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Zu Richard Brautigans “In Wassermelonen Zucker”


In Wassermelonzen Zucker

Ich glaube, Sie sind neugierig darauf, zu erfahren, wer ich bin, aber ich bin keiner von denen, die einen richtigen Namen haben. Mein Name hängt von Ihnen ab.
Vielleicht war es ein Spiel, das sie als Kind gespielt haben, oder etwas, das ihnen einfach so und ohne jeden Grund eingefallen ist, als Sie alt waren und in einem Sessel am Fenster saßen.
Das ist mein Name.
Vielleicht haben sie lange in einen Fluß geschaut. Neben ihnen war jemand, der Sie liebte. Er wollte Sie berühren. Sie spürten es, bevor es passierte. Dann passierte es.
Das ist mein Name.
Oder sie hörten jemand aus großer Entfernung rufen. Seine Stimme war fast ein Echo.
Das ist mein Name.
Vielleicht war es um Mitternacht, und das Feuer schlug wie eine Glocke im Ofen.
Das ist mein Name.

Richard Brautigans dritter Roman war noch eine Spur phantastischer als seine ersten beiden, leicht hippiesken und anarchischen Werke „Forellenfischen in Amerika“ und „Ein konföderierter General uns Big Sur“. Vor allem allegorischer.

Im Prinzip hat “In Wassermelonen Zucker” etwas Märchenhaftes. Eine sehr einfache, ins Poetische sich verzweigende Sprache, ein ganz schlichter und doch individueller Ton, Brautigans erquicklich-sanfte Poesie, trägt das Buch. Die Handlung ist in sehr kleine Kapitel aufgeteilt, meist nur eine oder zwei Seiten lang.

Passieren tut eigentlich nicht viel. Man begleitet den Hauptcharakter, der keinen Namen hat (siehe Zitat oben) durch die Welt von „iDEATH“ und „Wassermelonen Zucker“, einem scheinbar paradiesischen Ort voller kleiner Flüsschen, in dem eine kleine Gemeinschaft lebt und es ein paar angenehme Beschäftigungen gibt. Eine ganzheitliche Harmonie scheint den Ort auszumachen, zu umgeben und zu durchdringen und doch ist diese Harmonie auch auf das Wesentliche reduziert. Da sin aber auch die vergessenen Dinge, Margaret und die Tiger …

Eigenbrötlerisch, utopisch, zynisch: alles Elemente dieser heiteren Idylle. Nie wieder ist Brautigan ein so leichtes Stück Prosa geglückt, außer vielleicht in manchen Geschichten aus dem „Tokio-Montana-Express“.

Die langen Spaziergänge, die ich nachts mache. Manchmal stehe ich stundenlang an einer Stelle und rühre mich so gut wie gar nicht (ich habe es schon erlebt, dass sich der Wind in meiner Hand niederließ).

Was bleibt ist eine Erzählung mit der Essenz eines tiefschürfenden, aber zarten Gedichts, eine magische Geste ist dieses Buch und doch scheitert jede Beschreibung vor der Eleganz und Unwirklichkeit dieses kleinen Juwels. Da es vor allem durch seine Unwillkürlichkeit funktioniert, ist es sicher nicht für jeden geeignet. Wer eine klare Handlung, ein klares Narrativ braucht, für den ist dieses Buch nicht das richtige (und Brautigan nicht der richtige Autor). Denn es hält sich mit Details und Spielereien, Flüchtigkeiten und Ideen auf und wenn die Handlung dann doch vorangeht, geschieht dies meist ganz unspektakulär.

Wer sich für eine kurze Weile auf einen poetischen Ort zwischen zwei Buchdeckeln einlassen will, der greife ohne Bedenken zu.

Zu der Biographie von James Tiptree Jr. alias Alice B. Sheldon von Julie Phillips


James Tiptree Jr. Aber hinter jeder Fassade einer Alice, die »Haltung« besaß und sich anpasste, existierte eine andere Alice, die ahnte, dass das alles Schwindel war, und die sich danach sehnte, zu fliehen. Sie sagte einmal, sie habe in seelischen Krisen »eine große Schwäche für die simple Lösung – den einen, drastischen Befreiungsschlag.«

Bis heute trägt ein Science-Fiction & Fantasy-Preis ihren Namen; ein Preis, verliehen für ein Werk, welches die Geschlechterrollen untersucht und auf diesem Gebiet zu neuen Bereichen und Erkenntnissen vorstößt. Sehr passend, trägt der Preis doch nicht ihren wirklichen Namen, sondern den ihres männlichen Pseudonyms: James Tiptree Jr. (abstammend von einer Marmeladenmarke, auf die das Auge der Autorin zufällig beim Einkaufen fiel, kurz bevor sie ihre ersten Geschichten aussandte).

