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Notiz zum Gedenktag des Widerstandes gegen das Dritte Reich, 20. Juli
Mir fällt jedes Jahr das Zitat des evangelischen Theologen Martin Niemöller ein. Ein Eingeständnis seines eigenen Versagens einerseits, aber auch eine ganz wichtige Botschaft:
Widerstand gegen ein Regime, eine willkürliche oder bedrohliche Autorität, gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung und/oder Diskriminierung sollte nicht erst dann beginnen, wenn man selbst oder die Angehörigen der eigenen “Gruppe” betroffen sind, sondern in dem Moment, wo man von Ungerechtigkeiten erfährt, Kenntnis hat – im Rahmen der eigenen Möglichkeiten.
Zu glauben, dass man nie zum Kreise derer gehören wird, die betroffen/bedroht sind, ist nicht nur ignorant, sondern auch gefährlich. Denn was einem Menschen angetan wird, kann im nächsten Moment auch einem anderen angetan werden.
Zu Julia Ebners “Wut”
Wir leben einer Zeit der kumulativen Extreme (und des kumulativen Extremismus), einer Zeit also, in der verschiedene (radikalisierte) Ansichten und Krisenfälle sich gegenseitig aufschaukeln und die Fronten verhärten. Das hat viele unterschiedliche Gründe, die in den meisten Fällen ihre Wurzeln in der verschleppten Auseinandersetzung mit (oder der Nichtbeachtung von) den Folgen technologischer und historischer wie geopolitischer Veränderungen und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Umbrüche haben.
Die Einmischung der USA und ihrer Bündnispartner in das (dadurch fast gänzlich zerstörte) Mächtegleichgewicht im Nahen Osten (bei gleichzeitiger Abhängigkeit von den Rohstoffen dieser Region) und generell das postkoloniale (aber nicht postkapitalistische und damit nicht wirklich postkoloniale) Chaos, hat in den letzten Jahrzehnten und Jahren zu Dynamiken geführt, die Bürgerkriege, Fluchtbewegungen und zusätzliche Verheerungen zur Folge hatten. Gleichzeitig bröckelte das scheinbar im kalten Krieg errungene „westliche“ Machtmonopol und der Kapitalismus (und mit ihm die Globalisierung) befindet sich wegen seiner neoliberalen Zuspitzungen endgültig in einer schweren Krise, die Mitteleuropäer*innen nur deswegen so wenig zu spüren bekommen und verleugnen können, weil sie im Auge des Sturms sitzen und immer noch glauben, sie könnten agieren, obgleich sie nur noch reagieren.
Aber eigentlich spüren auch wir diese Krise, die eine ökonomische und ökologische Krise ist und eine Herausforderung, der sich die Menschheit längst geschlossen gestellt haben müsste. Was hält sie davon ab? Hauptsächlich der Glaube, man müsste immer noch den Kuchen verteilen, obwohl es längst darum geht, dass vielleicht bald keine Zutaten mehr da sind. Albert Camus unheilvolle Diagnose, dass menschliche Geschichte ein Kampf um Privilegien und nie wirklich die Suche nach einer einheitlichen Vision war und ist, lebt fort.
Als Analystin bei der Londoner Extremismusbekämpfungsorganisation Quiliam, die von ehemaligen Islamisten gegründet wurde, war es mein oberstes Ziel, die Pläne von Terroristen frühzeitig zu durchschauen und zu durchkreuzen. […] In meinen Gesprächen mit Extremisten in rechtsradikalen Foren erkannte ich, dass das Drehbuch der Rechtsextremen dem der Islamisten erstaunlich ähnlich ist. […][…] Die Rhetorik und der modus operandi weisen in mancherlei Hinsicht eine verblüffende Ähnlichkeit auf. Beide stacheln zum Hass gegen den anderen auf, der angeblich die Gesellschaft als Ganzes repräsentiert. Beide Seiten fühlen sich in ihrer kollektiven Identität und Würde angegriffen. […] Beiden ging und geht es darum, durch kontrollierte Provokation und strategische Polarisierung das selbstzerstörerische Potenzial der Gesellschaft freizusetzen, sodass sie letztendlich freie Bahn haben, um ihr eigenes radikales Modell zu etablieren. […] Dies macht die beiden Extreme faktisch zu „rhetorischen Verbündeten“.
