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Zu “Vögel – 70 Arten entdecken und bestimmen”


70 Arten Vögel Viele kennen diese Verlegenheit, in die man gerät, wenn man mit einem Kind spazieren geht und es auf einen Vogel, der den Weg kreuzt, deutet und fragt: was ist das für ein Piepmatz/Vögelchen/Vogel? Wenn es sich nicht gerade um eine Amsel handelt, bin zumindest ich in den meisten Fällen überfragt und kann das nur kompensieren, in dem ich aus meinem Gedächtnis irgendwelche Vogelnamen herauskrame (Amsel, Drossel, Fink und Starr … Zaunkönig … Rabe oder Krähe? … Lerche oder war das der Baum?) und die Zuschreibung dann mit einigen Geschichten ausschmücke, damit sie auch für mich den Anschein von Richtigkeit bekommt.

Dieses kleine Büchlein im Taschenformat könnte mit der Zeit meiner Verlegenheit Einhalt gebieten, erweist es sich doch als gelungene Kombination aus Einführung und Übersicht. Nicht nur die versprochenen siebzig Arten werden geboten, die Auftakttexte des Buches widmen sich zusätzlich Fragen wie etwa: Wie beobachtet man Vögel? Mit was darf man sie füttern? Wie geht man mit einem verletzten Vogel um? Es gibt auch eine Darstellung, auf der die Bezeichnungen der Körperteile von Vögeln aufgelistet und zugeordnet sind.

Die einzelnen Vogelarten werden dann jeweils auf einer Doppelseite kompakt dargestellt, unterteilt sind die Portraits in die drei Kapitel „Parks & Gärten“, „Wald & Wiese“, sowie „Gewässer“. Das Aussehen der Tiere ist jeweils auf der rechten Buchseite sehr schön in Szene gesetzt, auch eventuelle Abweichungen bei Weibchen oder Unterarten werden mit abgebildet; zusätzlich ist ein kleiner Kalender mit der Brutzeit abgebildet und ein QR-Code, über den man zu einer Sounddatei des Gesangs gelangt.

Auf der linken Seite finden sich Informationen zur Durchschnittsgröße und dem herkömmlichen Verhalten, es gibt eine zusätzlichen Beschreibung des Aussehens und genauere Ausführungen zum Lebensraum + ein bisschen Trivia; manchmal werden auch Arten genannt, mit denen die dargestellte Art oft verwechselt wird. Symbole geben Aufschluss, ob die Tiere auch in Vogelhäuschen wohnen und ob sie gefüttert werden können/dürfen.

Das Buch kann natürlich keine Enzyklopädie ersetzen und dürfte durchaus noch Fragen offenlassen, ist aber für den Einstieg wunderbar geeignet und punktet vor allem durch seinen liebevollen Touch und seine Kompaktheit und regt dazu an, es mit sich herumzutragen und es gleich bei einem ersten Spaziergang zum Einsatz zu bringen.

 

Zu Jonathan Franzens “Das Ende vom Ende der Welt”


Das Ende vom Ende Jonathan Franzen ist das, was man einen streitbaren Intellektuellen nennt. So zumindest präsentierte er sich in seiner ersten Essaysammlung „Anleitung zum Alleinsein“, wo er sich gegen die große Vielzahl der Sexratgeberbücher aussprach und auch ansonsten eine ganze Reihe von entwicklungsskeptischen Texten vom Stapel ließ, die meisten getragen von einem Verlangen nach mehr kritischem Bewusstsein und vielperspektivsicher Wahrnehmung.

Im zweiten Essayband „Weiter weg“ wendete er sich mehr der Beziehung zwischen Leben und Literatur zu, allerdings waren auch hier noch die kritischen Ideale des Vorgängerbandes vertreten – und es finden sich dort bereits ein-zwei Texte über die Thematik, die in „Das Ende vom Ende der Welt“ zum Kernthema avanciert: Umwelt und Natur in hyper-kapitalistischen Zeiten und im Bann der Klimakrise (oder allgemein der menschlich verursachten Ungleichgewichte und Zerstörungen in allen Ökosystemen).