Alice B. Sheldon, wie sie eigentlich hieß, hatte bereits ein bewegtes Leben hinters ich, als ihre Geschichten erstmals unter dem Namen Tiptree erschienen und bald schon zahlreiche Preise und Ehrungen abräumen sollten.
Sie war aufgewachsen in einer wohlhabenden Familie, mit sehr liberalen Eltern. Ihre Mutter war durch Reiseberichte zu einer kurzzeitig wohlbekannten Schriftstellerin geworden. Mit ihren Eltern bereiste sie Afrika und Europa, versuchte sich zunächst als bildende Künstlerin, schrieb immer wieder nebenher und arbeitete schließlich lange für die US-amerikanischen Nachrichtendienste, u.a. auch für die nach dem 2. Weltkrieg gegründete Central Intelligence Agency, kurz: CIA. Nach einem Psychologiestudium fand sie erst spät und auf Umwegen zu dem Genre, dass sie in kleinen Teilen revolutionieren und entscheidend weiterdenken sollte: Science Fiction.

Julie Phillips minutiöse Biographie ist eine Mammutleistung, eine bestechend-umfassendes Lebensschau, auf allen Gefühlseben und in jedem Lebensabschnitt. Die Autorin versteht es, Alice Existenz sensibel zu sezieren und vor allem ihr Innenleben hervorragend einzufangen. Sie zeigt ihre enorme Eigenwilligkeit und ihre Stärke, verschweigt aber nicht ihr Hadern und die (vor allem gegen Ende) schwierigen Lebensumstände. Es gibt Passagen, die geradezu aufwühlend sind und manchmal fließt der Text auch dahin als läse man keine Biographie, sondern die Erzählung eines erdachten Lebens; spannend und gut inszeniert.

Die (vor allem männliche, auf jeden Fall männlich dominierte) Sci-Fi-Community dachte nicht einmal daran, dass James Tiptree Jr. jemand anders als ein Mann sein könnte und so rühmten sie seine Meisterschaft im Bereich des männlichen Erzählens – es wurde als zusätzliche Errungenschaft gepriesen, dass es hier einem Mann sogar gelungen war, sehr glaubhafte Frauenfiguren zu erschaffen.
Ob Alice B. Sheldon unter ihrem eigenen Namen solche Lobeshymnen empfangen hätte? Wohl nicht zu Lebzeiten. Doch bei ihren Erzählungen, die man nur empfehlen kann, weiß zum Glück heute jeder, dass sie von einer Frau verfasst wurden. Bei Werken aus früheren Epochen hätten Zeitgenossen und Nachfolger diesen Umstand möglicherweise verschwiegen und vertuscht.

In jedem Fall: wunderbar, dass der Septime Verlag nicht nur das Werk von Sheldon/Tiptree Jr. neu aufgelegt und editiert hat, sondern auch diese Biographie. Sie ist kein Muss für Fans der Storys, aber ein großartiges Werk, wenn einen die Erzählungen und ihre Autorin faszinieren.

 

Zu Marc-Uwe Kling und seinem Roman “Qualityland”


Stanislaw Lem wird der Satz zugeschrieben: “Ein Zukunftsroman hat entweder absolut nichts mit den bestehenden Verhältnissen zu tun oder er kritisiert sie.” Wilhelm Busch, der unverbesserliche Spaßmacher, schrieb einmal: “Was man ernst meint, sagt man am besten im Scherz.” Diese beiden Sätze fielen mir immer wieder ein, während ich “Qualityland” las. Erster aus simplen, zweiter aus komplexeren Gründen, die weiter unten noch einmal aufgegriffen werden.

Ich habe, nach der erheiternden und teilweise inspirierenden Lektüre von Marc-Uwe Klings neustem Wurf, noch lange über diesen Roman nachgedacht. Irgendwie war ich trotz aller Freude, die ich beim Lesen empfunden hatte (hervorgerufen durch Gags, geniale Einfälle, wunderbare Spitzen und die hier und da eingestreuten Zitate und Verweise auf Popkultur, Geschichte und Wissenschaft, oft mit skurrilem Einschlag), nicht ganz sicher, wie ich das Buch verorten sollte. Sprachlich eher einfach und straight (wenn auch immer wieder mit gekonnten Stilwechseln und einer generellen Sicherheit im Ton, in der Darstellung), die Figurenzeichnung wunderbar komisch, aber nicht gerade tiefgründig und vielschichtig. Es wäre wohl auch unsinnig, solche Maßstäbe an ein Buch anzulegen, das seinen Fokus auf Themen und nicht auf Figuren legt.

Peter muss sich nicht die Mühe machen, relevante Informationen zu finden. Die relevanten Informationen machen sich die Mühe, Peter zu finden.