Einer der Konflikte, der unsere Gesellschaften davon abhält (ja: abhält) sich den drängenden Fragen der Zukunft zu stellen (bspw.: Wie können wir das Ökosystem unseres Planeten retten? Wie unsere Wertvorstellungen ineinander integrieren? Wie die Erzeugnisse unserer Industrien und die Rohstoffe unseres Planeten gleichmäßig und fair verteilen?) ist der Konflikt, der sich vermeintlich an der Zugehörigkeit zu Völkern und Glaubensgemeinschaften entzündet. Längst haben sich diese Zugehörigkeiten durchdrungen (wie es in der Geschichte schon oft vorgekommen ist, ja, zur Normalität gehört), aber es gibt immer noch Menschen, die glauben, sie sauber voneinander trennen zu müssen (und zu können). Menschen, die ein binäres Weltbild pflegen und weiterhin glauben, dass die beiden Position zwangsläufig gegeneinander antreten müssen.
Julia Ebner hat ein Buch über diese Menschen mit extremen Vorstellungen geschrieben. Die darin verfolgte Hauptthese ist, dass zwei der wichtigsten extremistischen Bewegungen unserer Zeit, die islamistische und die rechtsextreme, letztlich zwei Seiten einer Medaille sind, deren Narrative sich in vielen Punkten gleichen und die sich darüber hinaus auch gegenseitig stärken. Sie nehmen die Positionen und Taten des jeweils anderen Extrems als Beispiele, um größere Gruppen oder ganze Gesellschaften zu verdammen und zu stigmatisieren und Anhänger*innen für ihre Weltsicht zu gewinnen. In diesen verzerrten und vereinfachten Ansichten ist bspw. Trump die Personifikation des Westens und die Selbstmordattentäter und fanatischen Gläubigen stellen den durchschnittlichen Muslim dar.
Obwohl es sich vielleicht von selbst versteht, ist es wichtig zu betonen, dass die meisten Muslime keine Islamisten sind und die meisten Islamisten keine Dschihadisten.
Ebner, aus Österreich stammend und in London arbeitend, versucht in „The Rage“ (sie schrieb das Buch auf Englisch) anhand vieler symptomatischer und repräsentativer Schicksale, Begegnungen und Geschichten, die Vorstellungen und Dynamiken innerhalb der rechtsextremistischen und radikalisierten islamistischen Kreise und Netzwerke zu beschreiben; zu zeigen, wie sie ihre Weltbilder in die Ängste der Bevölkerungen integrieren und wie sie diese Aktionen mit Multimedia, popkulturellen Einflüssen und sozialen Netzwerken unterstützen.
Ein wichtiger Punkt, um den sich das Buch dabei durchaus verdient macht, ist das Augenmerk, welches auf die wichtige Stellung des Narrativ gelegt wird, der glaubwürdigen und einfachen Geschichte, die der Kit sind, ohne den extreme Haltungen schnell in sich zusammenfallen würden. Die Welt ist jedem geöffnet und verstellt durch seine/ihre Interpretation der eigenen Erfahrungen und wir sind oft darauf angewiesen, dass uns die Zusammenhänge, die diese Erfahrungen (innerhalb von größeren Strukturen) bedingen, erklärt bzw. erzählt werden.
Der erste Schritt zur Bekämpfung des Extremismus besteht darin, den Geschichten von Extremisten zuzuhören. Natürlich geschieht das am besten innerhalb der jeweiligen Communities – dort, wo die unzensierten Gespräche stattfinden.
So beginnt das Buch auch mit der Schilderung einer Teilnahme an einer Demonstration der EDL (English Defence League) und an einer Diskussionsveranstaltung der Hizb ut-Tahrir („Partei der Befreiung“) – an ein und demselben Tag. Das erweist sich zum Auftakt als keine schlechte Idee, untermauern die Schilderungen der Veranstaltungen doch zum einen gleich die Grundthese, dass Extremist*innen sich letztlich – abseits dessen, worauf sie sich stützen – in ihren Forderungen und Methoden oft gleichen, während sie auf der anderen Seite, durch die Darstellung des Kontaktes mit Teilnehmer*innen der jeweiligen Veranstaltungen, die menschlichen Profile hinter den Organisationen ins Licht rücken.
Weil Extremismus stets mit der Entmenschlichung anfängt, werde ich mein Möglichstes tun, um nicht in dieselbe Falle zu tappen, und stattdessen bestrebt sein, jede einzelne Person als menschliches Wesen mit guten und schlechten Eigenschaften darzustellen.
