Tag Archives: Vereinigte Staaten

Zu “Trumps Amerika” von Martin Klingst


Trumps Amerika„Dieses Buch widmet sich Trumps Wählern. Sie vor allem kommen zu Wort, mal in einer Reportage, mal in Form einer Gesprächsaufzeichnung. Trumps Wähler erzählen, was sie beschäftigt und auf die Barrikaden treibt, wie sie leben, was ihnen Sorgen macht und insbesondere, was sie am 8. November 2016 dazu bewogen hat, ihr Kreuz bei Donald Trump zu machen.“

Martin Klingst kennt die Vereinigten Staaten sehr gut. Nicht nur war er jahrelang Korrespondent der ZEIT in Washington, er verbrachte auch mit 16 Jahren einen Schüleraustausch in Colorado, kennt viele Leute in anderen Staaten des „Mittleren Westens“.

Hier, in diesen Gebieten der USA, verortet er auch den Grund für den Sieg Donald Trumps; genauer in der weißen Mittelschicht und Arbeiter*innenklasse, deren Lebensstil in den letzten Jahren nicht nur durch finanzielle Schwierigkeiten tangiert wurde, sondern die sich generell „fremd in ihrem Land fühlen“, wie Arlie Russell Hochschild es in ihrem ebenfalls lesenswerten Buch zusammengefasst hat. Oft sind es Verlierer*innen der Globalisierung, sie finden sich nicht mit dem Abbau traditioneller Werte zurecht, mit dem Fokus auf die Städte und Themen wie Umweltschutz, Gender und dergleichen und fühlen sich von der Politik der letzten Jahre mehrheitlich im Stich gelassen; auch stellen sie längst kaum mehr die Mehrheit der Wähler*innen.

Klingst lässt in seinem Buch viele von Ihnen selbst zu Wort kommen (schön ist, dass er dabei fast ebenso viele Frauen wie Männer auswählt). Er korrigiert, in Fußnoten, nur ihre gröbsten sachlichen Schnitzer oder erläutert die komplexeren Hintergründe, lässt ihre Positionen aber ansonsten unangetastet. Und in den meisten Fällen sind diese Positionen sogar erstaunlich unproblematisch. Denn abgesehen von einem Vorzeigerassisten zeigt dieses Buch keine Personen mit überaus extremen Ansichten, sondern Menschen mit schlichten, sich nur in manchen Ecken zuspitzenden Überzeugungen und dem Wunsch nach einer Welt, in der sie mit diesen Überzeugungen und ihrem eigenen Ethos existieren können.

„Auch das möchte ich in diesem Buch zeigen. Sie haben mich mit offenen Armen empfangen, mich stolz herumgeführt, fürstlich bewirtet und mir ihr Herz ausgeschüttet. Es gibt keinen Grund auf sie herabzusehen.“

Den gibt es in der Tat nicht. Natürlich fehlt vielen dieser Menschen (aber da sind sie nicht allein, wer hat den schon wirklich) der Überblick über das große Ganzen; man kann dem einen oder der anderen von ihnen eine begrenzte Perspektive vorwerfen und ihre Weltsicht ist durchaus durchzogen von Unverhältnismäßigkeiten. Aber viele ihrer Ansichten und Positionen wirken vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebensumstände nicht gänzlich unberechtigt.

Erstaunlich ist in jedem Fall, wie unterschiedlich die Leute sind, die Trump gewählt haben, vom Harvard-Juristen bis zum Kohlebergbauarbeiter. Fast alle sind mit bestimmten Aspekten von Trumps Person und Politik nicht einverstanden, aber sie alle haben Punkte gefunden, in denen er ihnen, für ihre persönliche Lebenswelt, als einzig mögliche Wahl erschien. Und viele von ihnen sind zufrieden mit den ersten beiden Jahren seiner Politik – in ihrer Welt geht es tatsächlich oft ein wenig aufwärts. Natürlich müssen sie nicht die Kosten dieses Aufschwungs zu spüren bekommen.