“Qualityland” ist eine Zukunftsvision, doch ich zögere, es einen Sci-Fi Roman zu nennen, weil die darin beschrieben technischen Errungenschaften mit algorhytmischen Tendenzen im Prinzip nur die ausgewachsenen, (noch) totalsierteren Versionen der Einrichtungen und Systeme von heute darstellen. Natürlich hat Marc-Uwe Kling auch einige schöne Erfindungen erdacht – aber im Prinzip basiert die von ihm erschaffene Welt auf dem Weiterdenken und Zuspitzen derzeitiger Erscheinungen und Entwicklungen; knapp an der Übertreibung vorbei, aber eigentlich sehr realistisch, geradezu gegenwärtig, zeitgeistig; deswegen mein Zögern, „Qualityland“ einen Sci-Fi-Roman zu nennen. Aber auch Bezeichnungen wie „beissende Satire“ würden zu kurz greifen.

Wie einst George Orwell oder Aldous Huxley, gibt Kling seiner Welt zunächst den Anstrich einer utopischen Ausrichtung (wenn das Buch auch in zwei Versionen erhältlich ist, von denen eine mit utopischen Intermezzos, die andere mit dystopisch-zynisch-satirischen Intermezzos versehen ist; am Ende des Buches befinden sich ein QR-Code und ein Link, mit dem man sich die Inhalte des jeweils anderen Buches ansehen kann, sodass ein doppelter Kauf nicht nötig ist). In dieser Utopie ist personalisierte Digitalisierung in ihre Vervollkommnung eingetreten: jede/r findet den/die richtige/n Partner*in, die richtigen Freund*innen, bekommt die richtigen Gebrauchsgegenstände geliefert, ihm/ihr wird die passende Werbung angezeigt und es gibt eigentlich nichts, was der Mensch noch selbst machen muss, außer sich seiner Prägung entsprechend zu verhalten oder hier und da eine Aufstiegschance zu nutzen oder den potentiellen Abstieg zu verhindern, der ihn zur Nutzlosigkeit verdammen würde.

Für diese durch-personalisierte Welt, die trotzdem von monopolistischen und totalitären Firmen und Dienstleistern quasi kontrolliert wird und in der es endgültig zu einer klar hervortretenden Klassengesellschaft gekommen ist, hat der Autor viele schöne Beispiele arrangiert, angefangen bei den Nachnahmen der Menschen, die den Berufen ihrer Eltern entsprechen, über einen Date-/Liebesdienst, der die Profile seiner Kund*innen einfach zusammenbringt & die angesprochenen Intermezzi, die meist aus absurd anmutenden Produktwerbungen und Nachrichtenmeldungen bestehen, bis hin zu vielen personalisierten Produkten:

In der Schule, sagt Peter, hatte ich mal eine Freundin, in deren Version von Game of Thrones keine einzige Figur gestorben ist. Die haben immer nur eine Sinnkrise bekommen und sind ausgewandert, oder so.

Diese ganze Charade wirkt immer wieder aberwitzig, ist aber bei genauer Betrachtung selten weit von der Wirklichkeit entfernt, sodass es einen schon ein bisschen gruseln könnte, würde man es nicht gerade so witzig finden, was dem Protagonisten von seiner Umwelt alles zugemutet wird. Allerdings sollte man sich dann auch mal fragen, was einem selbst so alles zugemutet wird – und noch zugemutet werden könnte. Denn Peter Arbeitsloser ist eben nicht nur die Fortsetzung des Kleinkünstlers mit anderen Mitteln – er ist auch der Nachfahre einer Gesellschaft, die sich vom System übervorteilen ließ.

“Ich hab es einfach satt, dass immer keiner verantwortlich ist. Immer ist das System schuld. Aber es gibt eben doch auch Leute, die dafür verantwortlich sind, dass das System ist, wie es ist!”

Die Herren der Welt, wie Noam Chomsky sie nannte. Bei Marc-Uwe Kling treten sie als Witzfiguren auf, als selbstzufriedene und blöde Fatzkes (wie schon im Känguru, an der Stelle hat sich nix verändert), die entweder nicht den Intellekt haben, die Situation zu durchschauen oder nicht die moralische Integrität, sie zu ändern (manchmal erstaunlicherweise auch beides). Dass es vor allem der Stumpfsinn ist, der in den Köpfen dieser Herr*innen der Welt regiert, der blinde und unreflektierte Systemglaube, ist gleichsam entlarvend, aber hier und da wirkt dieses brachial-plumpe Pochen auf dieser Dummheit auch etwas vereinfacht. Natürlich: wer sich umsieht, wird merken, dass wir in einer teilweise ziemlich pervertierten Welt leben und viele Schriftsteller*innen haben den Fehler gemacht, ihren Charakteren nicht das übliche Maß an Dummheit zuzumuten, das nun mal durchaus in der Welt draußen floriert. Trotzdem: manches, was haarsträubend genug ist, wird so allzu sehr zur Karikatur, hinter der die beunruhigenden Facetten der Machtpositionen nicht mehr ganz hervorlugen.