Man muss Ebner zu Gute halten, dass sie in diese Falle tatsächlich nicht getappt ist. Ihre Beschreibungen der (vielen, vielen) Personen, die im Buch auftauchen, sind sicherlich manchmal von Erschütterungen durchzogen, aber nie über ein obligatorisches Maß hinaus wertend oder verurteilend.
Überhaupt ist sie bestrebt, die Vorstellungen, die man sich auf beiden Seiten (und in der von den Extremen zunehmend eingenommenen Mitte der Gesellschaft) von den Akteur*innen der rechtsextremen und islamistischen Organisationen macht, etwas aufzubrechen. Nicht, indem sie diese Akteur*innen als missverstanden darstellt oder sie allzu stark als Opfer gesellschaftlicher und sozioökonomischer Missstände inszeniert (obwohl sie dies mitbedenkt und bei passenden Gelegenheiten auch anspricht), sondern schlicht ihre Motive und Aussagen durchleuchtet und so der Irrationalität ihrer Taten und Weltbilder ein Umfeld gibt, was ihre Ansichten zwar nicht unbedingt verständlicher oder zugänglicher macht, aber sie der Vereinfachung entzieht. Viele Täter*innen und Akteur*innen stellt sie als Menschen dar, die aufgrund ihrer Lebensgeschichten Identitätskrisen aufwiesen und sich auch deshalb für radikale Konzepte, die ihnen bei der Festlegung ihrer Identität und Zugehörigkeit halfen und Ziele festlegten, empfänglich zeigten.
Es sollte nicht vernachlässigt werden in den heutigen Diskussionen, dass die Freiheiten, die unsere westlichen Gesellschaften propagieren (auf manchen Ebenen und in manchen Ausprägungen mit einer Vehemenz, die auch schon wieder an Zwang erinnert), offenbar auch eine Belastung für manche Menschen sind, die sich nach einem klaren Selbstbild sehnen und nicht ersehen können, wie sie außerhalb von konkreten, geschlossenen Weltbildern zu einem solchen finden. Das hat natürlich einiges mit dem schnellen Tempo der Veränderungen und auch etwas mit der Wahrung von stürzenden Privilegien zu tun – ich bin kein Freund der Freund*innen von geschlosseneren Weltbildern, ich teile ihre Ängste nicht, aber ich verstehe, woher sie rühren. Sie auszuklammern, das zeigt das Buch, befördert Radikalisierung, weil sie sich als die einzige Alternative präsentieren kann.
Die Tatsache, dass wir unsere Identität nach Belieben formen können, bedeutet auch eine große Belastung: Selbstdefinition kann ein schwieriger Prozess sein, auf den nicht jeder vorbereitet ist.
Auch mit vielen anderen bequemen Vorstellungen räumt Ebner auf und es gibt einige Punkte in ihrem Buch, die sie mit wunderbarer Klarheit und Prägnanz anspricht. Dazu gehört bspw. die Rolle der Medien (und das Verhalten ihrer Konsument*innen) bei der Popularisierung von extremistischen Positionen. Sie nennt das Kind beim Namen: es gibt „unverantwortliche Medien“, die ihren Auftrag der Berichterstattung als Anlass nehmen, um reißerische und stark konnotierte Berichte über Ereignisse und Phänomene zu schreiben/zu senden, bei denen eine differenzierte und längerfristige Berichterstattung wichtig wäre, auch um die Vorurteile und eindimensionalen Vorstellungen von vielen Dingen zu korrigieren. Sie tragen mit, was sie eigentlich aufbrechen und auf verschiedene Gesichtspunkte verteilen sollten.
Aber anscheinend haben manche Medien kein Interesse daran, sich als Gegenbild zum Gerede am Stammtisch, zu Gerüchten und Vereinfachungen zu verstehen, sondern biedern sich immer mehr bei diesen Formen an (was, so meine persönliche Meinung, eine himmelschreiende Dummheit war und ist).
Man kann sich unverantwortliche Medien als Theater vorstellen, das die von Terroristen verfassten Stücke inszeniert und die Eintrittskarten für die Vorstellungen verkauft. Derweil drängt die Öffentlichkeit, die sich das Schauspiel ansieht, Politiker, auf die Bühne zu gehen, um in dem Stück mitzumachen, und zwar nach dem Drehbuch der Terroristen.
