besprochen beim Signaturen-Magazin
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Kurz zu David Foster Wallace “This is water”
Dieses kleine Buch, diese Rede, kann schwerlich als eines der Hauptwerke von David Foster Wallace bezeichnet werden; es wäre aber auch falsch, es als reines Nebenprodukt abzutun, als nettes Beiwerk. Es ist ein wichtiges Buch, meiner Ansicht nach sogar ein bedeutendes. Und das hat etwas mit der Tragweite der darin geäußerten Überlegungen zu tun (die ich hier jetzt nicht rekapitulieren werde) und mit der Schlichtheit, in der sie vorgetragen werden. Es ist ein Buch, das sich der Dürftigkeit seines Wesens in Bezug auf Virtuosität und – vermeintlich – Originalität bewusst ist und dennoch geradeheraus in das Angesicht der leichthändigen Ignoranz blickt und spricht. Sagt, was es zu sagen hat.
Vielen Leser*innen mag das Büchlein dennoch belanglos erscheinen und ich will ihnen nicht mal widersprechen, denn es steckt eine große Belanglosigkeit darin, vielleicht auch eine belanglose Größe. Und doch würde ich mir wünsche, dass mehr Leute verstehen, warum ich Foster Wallace behutsamen Anschauungen nur zustimmen kann; warum ich denke, dass sein einfach geäußertes “Obacht!” bis in viele Hinterköpfe vordringen sollte. Vielleicht, weil unser Zusammenleben viel weniger selbstverständlich sein sollte und gleichsam selbstverständlicher. Aber alles, was dazu zu sagen wäre, steht in diesem Buch. Was ich – ganz abgesehen davon, was ich mir als Reaktion wünschen würde – nur empfehlen kann, ist: es zu lesen.
Es geht um Verständnis.
Zu Volker Sielaffs Journal “Überall Welt”
besprochen beim Signaturen-Magazin
Das Eindrückliche an der Oberfläche, mit Pointen, Idee und Poesie – Clemens J Setz erster Gedichtband
“Nach einem langen Spielfilm über eine Pandemie –
mit Schauspielern bedeckt von gelblichen Pusteln
und blutenden Geschwüren, mit Bergen von Toten
quellend aus einem New Yorker U-Bahn Schacht –
stehen wir uns spät im Schlafzimmer gegenüber,
froh, dass wir gesund sind. Aber wir sagen es nicht,
fürchten den Blick des anderen: War doch nur ein Film.”
“[…] die Welt an bestimmten Stellen zu verdichten, oder besser: die Aufmerksamkeit an einer bestimmen Stelle sammeln und verdichten.”
(Paul Groussac)
Die Idee der Lyrik liegt im Ursprung nah an Gebet und Melodie – Verse sollten einprägsam sein und somit leichter von Generation zu Generation weitergegeben werden; das erhebende Gefühl eines Gedichts lag dabei auch oft im Klanglichen, in Metrum und Reim und der darin zirkulierenden Botschaft.
Doch kein Ding ist gefeit vor Weiterentwicklung und Erweiterung; auch der Begriff der Lyrik ist im letzten Jahrhundert in eine Vielzahl von neuen Formen und Möglichkeiten hineingewachsen, hat Elemente der Kurzprosa, Joyce Stream of consciousness und anderer Einflüsse übernommen und sich teilweise von den literarischen Formatierungen von einst (wie Lied, Elegie, Sonett oder Epigramm etc.) gelöst. Heute ist sie zum freisten literarischen Kommunikationsmittel überhaupt geworden, zu einer Kategorie, unter der sich beinahe jede Form von sprachlich verdichteter Botschaft verstanden sehen will.
Im Kern ist es aber immer noch ihre, mit der Zäsur des Zeilenumbruchs einhergehende, spezielle Form von Suggestion und Wirkung, die die lyrische Idee ausmacht: nach und nach wird aus Assoziation und Mitteilung etwas zusammengesetzt, das in seiner Verdichtung die Beweglichkeit der Wahrnehmung erhöht, Welt, Erkenntnis, Betrachtung und Gefühl, die in ihren sukzessiven Geschäften oft allzu schnell auseinander gehen, ein paar Zeilen, ein paar Momente lang, auf einen Nenner bringt. Joseph Brodsky nannte das “geistige Beschleunigung” und es ist schwierig eine knappere, passende Wendung für diese spezielle, eindringliche Gewissheit des Gedichts zu finden.
“Er fragte den Berg:
Was aber könnten wir hinterlassen
als Zeugnis oder Entschuldigung unserer Kultur?
Skigebiete, sagte der Berg, bunte, schaukelnde Gondeln
und, falls nötig, Gipfelkreuze, mit allerlei Inschriften.
Was glaubst du, fragte er den Berg,
liebt sie mich?
Wird sie meine Frau?,
Grau, sagte der Berg, Felsen und Wiesen,
Tourismus im Sommer und jede Menge Rotwild.”
Warum diese lange Vorrede über den Gegenstand, ohne dabei sofort auf das Buch an sich einzugehen?
Nun: man kann jedem literarischen Werk nur gerecht werden, wenn man es nach seinen Möglichkeiten und nicht wenn man es nach seinen Verfehlungen beurteilt – der Rezensent hat die Aufgabe, die Möglichkeiten so darzustellen, dass der Leser nachher entscheiden kann, ob ihm diese zusagen oder nicht; ob es das ist, was er von einem Buch will oder nicht. Und im Fall von Clemens J. Setz erstem Gedichtband ist es wichtig, von vorne herein zu wissen, dass Gedichte im klassischen Sinne hier kaum bis gar keinen Raum einnehmen – dafür jede Menge lyrische und plastische Verdichtungen, welche eine Menge Stoff zum Nachdenken und Aufnehmen geben, viel Wirkung durch minimale und außergewöhnliche Sprachmagie entfalten.