Franzen nimmt dieses Sujet von einer ganz eigenen Warte unter die Lupe: schon seit längerem ist er passionierter Vogelbeobachter und diese Leidenschaft hat ihn rund um den Globus geführt: nach Mittel- und Südamerika, in die Karibik, nach Albanien, Nord- und Südafrika, und sogar in die Antarktis. In etwa 50-60% der Texte in „Das Ende vom Ende der Welt“ berichtet er von diesen Reisen/Expeditionen, wobei er eine gute Balance wahrt zwischen den Schilderungen der Vogelbeobachtungen und den Berichten über die lokalen Gegebenheiten, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, unter denen die lokale Vogelpopulation leidet oder die Projekte, durch die sie geschützt wird.

Den Rest der Texte (bspw. ein Essay über das Werk von Edith Wharton, 10 Regeln für Romanautor*innen oder ein kurzes Dokument aus den Tagen nach 9/11) kann man getrost als Gelegenheitsarbeiten bezeichnen. Sie sind allesamt nicht schlecht oder überflüssig, wirken aber zwischen den anderen Texten eher wie Fremdkörper, bleiben ohne Anknüpfungspunkte und entfalten somit nicht ihr volles Potenzial.

Nun klingt ein Buch, in dem es hauptsächlich um Vögel, um die Beobachtung und die Darstellung ihres Überlebenskampfes in einer von Menschen dominierten Welt geht, erstmal nicht nach der spannendsten oder dringlichsten Lektüre, das ist mir bewusst. Dennoch würde ich sehr dazu raten, den Band zur Hand zu nehmen. Denn eben dieser Überlebenskampf und seine Umstände, die Franzen an verschiedenen Orten rund um den Globus schildert, und die Vögel selbst, mit ihrer Vielfalt und Schönheit, sind ein exemplarisches Beispiel für die Natur, die unseren Planeten so reichhaltig werden ließ, wie wir ihn vorfanden, und für die Arten und Weisen und kurzsichtigen Praktiken, mit denen wir diese Natur langsam aber sicher zerstören und uns selbst letztlich die Lebensgrundlagen entziehen.

Franzen zeigt dabei sehr schön auf, dass der Klimawandel hier nicht die einzige Bedrohung ist, sondern lediglich die umfassendste. Das Artensterben (und damit gleichzeitig das Sterben der Ökosysteme) – sei es nun bei Fischen oder Vögeln, Säugetieren oder Insekten – hat vielfältige Ursachen. Oft sind es Praktiken, zu denen schon Alternativen existieren, die sich nur endlich durchsetzen und/oder die gesetzlich verankert werden müssten.

Und lesenswert ist das Buch auch deshalb, weil Franzen es schafft, die Umweltthematiken nicht selten mit menschlichen Geschichten zu verbinden, ganz gleich ob es dabei um ein Ehepaar geht, das ganz allein einen großen Naturschutzpark aufbaut, um Menschen in den nordafrikanischen Ländern, die nicht verstehen, warum man Zugvögel nicht tonnenweise vom Himmel schießen sollte oder um seinen verstorbenen Patenonkel und die Geschichte, wie er dank ihm und einer heimlichen Liebe zu einer Reise in die Antarktis kam.

Nicht jede/r Leser*in wird etwas mit Franzens Vogelenthusiasmus anfangen können und das erschwert natürlich hier und da die Lektüre, auch ich tat mich teilweise schwer. Doch ich muss zugeben, dass ich seit der Lektüre einen frischen Blick auf mein natürliches Umfeld (soweit es in der Stadt existiert) gewonnen habe. Ich sehe wieder genau hin, wenn da etwas (abgesehen von den Menschen, die ich sofort als Personen wahrnehme) in meiner Nähe lebt, sich bewegt und an diesem unglaublichen Schauspiel teilhat, das den ganzen Planeten umspannt (es auf kleinstem Raum verkörpert). Oder besser gesagt: mehreren Schauspielen: Natur allgemein, heimisches Ökosystem, Evolution.