Und die Politiker*innen widersetzen sich diesem Trend nur bedingt (und stehen natürlich auch dann und wann vor einem Dilemma). Ebner schreibt:
Sichtbar zu handeln wird wichtiger als effektiv zu handeln.
Und bringt damit auf den Punkt, was derzeit allerorten geschieht, nämlich das Populismus immer mehr dabei ist, zum normalen Politikstil zu werden.
An der Geflüchtetenkrise erhitzen sich derzeit viele Gemüter und obgleich ich schon viele vernünftige Stimmen zu dem Thema gehört habe, überwiegen nach wie vor die irrationalen und stark vereinfachten Perspektiven auf dieses Phänomen. Ebner zeigt wie leicht sich dieses Thema instrumentalisieren ließ, wie einfach es zugelassen wurde. Denn genau das ist geschehen – diese „Krise“ wurde instrumentalisiert, ebenso wie es der islamistische Terror wurde.
Natürlich sind die Verbrechen, die Terroristen in Europa begangen haben, schrecklich, verwerflich, erschütternd. Aber es sind Verbrechen, wie sie jeden Tag auf dem ganzen Globus im Namen vieler Religionen, Ideen und sonstigen Motivationen begangen werden. Jeden Tag missbraucht jemand die Idee der Liebe, der Gerechtigkeit, der Vernunft, etc. um jemand anderem weh und/oder Unrecht zu tun – deswegen werden diese Ideen nicht verdammt. Eine Idee – und auch eine Religion – kann nichts dafür, wenn sie missbraucht wird. Und genau das tun islamistische Selbstmordattentäter – sie rechtfertigen etwas, das sich nicht rechtfertigen lässt, mit einer Religion, deren Schriften Raum für Ausdeutungen lassen und die von vielen anderen, die nach ihnen leben, auf eine ganz andere Weise gedeutet werden. Es gibt nicht den einen Islam. Es sollte außerdem nicht vergessen werden:
Die meisten Terroropfer sind Muslime, und die große Mehrzahl der dschihadistischen Anschläge findet im Nahen Osten und in Afrika statt. Im Jahr 2015 ereigneten sich 75 Prozent der weltweiten Todesfälle durch Terrorismus in Irak, Afghanistan, Nigeria, Syrien und Pakistan.
In Europa werden die geringen Prozente derweil genutzt, um Ressentiments und Vorurteile zu schüren. Es werden gesellschaftliche Freiheiten eingeschränkt, um Terrorismus zu verhindern. Natürlich müssen wir uns um Sicherheitsmaßnahmen kümmern – aber nicht zu jedem Preis. Denn wir müssen gleichzeitig akzeptieren, dass es keinen letztendlichen Schutz vor Verbrechen gibt. Sie entstehen in den Köpfen von Menschen jeglichen Alters, jeglicher Glaubensrichtung, jeglicher Herkunft – und auf die Köpfe der Menschen hat, zum Glück, niemand Zugriff. Man kann versuchen früh anzusetzen, Gräben und Isolation gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Europa hat schon vorher Migrationsbewegungen erlebt und unsere Gesellschaften können, wenn zusammengearbeitet wird, diese neue Bewegung ebenfalls verkraften und Menschen helfen, die vor Krieg und Mord und Folter geflohen sind. Natürlich werden wir teilen müssen, etwas abgeben müssen von unserem Wohlstand. Aber ganz abgesehen davon, dass wir diesen Wohlstand auch einer jahrhundertelangen Ausbeutung anderer Erdteile verdanken – was ist so schlimm daran, etwas abzugeben, wenn es hilft, wenn es eine konfliktärmere Zukunft hervorbringt? Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir wirklich leben wollen und was das für andere Menschen an anderen Orten bedeutet.
Deswegen sollte beherzigt werden, was Ebner über die Geflüchtetenbewegung kurz und prägnant schreibt, nämlich dass
eigentlich nicht Europa mit einer Flüchtlings- und Migrantenkrise konfrontiert ist. Es sind die Flüchtlinge und Migranten, die mit einer Krise Europas konfrontiert sind.