Wirklich beeindruckend an „Qualityland“ ist, wie Kling darin immer wieder Dialoge entspinnt, in denen ganz klar die Problematik und nicht nur die Komik des derzeitigen Systems und seiner Entwicklung hervorgehoben wird. Und nicht nur das: es werden konkrete philosophische und soziologische Dilemmata aufgeworfen und diskutiert, mit einer Leichtigkeit und Unwillkürlichkeit, die etwas leicht Gestelltes, aber auch etwas Geniales, Treffliches haben – vor allem wenn das Gespräch zwischen einem selbstfahrenden Auto und Peter Arbeitsloser stattfindet:

“Weißt du, was der entscheidende Unterschied zwischen euch und uns ist?”
“Was denn?”
“Wenn ein selbstfahrendes Auto einen Fehler macht, lernen alle anderen Autos durch diesen Fehler und machen ihn nicht wieder. Unterschiedliche Menschen machen immer wieder den gleichen Fehler. Ihr lernt nicht voneinander.”
“Ich verrate dir mal was”, sagt Peter. “Oft macht sogar derselbe Mensch den gleichen Fehler noch mal.”

Diese Zusammenführung von komischer und kritischer Perspektive, von Witz und Nachdenklichkeit, von Lachen und Entsetzen manchmal, ist der bewundernswerteste Zug dieses Buches. Und ebenso erstaunlich ist, dass ich mir immer wieder gewünscht habe, dass es an der einen Stelle mehr ins Kritische, an der anderen mehr ins Komische, Anspielungsreiche geht und am Ende doch sagen muss: die Mischung macht’s. Nicht nur im Hinblick auf die Unterhaltung, sondern auch im Hinblick auf das Kritische. Vielleicht hatte Wilhelm Busch Recht.

Wer in letzter Zeit wie ich Bücher wie „Was auf dem Spiel steht“ von Philipp Blom oder Noam Chomskys „Requiem auf den amerikanischen Traum“ gelesen hat, wird zweifellos ähnlich zweischneidig auf dieses Buch blicken, wo andere die entlarvende Komik einfach als eigenständige Erscheinung feiern werden – was ja auch wunderbar und vollkommen okay ist. Ich selbst komme, wie schon angedeutet, nicht umhin, eher die inspirierenden, kritischen Ansätze zu bemerken und mich zu fragen: wie ernst werden die Leute nehmen, was Kling hier präsentiert? Werden sie in der Komik das Entlarvende sehen oder doch eher das Überzeichnete? Werden sie in Passagen wie der folgenden (in denen der hyperintelligente Androide und Präsidentschaftskandidat John gerade von einer Wahlkampfveranstaltung fliehen musste) die Pointe genießen oder erkennen, dass sie die darin formulierte Problematik direkt und unausweichlich betrifft?

“Ich muss zugeben, es ist schwieriger als ich berechnet hatte”, sagt John.
“Was genau?”, fragt Aisha.
“Eine Antwort auf Betrand Russells Frage zu finden.”
“Wer?”, fragt Tony.
“Ein toter englischer Philosoph”, sagt Aisha. “Er hat gesagt: Die Frage heute ist, wie man die Menschheit überreden kann, in ihr eigenes Überleben einzuwilligen.”

Boom-Effekt und Luminous-Effekt – zu Leif Randts “Planet Magnon”


„In den Dekaden zuvor mussten auf jedem Planeten unzählige Wahlen stattfinden. Es wurde immerzu über Neuformulierungen gestritten, zu denen es aber oft gar nicht kam.“

Ich habe mich zunächst mitreißen lassen, mich dann ergötzt an all den schönen Facetten, bald habe ich – im Sinne des Buches, behaupte ich mal – am Sinn seiner Bewegung gezweifelt, schlussendlich bin ich unschlüssig, aber auf angenehme Art und Weise. Und auch etwas bezaubert.

Und das ist eine mehr als unzureichende Zusammenfassung meines Leseerlebnisses. Zwar würde ich nicht so weit gehen „Planet Magnon“ als literarisches Halluzinogen zu beschreiben, denn Randts Sprache tut eben gerade das nicht: sich aufblähen oder malerisch werden, vielmehr setzt sie Akzente, punktgenau, und dominiert ihre eigene Schöpfung mit fast schon problematischer Überlegenheit (worin sich aber wiederum die Problematik des Inhalts sehr gut wiederspiegelt.) Aber über weite Strecken hat mich die Erzählart des Buches sehr für sich eingenommen, ich bin geradezu hindurchgerauscht und immer wieder überrascht worden von der filigranen Glattheit der Darstellung.