Franzens liebevolle Art, Vögel zu beobachten, zu unterscheiden und zu beschreiben, hat dieses neue Bewusstsein in mir angestoßen und ich glaube, dass es ihm darum auch geht: um mehr Empathie für die Natur, nicht nur aufgrund von wissenschaftlichen Fakten, sondern aufgrund konkreter Schönheit und Lebendigkeit. Die Menschheit muss diese Erde wieder als Ort vielgestaltigen Lebens begreifen, denn ohne dieses Bewusstsein, werden wir nie begreifen, was wir im Begriff sind zu verlieren, bevor es zu spät ist – für die Vögel und für uns.

Zu Amélie Nothombs neuem Roman “Happy End”


Happy End Es ist kein Kitsch, aber es ist verdammt nah dran! Diese Bemerkung träfe wohl auf einige Bücher von Amélie Nothomb zu und beschreibt außerdem recht gut den unverblümten Sinn für Schönheit und Sinnlichkeit, der ihnen entspringt und den Hauch von frecher Genialität, der sie umgibt.

Amélie Nothomb ist nämlich eine Meisterin der Direktheit, der ungekünstelten Intensität und auch der Brechstangenpsychologie, letztere wendet sie jedoch mit so viel Feingefühl, Witz und einem Gespür für letzte Ambivalenzen an, dass man sie ihr nicht übel nimmt, ebenso wenig wie die Schlichtheit ihrer Plots, sondern vielmehr staunt, wie sie mit diesen einfachen Aufzügen den Sehnsüchten und Dilemmas des Menschlichen so nah kommt.

Nothomb hat nur wenige Themen, aber Schönheit und Hässlichkeit (und ihre Gegenüberstellung) sind eines davon (sie hat diesen Topos schon in Büchern wie “Quecksilber” aufgegriffen). In “Happy End” hüllt sie das Thema in ein paar leicht märchenhafte Faktoren und erzählt, unabhängig voneinander, die Geschichten zweier Einzelgänger*innen, einer strahlenden Schönheit und einem von Geburt an hässlichen Jungen, die beide durch ihr Äußeres auf sich selbst zurückgeworfen sind und sich schließlich mehr in sich selbst als in der Welt einrichten. Während die Schönheit Trémière später Juwelen für sich entdeckt, besser: die Kunst sie zu tragen, verbringt Déodat sein Leben mit dem Beobachten und Studieren der Vögel. Beide sehnen sich, irgendwann einmal mehr verstanden zu werden als bisher. Aber wie soll das möglich sein, schwebt ihr Aussehen doch über ihnen – aber nicht einmal das scheint ein Garant für ein ungeplagtes Herz zu sein.

Eine Kunst, die Nothomb neben Leichtigkeit, Witz und Esprit beherrscht, ist die Kunst der Faszination. Ich werde wohl nie zum Vogelversessenen werden, aber für ein paar Seiten hat mich Nothomb zu einem gemacht (wie sie mich für kurze Zeit schon zu so vielem gemacht hat: zum Champagnersäufer, Briefeschreiber, zum Süßigkeitenanhimmler, zum Japantouristen, ja, zum Monster). Sonderlinge bevölkern ihre Romane, aber sie streift sie uns ohne Schwierigkeiten über und ihre Eigenwilligkeit wird zur Selbstverständigkeit, zum Herz-hochschlagen-lassenden Existenzinhalt.

“Happy End” ist ein weiteres Glanzstück, das kein Nothomb-Fan sich entgehen lassen sollte und jeder Neueinsteiger bedenkenlos zur Hand nehmen kann. Ein Hoch auf Amélie Nothomb!