Diese Krise Europas, die sich auch im Aufkommen von isolationistischen und nationalstaatlichen Ideen zeigt und in extremen Positionen – gerichtet gegen einen Feind, der viel größer gemacht wird als er ist, um dem eigenen Extrem mehr Bedeutung zu verleihen –, wurde nicht herbeigetragen von Menschen aus Syrien und anderen Ländern. Sie fand schon früher statt und tritt nun klar zutage. Und hat ihren Ursprung einfach darin, dass wir (West-)Europäer*innen in den letzten Jahrzehnten so gelebt haben wie wir gelebt haben. Und diese unsere Einstellung muss auf allen Ebenen überdacht werden.
Ebners Buch – obgleich es sein Hauptaugenmerk auf die Ränder der Gesellschaft legt und von dort allerlei Informatives heranträgt – handelt letztlich auch von dieser Krise. Einer Krise, die so groß tobt, obwohl eigentlich nur so wenig toben und viele andere unsicher stillhalten oder mal mittoben oder sich abwenden.
Und in dieser Hinsicht ist es, trotz einiger Mängel, ein wichtiges Buch. Es will viel, es reißt viel an und es tauchen jede Menge Personen auf, die allzu schnell wieder verschwinden. Es will zu viel. Aber es scheitert dennoch nicht, denn in diesem “zu viel” geschehen immerhin allerlei Durchbrüche, die allerhand Proben liefern, von Verhältnissen, die uns umgeben und, obgleich sie extrem sind, längst die gemäßigte Sicht in einigen Punkten mehr und mehr beeinflussen, für sich gewinnen.
Es ist dieses Buch letztendlich ein Aufruf, ein Aufruf zum Dialog, der allein das Abdriften in die Extreme – die es immer geben wird, denen man aber nicht den Diskurs überlassen darf – verhindern kann. Am Ende schreibt Ebner:
Verschließen wir niemandem die Tür; bleiben wir stattdessen offen für Dialog und Debatte mit allen. Was die Humanisten und die Antihumanisten unterscheidet, ist, dass Ersterer jedem – auch der Person, die er oder sie am meisten hasst – eine zweite Chance geben würde.
Über zweite Chancen, über Utopisches und das Wagen muss nachgedacht, geredet werden. Und es müssen Narrative entwickelt werden, die sich um das Gemeinsame und Verbindende bemühen – den Geschichten erschaffen Vorstellungen, bedingen Handlungen. Das zeigt Ebners Buch überdeutlich und dies ist, wie bereits gesagt, wohl der wichtigste Verdienst dieser Schrift. Sie wendet sich gegen Ungenauigkeit und Unverhältnismäßigkeit und damit gegen zwei Phänomene, die in der Zeit von Fake-News, Kommentarspaltenhetze und Millionen von Pseudoexpert*innen, unsere schlimmsten Alpträume geworden sind. Wie sagte schon George Orwell:
Ungenaue Sprache hindert uns daran, klar zu denken, und veranlasst uns, törichte Gedanken zu reproduzieren.
Zu den politischen Gedichten von Heinz Rudolf Unger
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu Eduardo Galeanos Vermächtnis: “Geschichtenjäger”. Großartig!
„Die Erde segelt dahin.
Sie trägt mehr Schiffbrüchige als Passagiere.“
Eduardo Galeano war einer der umtriebigsten linken Autoren des 20. Jahrhunderts. Fußballfan und Feminist, anprangernder Journalist und Geschichtenerzähler, Mythensammler, Aktivist und Herausgeber – die Breite seiner Interessen, die Größe seines Augenmerks und seines Bewusstseins für Ungerechtigkeiten, Verschüttetes und Tröstendes war enorm.
Diesem besonderen Gespür bot sich in Südamerika und seinem Heimatland Uruguay genügend Stoff dar. In einem seiner bekanntesten Bücher, „Die offenen Adern Lateinamerikas“ (das in vielen der südamerikanischen Militärdiktaturen verboten war), zeichnete Galeano minutiös und akribisch die einstigen und derzeitigen Ausbeutungen und Zerstörungen des Kontinents und seiner indigenen und derzeitigen Bevölkerung nach. Auch in vielen seiner anderen Bücher war ihm vor allem daran gelegen, den Reichtum und die Grausamkeit des Daseins nebeneinander zu stellen und auch aus der kleinsten Perspektive heraus sichtbar zu machen.