Wir befinden uns in diesem Buch in einem von Menschen bewohnten Sonnensystem, die Erde ist allerdings nicht mit von der Partie, dafür 6 andere Planeten, die unterschiedlichste Bedingungen aufweisen. Seit ca. 40 Jahren werden alle Belange der Bewohner von einer Computerintelligenz namens ActualSanity (kurz AS) bearbeitet: sie verteilt das Geld, regelt Wohnraum, Müllabtransport. Sie ist kein Big Brother, sondern eine unaufdringliche, hinter den Kulissen strukturierende Instanz, die anscheinend keine eigenen Machtansprüche verfolgt – die Problematisierung der künstlichen Intelligenz ist kein Thema dieses Buches.

Einige Menschen haben sich zu friedlich miteinander konkurrierenden Kollektiven zusammengeschlossen, die alle ihre Art mit der Wirklichkeit umzugehen propagieren und eigene Techniken und Ideen für ein ideales Zusammenleben entwickelt haben. Der Protagonist ist Mitglied im Dolphin-Kollektiv, denen es vor allem um postprogrammatische, vernünftig-maßvolle und zugleich lebensbejahende Lebens- und Bewältigungskonzepte geht. Vor allem was sexuelle und romantische Beziehungen angeht, pflegen die Dolphins eine um entspannte, lose Beschaffenheit bemühte Vorstellung von Zweisamkeit.

Wir werden nicht wirklich in diese Welten eingeführt, sondern in sie hineingeworfen; über das ganze Buch verteilt und noch auf den letzten Seiten erfahren wir neue Details über die Aspekte des Lebens und Denkens in dem imaginären Kosmos; diese Art der Informationsvermittlung wirkt wunderbar ungezwungen und glaubwürdig. Überhaupt geht es ja auch nicht um die Attribute dieser neuen Schöpfung, auch wenn man merkt, dass der Autor Spaß an jedem Detail hatte (und die meisten von ihnen tragen nicht nur zur Atmosphäre, sondern auch zu Verdichtung des Konfliktes bei.)

Der Konflikt materialisiert sich zunächst sehr still, in kleineren Momenten des Unbehagens, der Verlockungen, des abwegigen Gedankens, in den Reflektionen der Hauptfigur. Doch schon bald macht ein neues Kollektiv von sich reden: das Kollektiv der gebrochenen Herzen. Wie soll man deren neuem Konzept umgehen, wo es doch die Ordnung gefährdet. Aber steckt nicht etwas zutiefst Wichtiges in der Idee ihres Konzepts? Oder nur etwas zutiefst Gefährliches?

Es geht also nicht um Science-Fiction, nicht nur, es geht um die Frage nach der menschlichen Utopie. Was wäre, wenn wir schon da wären, wo wir hingelangen wollen? Was bliebe dann noch, was bleibt dann noch zu sagen, zu tun? Diese Frage ist natürlich schon in unzähligen Geschichten verhandelt worden, die sich thematisch vom profanen Eheleben bis zu den großen Anti-Bewegungen in der modernen Kunst erstrecken, in ihrem Feld war der Groschenroman tätig, aber auch die Odyssee. Es sind ja gerade die epischen Geschichten, die dieses Problem ausklammern, denn in ihnen gibt es immer ein fernes/schwieriges Ziel, das noch erreicht werden muss, sei es der Frieden in der Galaxis oder in Mittelerde, die Rettung der Welt oder der Kampf mit einer übermächtigen Macht.

Randts Roman stellt sich stattdessen der Problematik, und bricht sie in Facetten auf. Dieses Aufbrechen ist wichtig, denn so gerät sein Roman nicht zum Plädoyer oder wird bloßes Anschauungsmaterial, sondern bleibt ein Roman, der auch immer das Ausloten einer individuellen Figur sein kann und im Fall von „Planet Magnon“ auch ist.

Ein Buch, das einen eine Weile beschäftigen wird, intelligent, subversiv, sprachlich vielleicht etwas zu beherrscht, aber darin auch konsequent, gekonnt. Irgendwie ist es wie ein Urknall und gleichsam nur wie ein sanftes Nachglühen, ein Spannungsraum, in dem Unerhebliches und Essentielles herumschwirren und immer wieder zusammenstoßen, funkenschlagend, zischend.

Zu Vonneguts großartigem “Galapagos”


“Die Erde war ein sehr unschuldiger Planet, abgesehen von diesen großen Gehirnen.”