Dieses Buch ist fast unverzichtbar, wenn man einen Einblick in das Seelenleben von Trumps gemäßigteren Wähler*innen bekommen will. Es sind Menschen, die sich auf Kennedy berufen (frage nicht, was dein Land für dich, frage dich, was du für dein Land tun kannst), die sich oft für die Inklusion, für gerechte Arbeitsverhältnisse und viele andere gute Dinge einsetzen – natürlich haben sie auch Angst um ihre Privilegien, gehen falschen Vorstellungen auf den Leim. Aber ihre Triebfeder ist selten der Hass oder eine stupide Ideologie, sondern meist der begreifliche Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben.

Natürlich kann ein so schmales Buch nicht alles abdecken, aber ich glaube es hilft, die Gräben nicht noch weiter auseinanderklaffen zu lassen und Vorurteile abzubauen (und dennoch Urteile sprechen zu können). Es hilft zu verstehen, wie leicht Trump als die richtige Wahl erscheinen kann. Für uns ist er einfach ein Vollidiot oder ein Monster. Für viele Amerikaner*innen ist er schlicht ein Mann mit gewaltigem Ego, unflätiger Sprache, der sich aber doch in Teilen für ihre Belange einsetzt.

Am Ende landet man wieder bei der Lüge des amerikanischen Traums. Solange ein Teil der USA sich weiterhin in diesem Traum wiegt, bleibt es eine gespaltene Nation, eine Nation in der Menschen wie Trump zum Präsidenten gewählt werden.

„Die Reise in ein weißes Land hat, so hoffe ich, ein kleines Fenster öffnen können in Trumps Amerika, in diese nahe und doch so ferne Welt. Denn auch wenn Donald Trump schon morgen Geschichte sein sollte, werden seine Wähler und deren Gedankenwelt bleiben.“

Zu “Wie Demokratien sterben”


Wie Demokratien sterben “Demokratien können nicht nur von Militärs, sondern auch von ihren gewählten Führern zu Fall gebracht werden, von Präsidenten oder Ministerpräsidenten, die eben jenen Prozess aushöhlen, der sie an die Macht gebracht hat. […] Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne. […] Wenn die Zusammenbrüche von Demokratien in der Geschichte uns eines lehren, dann, dass extreme Polarisierung für Demokratien tödlich ist.”
Aus dem Vorwort des Buches

“So geht also die Freiheit zugrunde – mit donnerndem Applaus.”
Padmé Amidala, Star Wars Episode III

Wenn man popkulturelle Referenzen nicht scheut, dann könnte man die letzten 20 Jahre als palpatinische Periode bezeichnen. Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin, Hugo Chávez und nicht zuletzt Donald Trump – dies nur die populärsten Beispiele für Staatschefs, die demokratisch gewählt wurden und danach begangen, die demokratischen Strukturen so zu schwächen oder zu verbiegen, dass sie ihren Machterhalt sichern und keine offene, pluralistische Demokratie mehr gewährleisten. Auch in Ländern, in denen noch keine Autokraten regieren, gibt es verstärkt autokratische Bewegungen. Noch ist die Welt nicht so düster wie das Titelblatt, aber wer wirklich in einer offenen Gesellschaft leben will, der hat es dieser Tage in vielen Ländern der Welt immer schwerer.

Von einer Krise der Demokratie zu reden ist also angebracht, aber letztlich steckte die Demokratie schon immer in der Krise – nur weil sie das fairste und vernünftigste, ja sogar beste politische System ist, heißt das nicht, dass sie auch das einfachste ist oder das am wenigsten anfällige. Ganz im Gegenteil. Demokratien sind komplex und stets bedroht. Schon kleinste Ungleichgewichte oder kurzfristige Veränderungen können sie aus der Bahn werfen. Und die Demokratie ist zwar oft gegen Angriffe von außen, aber meist sehr schlecht gegen Angriffe von innen gewappnet. Was einmal demokratisch legitimiert ist, kann die Demokratie an empfindlichen Stellen erreichen und ihr dort schaden.

“Wer nicht aus der Geschichte lernt, der ist gezwungen, sie zu wiederholen” – dieser Aphorismus könnte in fetten Lettern als Credo auf der ersten Seite dieses Buches stehen. Denn die Autoren unternehmen nicht nur eine Analyse der Gegenwart, die sich vor allem auf Trump und seine Gefahr für die amerikanische Rechtsstaatlichkeit konzentriert, sondern greifen viele anschauliche Beispiele aus der Historie auf, um zu zeigen, wie Demokratien in den letzten 100 Jahren “gestorben” sind, wie es dazu kommen konnte.

