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Zu Matthias Bormuths “Die Verunglückten”


Die Verunglückten Das ist natürlich ein sehr sprechender Titel, den Matthias Bormuth seinen vier lose miteinander verbandelten Essays gegeben hat: „Verunglückte“ sind für ihn die vier Personen, die im Zentrum seiner Ausführungen stehen, Gestalten, verheert durch sehr verschiedene Umstände und Ereignisse.

Da ist als erstes Jean Améry, der Holocaustüberlebende, der als Essayist am Wendepunkte der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den 60er Jahren erfolgreich ist, aber eigentlich nach Erfolgen als Dichter strebt, nicht nur als Zeuge, sondern auch als Schaffender. Dann Ingeborg Bachmann, Protofigur der modernen Beziehungsverheerten, die auf verschiedene Arten und Weisen ankämpft gegen die Determinierungen ihrer Zeit. Als drittes Uwe Johnson, DDR Dissident, der auch im Westen keine echte geistige Heimat findet und ein vierbändiges Mammutwerk schreibt über die Anfänge und Zeit des Nationalsozialismus und die deutsche Teilung. Schließlich Ulrike Meinhof, die bürgerliche Intellektuelle, die zur Terroristin wird und damit als eine von wenigen intellektuellen Persönlichkeiten der 60er Jahre den Schritt vom Denken zum Handeln geht, von der allgemeinen Rhetorik zur individuellen Tat.

Bormuth vollzieht in seinen Texten vor allem die geistige Entwicklung dieser vier Menschen nach (mit ausführlichen Erläuterungen und Zitaten aus Werk- und Sekundärtexten), es sind sozusagen Biographien ihrer Geisteshaltungen und deren Veränderungen, Mutationen (und der Bedingungen und Impulse, die zu diesen Veränderungen führten). Manchmal versucht Bormuth auch, diese Entwicklungen in Verbindung zu bringen mit einer der anderen drei Personen oder mit Strömungen und zentralen Geistesgrößen ihrer Zeit wie Hannah Arendt oder Hans Magnus Enzensberger.

Inwiefern aber eignen sich diese vier wirklich als gemeinsames Sujet? Diese Frage bleibt, trotz des eloquenten und etwas ausufernden Vorwortes, teilweise unbeantwortet. Bormuth rekapituliert auf eindringliche Weise, wie diese vier bekannten Gestalten alle in existenzielle Krisen gerieten, die schließlich in ihr „Verunglücken“ mündeten. (Wobei die Frage ist: verunglückten sie und erholten sich nie mehr davon oder erholten sie sich von irgendetwas nie mehr und verunglückten deshalb?) Aber vergleichen lassen sich die Fälle, trotz mancher Anklänge hier und da, nur schwer.

Die Darstellung des Buches führt somit auch nicht zu einem gemeinsamen Nenner, sondern bietet ein begrenztes Panorama der geistigen Landschaften nach dem 2. Weltkrieg, konzentriert in den Entwicklungen und Werken der vier gewählten Personen, in denen unaufhörlich die Frage pocht: wie kann man nach Ausschwitz die Welt wieder in die Fugen bringen? Oder sollte man sie nicht mit geballter Kraft aus den Fugen stoßen? Dazu aufrufen, die Fugen ein für alle Mal zu verlassen, wenn sie in etwas gemündet sind wie den 2. Weltkrieg, die Genozide, den Holocaust, die kommunistischen Illusionen?

“Meine Ressentiments aber sind da, damit das Verbrechen moralische Realität werde für den Verbrecher, damit er hineingerissen sei in die Wahrheit seiner Untat.”
(Jean Améry)

“es ist zwar ein wirklicher Schritt und ein heilsamer, wenn man sich entschliesst und weggeht, aber wenn man nicht freiwillig geht, ist Gehen eben doch nicht Gehen, man findet sich bloss ab und fragt sich, wo es neue Flügel zu kaufen gibt, und die hat es noch nie zu kaufen gegeben. Ob einmal noch welche nachwachsen – ich weiss es nicht, ich trau mich nicht mehr zu hoffen.”
(Ingeborg Bachmann, Brief an Hans Magnus Enzensberger)

Zu “Meine deutsche Literatur seit 1945” von Marcel Reich-Ranicki


Meine deutsche Literatur nach Er war nicht nur einer der einflussreichsten, sondern auch einer der strengsten und launigsten Kritiker der BRD, das wird in diesen gesammelten Essays & Rezensionen zur deutschen Nachkriegsliteratur deutlich. Neben exzellenten Darlegungen der Stärken von Wolfgang Koeppen, Max Frisch, Wolfdietrich Schnurre, Thomas Bernhard u.a., finden sich hier auch einige Beispiele für die überspitze Zunge des Maestros M.R.R. – nicht nur verreißt er ziemlich zwanglos Günter Grass Debüt “Die Blechtrommel” und mäkelt an Uwe Johnson herum, auch manch andere Bemerkung, die durchaus kühn gewesen sein mag, wirkt heute etwas rückständig, etwas spitzfindig.

Man muss nicht Franz Josef Czernins “Marcel Reich-Ranicki, eine Kritik” gelesen haben, um den Doyen der Literaturkritik nach 1945 kritisch zu sehen. Er war ein Meister der Selbstinszenierung und in mancherlei Hinsicht schlicht verbohrt. Dennoch war auch ein sehr bedeutender und aufmerksamer Zeitzeuge und ein in weiten Teilen gewissenhafter Essayist und Kritiker, der sich vielen (nicht selten heute sonst gänzlich vergessenen) Stimmen der deutschen Nachkriegsliteratur widmete und denen hier in diesem Band so noch ein letztes Echo verschafft wird.

Was bleiben wird von der Literatur zwischen 1945-2000, das wird sich in mancherlei Hinsicht erst noch zeigen. Ebenso wird sich zeigen, ob Reich-Ranickis Plädoyers den Widerhall finden, den seine teilweise unnötigen Verrisse fanden, die er spätestens in manchen Momenten im Literarischen Quartett und bei Grass’ “Ein weites Feld” zu genüsslich und spektakulär inszenierte. Er bleibt eine umstrittene Figur – und strittige Dokumente, mit viel Glanz und Genuss, mit viel Tadel und Servilität, Ermunterung und Evokation, sind auch diese gesammelten Schriften, von denen auch beim strengen Aussieben einige Goldkörnchen zurückbleiben.