Diesen großen Gehirnen, die immer nur Ärger und ihre Besitzer immer wahnsinnig machen – Diese These hat keiner (fiktiv) so verfochten, bitterbös untermalt und zynisch auf den Haupt-, Nebensatz und Punkt gebracht wie Kurt Vonnegut, der pessimistischste und zugleich lebendigste Querschläger der amerikanischen Literatur.
In Galapagos verbindet er gleich zwei seiner liebsten Plots miteinander: den Wahnsinn der Gegenwart einerseits, mit einer utopisch-dystopischen Vorrauschau auf die Entwicklung der Menschheit andererseits.

Ein Luxusliner soll die Galapagos-Inseln von Ecuador aus besuchen; es ist eine legendäre Fahrt, an der auch Mick Jagger, Henry Kissinger und andere Prominenz teilnehmen sollen. Doch dann bricht eine weltweite Finanzkrise aus und es werden Entwicklungen in Gang gesetzt an dessen Ende Abenteuer, Exodus und Evolution ebenso zusammenfallen, wie die Galapagos Inseln und der Geist eines Werftarbeiters aus Schweden.

Immer wieder nutzt Vonnegut während dieses irren, aber kein bisschen aberwitzigen Plots, die Gelegenheit, um sich über die Menschheit im Allgemeinen auf meta-sarkastische Weise auszulassen, was Teil des wunderbaren Drives ist, den das Buch mit sich bringt. So zum Beispiel bei der Weltwirtschaftskrise:

“Bloße Meinungen bestimmten die Handlungen der Leute mindestens genauso wie beweisbare Tatsachen, und sie waren immer wieder Gegenstand heftiger Umschwünge, wie sie bei Tatsachen niemals auftreten konnten. […]
Es gab immer noch genug Nahrungsmittel und Brennstoff für alle Menschen auf dem Planeten, so zahlreich sie waren, trotzdem waren Millionen und Abermillionen jetzt dabei zu verhungern.
Und diese Hungersnot war, ebenso wie Beethovens Neunte, ein reines Produkt der überdimensionalen Gehirne. Es war alles in den Köpfen der Leute. Die Leute hatten lediglich ihre Meinung über das Papiergeld geändert, aber die Ergebnisse waren nicht weniger katastrophal, als hätte ein Meteor von der Größe Luxemburgs den Planeten getroffen.”

Anhand von Kurt Vonnegut kann man sich gut die Frage stellen, ob ein Zyniker immer auch ein Pessimist sein muss, zumal wenn er Autor von Romanen ist. Eigentlich besteht nämlich ein Unterschied. Ein Zyniker sieht die derzeitigen Verhältnisse auf die denkbar schlechteste Weise, ein Pessimist ist vor allem nicht davon überzeugt, dass sie besser werden können oder könnten.

Vonnegut ist einer der gründlichsten und vollendeten Zyniker, der jemals eine Feder zur Hand genommen hat, aber ob man ihn einen Pessimisten nennen kann, in dieser Frage deutet sich die Ambivalenz seines Werkes an, auch und vor allem in Galapagos. Ein Werk, das immerhin ein Zitat von Anne Frank voranstellt: “Denn ich glaube, trotz allem, noch stets an das Gute im Menschen.” Ebenfalls ein sehr ambivalentes Zitat.

Vonneguts Schreiben ist zutiefst geprägt von der Utopie, die allerdings immer einen Gegenentwurf zu der als Utopie bezeichneten und als Wahnsinn entlarvten gegenwärtigen Lage der Menschheit darstellt. Die Dystopie, das sind für Vonnegut die derzeitigen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse und der Mensch als eine Erscheinung in dessen Handeln viel Widersinn steckt. Anders gesagt: Die Dystopie ist die Gegenwart.

Es gelingt Vonnegut immer leicht diese Gegenwart und ihre Bewohner als wahnhaft, als seltsame Gestalten mit eitlen, komischen und sinnlosen Bestrebungen hinzustellen – man beobachtet ihn dabei wie er die ganze Welt mit seinen eingeschobenen Diagnosen, meist einem Außenseiter in den Mund gelegt, in die Tasche steckt und sich aufschwingt, einen überfälligen Niedergang der Menschheit anzukündigen und einzuleiten und nebenbei seine Ideen für ein besseres Miteinander oder einen besseren Weg für die Evolution des Menschen zu einem friedlicheren Wesen anzubringen.

In seinen grotesken und phantastischen Zukunftsentwürfen fehlt es nicht an allerhand faszinierenden Ideen, die wie Selbstverständlichkeiten auftauchen. Seine Figurenkabinette gehören immer noch zu den schrägsten, besten, von den man lesen kann.

“Von allen Worten, die ich kenn,
das traurigste ist immer: wenn …!”

Galapagos ist ein irres Buch und zugleich wunderbar leicht zu lesen, der Sarkasmus lädt zum mitschmunzeln ein, die Story kann sich am Ende sehen lassen, so nebensächlich sie auch daherkommt und im Ganzen ist das Buch ein wunderbares Epos über die Dummheit des Menschen und ebenso: seiner Menschlichkeit.