Dabei werden im Akkord Nägel auf dem Kopf getroffen. Zu sagen, dieses Buch sei schlicht gut, wäre eine Untertreibung und doch könnte man es eigentlich dabei belassen: es ist schlicht ein gutes Buch, im Schreibstil, in der Argumentation, in der Anschaulichkeit. Die Autoren argumentieren keinen Moment lang ideologisch, sondern stellen lediglich fest, führen an, belegen. Sie weisen undemokratisches Verhalten nicht nur in den faschistischen Regimen der 20er, 30er und 40er Jahre oder den heute von Autokraten regierten Staaten nach, sondern auch in den US-amerikanischen Südstaaten der 1880er und 1890er Jahre und an anderen, teilweise überraschenden Orten.

Das ganze Buch erarbeitet ein klares Spektrum antidemokratischer Instrumentarien und ermittelt viele alarmierende Beispiele für ihre Anwendung in unserer Zeit. Dabei ergeben sich (zumindest für mich) wie von selbst Parallelen zu anderen Erscheinungen, auch in der eigenen Demokratie.
So martialisch der Titel auch klingen mag – er ist gerechtfertigt. Demokratien können sterben und wer ihre drohende Anfälligkeit nicht bemerkt oder sich nicht dagegen wehrt, sie als krank oder als angeschlagen zu betrachten, der hilft durchaus dabei sie zu töten. Donald Trump kam an die Macht, obgleich er in vielerlei Hinsicht als problematische Figur bekannt war – viel zu selten wurde er als antidemokratisch wahrgenommen und von diesem Aspekt geht die eigentliche Gefahr bei ihm aus.

Wieder mal so ein Buch, das eigentlich jeder lesen sollte. Es werden wohl wieder nur die lesen, die eh schon ahnen, was auf uns zurollt. Vielleicht ist dies hier nur ein weiteres Testament. Ich hoffe, dem ist nicht so.

Zu Ta-Nehisi Coates “We were eight years in power – Eine amerikanische Tragödie”


Eine amerikanische Tragödie besprochen bei Fixpoetry

Zu Joan Didions Essays in “Sentimentale Reisen”


Sentimentale Reisen Joan Didion ist neben Susan Sontag wohl die bekannteste amerikanische Essayistin des 20. Jahrhunderts. Oft ist sogar von einem besonderen Didion-Stil die Rede, dessen Abklatsche sich in vielen amerikanischen und europäischen Zeitungsbeilagen, Blogs und anderswo finden.

Auf ihre Essays trifft tatsächlich die Wendung „par excellence“ zu. Über lange Strecken gelingen ihnen umfassende Darstellungen und doch sind sie auf kleinster Ebene noch Auslotungen, freie Radikale, sie fügen viele Dinge zusammen und brechen sie unverhofft wieder auf. Es sind denkende Gebilde, die nicht nur um ein bestimmtes Thema kreisen, sondern die Darstellung Zeile für Zeile erweitern, zu einem neuen Aspekt vorstoßen, viele Töne anschlagen.

In „Sentimentale Reisen“ sind Texte versammelt, die zwischen 1982 und 1992 geschrieben wurden. Den Reagan-Jahren (und den Jahren seines Vize-Präsidenten Bush sen.), eine Zeit des Kapitalbooms, der deregulierten Märkte, des neuen Aufflammens der US-amerikanischen Interventionspolitik. Jahre, in die das Ende des kalten Krieges fällt, aber von denen auch die starke Prägung der letzten Verschärfungen dieses Konflikts geblieben ist.

Warum sollte man, wenn man von einem Interesse am Historischen absieht, diese Essays im Jahre 2018 noch lesen? Aus zwei einfachen Gründen: zum einen, weil die Texte eine wichtige Lehrstunde in Diversität sind, im Aufbrechen von Oberflächen, in Vielschichtigkeit. Didions Sprache ist ein Prisma, das den schönen Schein – zusammengesetzt aus Hörensagen, vereinfachter Darstellung und schematischem Denken, Zeitungsgebrüll und bequemen Versatzstücken – bricht und auffächert, das Farbspektrum dekodiert.

