Klang doch leichter Zugang zu ihren Werken erhält.

“Weil er den Rauch Laokoon verglichen,
Die Distel an der Friedhofswand besang,
Weil alles seinem neuen Klang gewichen,
Mit dem er einen neuen Raum errang,

Ward er belohnt mit kindlichem Erfassen,
Mit der Gestirne weitem, scharfem Blick,
Die Erde ward als Erbteil im gelassen,
Doch er gab allen andern sie zurück.”
(Aus einem Gedicht über Pasternak)

Anna Achmatowa zu lesen hat viel mit Wiederlesen, mit Genaulesen und auch mit Empathie zu tun. Doch es steckt einfach auch eine Größe in ihr, unübersehbar, gleich einem riesigen Schiff, welches glatt, schwarz und langsam durch eine Landschaft in einen Hafen einfährt, vielleicht umjubelt, aber selber still, bis auf das leise Rauschen der Schiffsschraube. Innerliche und doch auch nach außen getragene Größe und aufrechte Haltung, hinter der die zarte Sehnsucht schlägt wie das Herz eines Wurmes im Kerngehäuse des Apfels. Man spürt den Herzschlag in den Zeilen.

“Man gräme sich nicht so unendlich
Und sei nicht so verschlossen, o nein! –
Um denen, die leben, verständlich
Und angelweit offen zu sein.
[…]
Das wenige, was uns gegeben,
Ist eng von der Zeit umzäunt,
Doch er wird unwandelbar leben,
Des Dichters verborgener Freund.”
(Aus einem Gedicht über den Leser)