Zu Kurt Vonneguts Kurzroman “Slapstick oder Nie wieder einsam”


“Wen immer es angeht: Es ist Frühling, später Nachmittag. In der Vorhalle des Empire State Building brennt ein Feuer in einer Kochstelle auf dem Zementfußboden. Eine Rauchwolke zieht über die Todesinsel, über den Urwald, der einmal die 34. Straße war. Das Pflaster am Grunde des Urwalds gleicht einem Schutthaufen – aufgerissen durch Frostschäden und Wurzeln.
In diesem Urwald gibt es eine kleine Lichtung. Ein blauäugiger, hohlwangiger und weißhaariger Greis – zwei Meter groß und hundert Jahre alt – sitzt in der Lichtung auf einem Ding, das mal der Rücksitz eines Taxis war.
Der Mann bin ich.
Ich heiße Dr. Wilbur Narzisse-11 Swain.”

Wenn es im letzten Jahrhundert nur einen großen schreibenden Zyniker gab, so muss es Kurt Vonnegut gewesen sein; und wenn es im letzten Jahrhundert einen Preis für illustre und ungewöhnliche Utopien gegeben hätte, so hätte ihn Vonnegut mit dem einen oder anderen seiner Roman ebenfalls erlangen können – vor allem mit diesem schmalen Romanstück.

Einem Stück, das seinen zwei Titeln in jeder Hinsicht gerecht wird: es wird viel an slapstickhafter Ideenfülle transportiert, doch unter dem Deckmantel der Groteske und in der Freiheit der Zukunftsvision stellt Vonnegut subtil ein menschliches Dilemma in den Mittelpunkt: die Einsamkeit, das Suchen nach einem ähnlich gestrickten Individuum, einem Verwandten im Geiste, einem Menschen, zu dem man eine besondere Verbindung hat. Am besten wären natürlich viele solcher Menschen.

Dr. Wilbur, früher Präsident der vereinigten Staaten (bevor die Chinesen sich selbst schrumpften, die Schwerkraft zu schwanken begann, der grüne Tod kam und dann auch noch die Geschichte mit dem Mars – ach: lest selbst!) bevor alles den Bach runter ging, blickt auf sein Leben zurück. Eigentlich gibt es herzlich wenig zu beklagen. Zwar ist die Menschheit so gut wie ausgerottet, aber immerhin hat das mit den künstlichen Familien funktioniert, eine Idee, auf die er und seine Schwester gekommen waren, als sie aufgrund ihres monströsen Aussehens versteckt auf ihrem Familienwohnsitz in trauter Zweisamkeit ihr Genie zelebrierten. Danach ging viel schief, den ein Kopf denkt nicht so gut wie zwei von der Sorte …

Wer nun confused ist, den kann man beruhigen: es ist schwer bei Vonnegut nicht immer ein bisschen verwirrt zu sein über die Selbstverständlichkeit, mit der er seine schrägen Zukunftsplots und eigenwilligen Erzähler, die immer eine Art von transformierter Gesellschaftskritik zu verkörpern scheinen, in unser Blickfeld setzt und uns dann dazu bringt, ihren Ausführungen bis zur letzten Seite zu folgen, durch Katastrophen, Irrsinn oder Apokalypsen hindurch bis zu umfassenden und zumeist unfreundlichen Erkenntnissen über die Eigenschaften der menschlichen Rasse – was dann und wann aber auch zu wichtigen Schlüssen führt:

“Ich begriff, dass Nationen ihre Kriege nie als Tragödien anerkennen konnten, aber dass Familien das nicht nur konnten, sondern sogar mussten.”

“Slapstick oder Nie wieder einsam” ist eine Einlage, ein Monolog, eine ins Dystopische abgleitende Meditation über das Gemeinsame und das Einsame, die Genialität und das Empathische und (wie so oft bei Vonnegut) über das Überflüssige und das Notwendige und die Grauzonen und Spielflächen dazwischen, unterstützt von allerlei illustren Episoden, Geschichten, Anekdoten. Ein kurzweiliges Buch von einem großartigen Autor!