Zum anderen, weil das heutige Amerika in vielerlei Hinsicht ein Produkt jener Zeit ist, die Didion beschreibt. Ihre Berichte aus Washington (das Buch ist in drei Teile unterteilt, die „Washington“, „Kalifornien“ und „New York“ heißen) über die Mentalität der Leute in Reagans Weißem Haus, die Inszenierung einer Reise von Bush sen. in den Nahen Osten und den Parteitag der Demokraten, auf dem Bill Clinton zum demokratischen Kandidaten gekürt wurde, gewähren einen guten Einblick in das gleichsam vital-glänzende und innen marodiert-chaotische, hyperbolische Räderwerk des US-amerikanischen Politik- und Gesellschaftsverständnisses und dessen Praxis.

Ihre Essays über Ereignisse und Themen aus Kalifornien (die am meisten Platz einnehmen), präsentieren sehr anschaulich die Westküstenmentalität und veranschaulichen überdies, fast nebenbei, die Diskrepanz zwischen den Staaten/Gebieten in den USA, auf zu weit voneinander entfernt Formen von Lebenswirklichkeit (die letztlich auf eine Vereinzelung der Staaten hinausläuft). Mit scharfer Feder legt sie offen, wie sehr die Vorstellungen der US-amerikanischen Gesellschaft von unbewusst mitgetragenen Legenden und Mythen, betonierten Mentalitäten und medialen Schablonen geprägt sind. Natürlich trifft letzteres auf viele nationale Gesellschaften zu, aber bei der US-amerikanischen im hohen Maß, was das Angesicht dieses Landes (und seiner Probleme) nach wie vor entscheidend prägt, ebenso die Haltung seiner (weißen) Bevölkerung.

Eine sentimentale oder falsche Legende über die disparate und oft zufällige Erfahrung zu stülpen, die das Leben einer Stadt oder eines Landes ausmacht, bedeutet notwendigerweise, dass vieles von dem, was in dieser Stadt oder in diesem Land geschieht, lediglich illustrierend wiedergegeben wird, als eine Reihe von Versatzstücken oder Gelegenheiten zur Selbstdarstellung.

Das wird noch einmal sehr deutlich im letzten Text „Sentimentale Reisen“, dem einzigen Text im Kapitel „New York“. Ausgehend von einem Überfall im Central Park, bei dem eine Joggerin vergewaltigt und fast totgeschlagen wurde, sowie dem anschließenden Prozess, entwirft sie Stück für Stück ein Panorama der New Yorker Wirklichkeit und zeigt die Stadt als misslungenen Schmelztiegel, in dem weder von Aufstiegschancen, noch von kultureller Durchdringung die Rede sein kann. Es ist eine Stadt mit klaren Hierarchien, deren (fast ausschließlich weiße) Bildungs- und Wirtschaftselite immer wieder das Lied von der widerständigen und einzigartigen Bevölkerung der Stadt anstimmt, damit aber eine bestimmte Gemeinschaft meint und bestimmte Viertel, die schon vor Jahren quasi aufgegeben wurden, gar nicht miteinbezieht.

Dieser letzte Text zeigt eine Gesellschaft, die hinter ihrem selbstdarstellerischen Pathos von immer größer werdenden gesellschaftlichen Gräben auseinandergerissen wird; die eine glorreiche Oberfläche pflegt, die schon nach wenigen Schritten zu knacken beginnt, wenn man darüber geht. Didion knackt diese Oberfläche, zerbricht sie, bis aus den einzelnen Splittern Spiegel werden. Darin und darunter kommen Mentalitäten und Realitäten zum Vorschein, die die Vorläufer von Trumps-Amerika und ein paar der Grundursachen für die Probleme der Vereinigten Staaten sind.

Trotzdem bleiben es natürlich 25-35 Jahre alte Texte. Sie bilden sehr viel ab, aber sie können dadurch ihr Alter nicht gänzlich verstecken. Sie sind lesenswert, als literarische Werke und historische Dokumente. Die Aktualität, die darin liegt, ist subtiler Natur.

Zu Toni Morrisons “Die Herkunft der anderen”


Die Herkunft der anderen besprochen auf fixpoetry.com