„Ein Haar fiel von ihrem Haupt. Es fiel und fiel und ich verfolgte es mit meinem Blick. Es landete in einer Schüssel, die sich auf einer Waagschale befand. Daraufhin geriet die Waage in Ungleichgewicht. […] Dann berührte sie den Zünder der komplizierten Vorrichtung, und das war das Ende.“
Von »Adé« bis »zum Heulen« – in Jonis Hartmanns neuem Buch „Ex“ ist die Chronologie der Texte alphabetisch, unterteilt in die Kapitel »Depri«, »Ex«, »Ozon«, »Smrt« und »Taxi«. Hinter dieser Reihung scheint allerdings nicht mehr als eine fröhliche Irritationsabsicht zu stecken, zumindest kann ich keine andere größere Konzeption erkennen. Aber da sind wir eigentlich schon mitten im Thema.
Es soll ja Leute geben, die in Fallen übernachten. Es gibt aber auch Leute, die tragen ihre Alditüten wie Atlas das Universum. Und dann wiederum soll es Leute geben, die stellen der Welt nach, als ob sie ausgeht.
Denn im Prinzip wiederholt sich die Kombination aus Irritation und der Suche nach dem Sinn hinter der Konzeption auch bei den einzelnen Texten. Es sind kurze Szenen und Abläufe – in denen aber ganze (Lebens-)Welten stecken – in die Hartmann uns hineinstößt, auf eine trudelnde Umlaufbahn. Von einer Ausnahme abgesehen, sind die Texte nicht länger als eine Buchseite.
Nando aus Santiago wünscht sich, einmal seinen Kopf auf den drehenden Teller legen zu können. Dann würde die Nadel tastend darüber fahren und Gedankenkaskaden transportieren und wenn es gut lief, würde die Welt dazu tanzen. Das erzählt er einem, während man auf seine Tattoos schaut. Dann versucht man, sich die Nadel vorzustellen.
In der Endgültigkeit, dem unzweifelhaften Ton, mit dem sie vorgetragen wird (und in der Absurdität), erinnert diese Prosa manchmal zart an die kurzen Stücke von Daniil Chams. Sehr selten ist noch Platz für Handlungen, meistens „geschieht“ etwas oder ist einfach da und das war es dann auch schon, manchmal mit Bumm und manchmal mit Puff.
In den Nachrichten erkenne ich ein Wachtelschema. Auch in der Zeitung bedroht der Produktpreis.
Bei manchen Texten hat man schon den Eindruck, dass bloß ein Schema bedient wird (was ja auch nicht verwerflich ist, nur wenn es einem zu sehr ins Gesicht springt, finde ich es immer etwas schade). Aber, um einen weiteren Vergleich zu ziehen: viele der Texte erinnern in ihrer subversiven, nur scheinbar hauptsächlich auf- und abgedrehten Art an die Gedichte und Kurzprosastück des amerikanischen Autors Richard Brautigan, nur mit noch mehr Spin.
Genau wie Brautigans Texte, leisten auch Hartmanns Miniaturen zweierlei: es sind Witze, Komödien, Satiren, aber auch Schlaglichter auf Phänomene der Gesellschaft, der Gefühle und Gefälle, voller kleiner, gut getarnter Gegenmittel gegen Landläufiges und gegen den großen Irrsinn. Es sind die Wirklichkeit krümmende, zersetzende und aus dem Sud neu modellierte Substanzen.
Fee-Louise Wald, lehrbeauftragt in Experimentallogik am Institut und privat dodobegeistert, ist verzweifelt. Seit Tagen will der Gedankenstrom nicht abfließen und am Damm treibt immer dieses eine Wort, funkelnd und begehrenswert: Slapstick.
Außerdem sind sie auf angenehme Weise selbstironisch und trotz ihrer manchmal schematischen Gestalt immer wieder für Überraschungen gut, rotzig und spritzig, zärtlich, dann wieder zackig, nicht zu vergessen: mitunter für Momente auch wunderbar poetisch, eben nicht nur abgedreht, sondern auch eindrücklich – nicht immer gelingt ihnen ein guter Balanceakt, aber wenn er gelingt, dann in bester Manier.
Ich könnte hier noch eine Weile Vorzüge und mögliche Kritikansätze gegeneinander abwiegen. Fest steht aber, dass „Ex“ mir großen Spaß gemacht hat, bei allem, was sich an den formalen und inhaltlichen Details noch bewerten und besprechen ließe. Also: ein Buch mit viel Drive, vielen amorphen Winkeln, aber vielen scharfen Winkelzügen und flotten Pisten. Dazu jede Menge unterhaltsame Irritation oder irritierende Unterhaltung, eine Kurzprosa mit Monty Python-Einschlag und poetischer Hintersinnigkeit.
Sie hatten sich nach langer Zeit wieder verabredet. Aus jedem Erlebnis wurde ein Witz, aus allen Ängsten eine Geisterbahn. […] Sie berührten sich mit den Zeigefingern und eine Sicherung sprang aus der Luft.