Ein menschlicher Aufruf, eine Lehrstunde in Humanität: Albert Camus’ “Weder Opfer noch Henker”


“Das Elend hinderte mich zu glauben, dass alles unter der Sonne und in der Geschichte gut sei; die Sonne lehrte mich, dass die Geschichte nicht alles ist.”
Aus: -Licht und Schatten-

1952 trennten sich die unter dem Banner des französischen Existenzialismus lose verbundenen Schriftsteller und Philosophen Albert Camus und Jean-Paul Sartre im Streit. Es ging um Camus Buch Der Mensch in der Revolte und dessen zentrale Aussage, mit der Sartre und auch andere intellektuelle Linke in Frankreich sich nicht abfinden konnten: das Beharren auf dem Individuum und die Nivellierung der Geschichte und des Kampfs der Systeme zugunsten einer Utopie der Einigkeit und Gerechtigkeit; Revolution nicht im Großen, Ganzen, sondern in jedem einzelnen Menschen.
Überholte Theorie, der man eine brachialere, sozialistisch-kritisch-politische und globale Praxis gegenüberstellen musste, so war die Meinung des Kreises um Sartre.

Schon 1946 erschien der Essay “Weder Opfer noch Henker” in der Zeitschrift Combat. Es ist die erste Ausformung des Gedankens, den Camus 6 Jahre später in seinem großen Essayband vollenden würde.

“Weder Opfer noch Henker” ist nun also beinahe 70 Jahre alt. Ein politisch-philosophischer Essay kann solche Entfernungen der Zeit nicht ohne Abstriche überstehen. So hat sich die damals höchst aktuelle Bedrohung und Furcht vor einem West-Ost Konflikt gewandelt – andere Probleme, die nicht unbedingt mit diesem vergleichbar sind, traten an seine Stelle.
Warum also noch diesen Essay lesen?

“Ja, was man heute bekämpfen muss, ist die Angst und das Schweigen und damit die Entzweiung der Gemüter und der Herzen, die sie zur Folge haben. Was man verteidigen muss, ist der Dialog und die weltweite Kommunikation zwischen den Menschen. Abhängigkeit, Ungerechtigkeit und Lüge sind die Geißeln, welche diese Kommunikation unterbrechen und diesen Dialog verstummen lassen. Deshalb müssen wir sie ablehnen. Aber diese Geißeln bilden heute den eigentlichen Gegenstand der Geschichte, und mithin betrachten viele Menschen sie als notwendiges Übel. Es stimmt zudem, dass wir der Geschichte nicht entkommen können, da wir bis zum Hals darin stecken. Aber man kann danach streben, in der Geschichte zu kämpfen, um jene Seite des Menschen zu bewahren, die ihr nicht angehört.”

Nach wie vor stehen wir vor den Problemen, die Camus in diesem kurzen Zitat aufgreift. Ja, man muss sogar sagen, dass sie noch viel brisanter geworden sind, weil sie sich seit der Zeit von Camus erster Warnung wirklich in unserem Denken, den politischen Realitäten und gesellschaftlichen Systemen festgesetzt haben und verinnerlicht wurden. Dass dies ein Missstand ist, wird wohl niemand bezweifeln und doch laufen wir alle weiter mit und glauben, es müsse sich etwas Großes oder Ganzes ändern, bevor wir uns ändern – das System müsste anders sein, bevor wir anders werden können, dabei ist es eben, wie Camus in seinem späteren Werk ausführt, genau umgekehrt.

Wer das Zitat oben gelesen hat, kann sich selbst überlegen, ob dieser Essay heute noch lesenswert ist, oder nicht. Ich für meinen Teil denke, dass es ein unglaublich wichtiges Buch ist. Der Teil in uns, der meint, dass die Geschichte ein notwendiges Übel ist, dem wir uns alle unterwerfen müssen, ist in den letzten Jahren voranmarschiert – das Schweigen hat an einigen Stellen aufgehört und hat sich (dadurch) an anderen Stellen vertieft.

Albert Camus war jemand, den man fast schon als grenzenlosen Humanisten beschreiben könnte – doch eher passt André Gide’s Ausdruck: Er war ein menschlicher Humanist. Und sein Mut und sein Engagement, sein Wille die Lage der Menschen zu verbessern und für eine Welt zu kämpfen, in der es keinen legitimen Mord gibt und sich Freiheit und Gerechtigkeit die Waage halten, sollte nicht in Vergessenheit geraten. Gewiss, wir reden hier von Utopien, von Idealen. Aber sind nicht gerade diese beiden Ideen, trotz ihrer Wirkungslosigkeit im Angriff und in der Expansion, immer noch die besten Verteidigungsmittel, die ein einzelner Mensch gegen Welt und Übel haben kann, der Gedanken, auf dem sich alle Gute letztendlich aufgebaut hat?

Und wenn es eine Utopie ist… – “ich war immer der Ansicht, wenn ein Mensch, der auf menschliche Verhältnisse hofft, ein Verrückter sei, so sei jener, der an den Ereignissen verzweifle oder sie dulde, ein Feigling. Und von nun an wird es nur noch den Stolz geben, unbeirrbar jene großartige Wette mitzumachen, die schließlich darüber entscheiden wird, ob Worte stärker sind als Kugeln.”