“Kinderlose Papageien
die frei in der Wohnung fliegen
beginnen manchmal Schuhe zu füttern
[…]
Kein noch so hochhackiges
fremdes Paar Stiefel
das nur eine Nacht hier stehen blieb
muss leer nach Hause gehen.”
Was mir, direkt vorweg, an diesem Band gefällt, ist seine eher unästhetische und mehr kommunikative Art, welche viel Raum für Reaktion und Weiterdenken von Seiten des Lesers lässt; was man Setz daher nicht vorwerfen kann, ist, dass er nicht verstünde, wie ein Gedicht funktioniert. Das weiß er. Doch jene ganz tiefen Schichten, die ein Gedicht mit seinen ruck- und blitzartigen Momenten, in langen Windungen vorbereitet, erreichen kann, lässt er größtenteils unangetastet und bleibt an der Oberfläche – und beweist hier eine eigene Art von Tiefe.
“Auch heute Morgen
liegen sie wieder
auf den Tasten
meines Klaviers
[…]
gekrümmt auf dem Rücken.
Was geschieht
nur in diesem Zimmer
jede Nacht?”
So schreibt er über die toten Fliegenkadaver am Morgen. Mit einem Blick für außerordentliche Geläufigkeiten – ein Motiv, dass sich durch den ganzen Band zieht und immer wieder aus Anekdoten, Philosophien, Wissen und Witz, Bild und Geschichte eine lyrische Improvisation macht. Dieses sind, klugerweise, nie pompös noch abstrakt, sondern haben eher etwas Unbeteiligtes, eine halbreflexive Pointe oder eben eine fehlende Pointe, die den Leser bei der Entstehung des Textes in seinem Bewusstsein auf sich selbst zurückwirft – Setz beherrscht solche Pointen und auch wenn er sich auf gewisse Weise so der Verantwortung für einige seiner Gedichte entzieht, entsteht daraus ein größerer Austausch zwischen Leser und Text, ja, man könnte sogar sagen, dass Setz dem Text und dem Leser auf diese Weise mehr Raum lässt als viele andere Dichter, in dem er den Leser nicht nur zum unmündigen bloßen Erfasser, sondern zum anwesenden Zuschauer, zum nachträglichen Akteur in der Idee seiner Gedichte macht. Was er liefert ist die Wahrnehmung, die Idee, er formt sie aber nicht zu einer endgültigen Fassung, lässt sie in der Schwebe.
“Mit Jetlag kann ich alles ertragen. Einen Toten
in einer Tonne, ein Kind ohne Arme und Beine,
einen brennenden Menschen in einer Baumkrone.
Mit Jetlag scheint mir alles erlaubt,
auf meinem Weg quer durch die Stadt
zurück zum hellen Empfangsbereich des Hotels.”
Man hat fast ausnahmslos das Gefühl, dass Setz vom Wesentlichen spricht, egal worum es gerade geht: sei es Jetlag, eine nacherzählte Begebenheit, ein Traum über das weltumspannende Dynamo einer Warteschlange. Allem verleiht er die Atmosphäre eines Spiegelbildes, einer Wirklichkeit, welche den Worten ihren Inbegriff mitgegeben hat. Und trotz ihrer Fülle und ihrer Chance zur Tiefe bleibt seine Poesie unabgehoben, nah am Ursprung, an der Wahrnehmung selbst.
“Ich liebe dieses All-das-gibt-es-wirklich-Gefühl beim Eislaufen, die Simultaneität-des-aneinander-vorbei-Lebens zweier kaputter Straßenlaternen.”
Man kann Setz nicht vorwerfen er sei nicht poetisch. Nur entspringt seine Idee von Schönheit nicht allein aus einem vertraut-blumigen Idyllendenken, sondern masert die Dinge mit dem Augenblick der Erfahrung, der Tiefe des Symptoms, dann und wann auch mit der Schärfe der Schneidezähne, mit denen wir das Leben kauen, bevor wir es unwiderruflich verschlucken. Das ist gewiss nicht die übliche Herangehensweise in Sachen Lyrik. Doch was dabei herauskommt zählt, die Wirkung, nicht das Konzept, welche eben nur nach der Wirkung beurteilt werden sollte.
“Heute
ist der einzige Herbst in dieser Straße
der helle, erdenschwere, schlanke,
eingezäunte Baum
zwischen den Kleidersammelstellen
und der Parkplatzschranke.
Den Zaun trägt er wie eine Armbanduhr
gegen die Außentemperatur
und gegen zukünftige Erdbebenwellen
und die kreisenden Lichter der Müllabfuhr.”
Wollte man die Art dieses Bandes kurz und knapp zusammenfassen: Es werden Wissen und Witz, unwillkürliche Ahnung, Bilder und Anekdoten, in Form eines Gedichts in den Leser downgeloaded; was der Leser währenddessen bei sich uploaded bleibt ihm selbst überlassen. Wenn man sich auf eine Kommunikation einlässt, fühlt man sich, im Vergleich mit vielen sonstigen Dichtungen mit schiefen Bildern und Metaphernüberbiss, in diesen filigranen Erfahrungsgleichungen und Gedankenabweichung eigentlich ganz wohl.
Gegen Ende hin, ist auch die Poesie in Setz Band geradezu unausweichlich. Sie tritt auf, sentenzartig und kurz. Sie durchdringt einen.
“Die Stille: ein Mönch verirrt sich
auf dem bunten Muster eines Teppichs.”
(http://www.suhrkamp.de/buecher/die_vogelstrausstrompete-clemens_j_setz_42416.html).