„Geschichtenjäger“ ist das letzte von Galeano noch abgeschlossene Buch (in der deutschen Ausgabe befinden sich aber auch noch einige Stücke aus seinem vor dem Tod begonnenen Buch „Kritzeleien“). Es ist, dies will ich direkt sagen, eines der schönsten, mannigfaltigsten, reichsten, aufrechtesten Bücher, die ich in meinem Leben gelesen habe. Es ist ein Schatz, ein Buch für alle Zeiten und Tage.
Wie soll man die zumeist nur eine Seite langen Kurzprosastücke dieses Büchleins beschreiben? Begebenheiten? Erinnerungen aus der Unzahl der Leben und Tode? Spuren der Ungerechtigkeit und der Schönheit? Verbrechen und Wunder? Phänomene? Nadelstiche, stechend und gleichsam ein großes Panorama nähend? Anekdoten und Fabeln? Zerschlagenes und Utopisches? Berichte von Courage und Ignoranz?
Das alles deckt einen Teil der Texte ab und vernachlässigt manch anderes, eigensinniges oder plötzlich aus einer ganz anderen Richtung herbeiwanderndes Kleinod. Über Galeanos Buch kann man sagen, was man über die Erzählbände Julio Cortázars oft sagt: es sind keine Bücher, es sind Welten.
Bei Galeano bestehen diese Welten zu gleichen Teilen aus scheinender Transzendenz und harter Realität. Die Adjektive sind wichtig. Denn auf der einen Seite breitet er Mythenkosmen und Sagenstoffe aus, spielt sie an wie Melodien und es scheint daraus ein Glaube an den ewigen Kreislauf von Überwindung und Fehlschlag hervor, an die Kraft der Ideen und gleichzeitig Zerrissenheit der Existenz.
Auf der anderen Seite legt er ohne Ende die Verfehlungen, die ganze Ignoranz der menschlichen (und vor allem männlich dominierten) Gesellschaften bloß: Prüderie und Körperfeindlichkeit, Bigotterie und mangelnde Vorstellungskraft, Rassismus und Unterdrückung, Misogynie und Vorurteil – seine Geschichten aus der Realität handeln von all diesen Verbrechen und wie Menschen und Völker ihnen erliegen, sie verfechten und wie einzelne und viele sich ihnen entgegenstellen.
Ca. 250 dieser anekdotischen Fundstücke, erjagten und erinnerten Geschichten sind hier versammelt. Sie machen Mut, berühren, erschüttern, faszinieren und stimmen nachdenklich. Galeano liefert ein Panorama der Niedertracht und erzählt dazwischen von den Momenten des unbeirrbaren Widerstands, Fortschritts und von kleinen leuchtenden Beispielen, die sich wie Wunder aus dem Getümmel der sonstigen harten Fakten emporheben, die über den Globus wuseln, zusammenstoßen und sich vermehren, sodass man gar nicht glauben mag, dass ihnen jemand entgehen kann.
Hier und dort kann man dieser Härte entgehen, wenn man sich dem Ewigen zuwendet oder gegen den Sog der Härte ankämpft, für und für andere einen kleinen Flecken erstreitet, auf dem Ideen des Guten und des Wandels gedeihen können. Galeano erzählt von diesen Versuchen, vom Scheitern, vom Untergang und schafft es, dass man als Lesende/r, in diesen Darstellungen nicht bloß Ereignisse sieht, sondern Lektionen fürs Leben, Flammen, die bewahrt werden sollten, weil noch viel in ihrem Schein bewerkstelligt werden kann.
Ich kann wirklich nur jedem empfehlen, sich dieses Buch zuzulegen. Es ist ein Schatz fürs Leben. Ein Vermächtnis, ein glühendes, funkenschlagendes, strahlendes. Danke Eduardo Galeano. Für so vieles.
Und dank auch an den Peter Hammer Verlag, dafür, dass er seit vielen Jahren die Werke von wichtigen südamerikanischen Autor*innen wie Eduardo Galeano oder auch Ernesto Cardenal herausgibt.
Zu Michael Krügers neuem Gedichtband “Einmal einfach”
Just some Lyrics for today ….
“They say that these are not the best of times
But they’re the only times I’ve ever known
And I believe there is a time for meditation
In cathedrals of our own” (Billy Joel, “Summerhighland falls”)
“It’s not having what you want
It’s wanting what you’ve got.” (Sheryl Crow, “Soak up the Sun”)
“But it was long ago and it was far away, oh God it seems so very far
And if life is just a highway, and the soul is just a car:
Objects in the rear view mirror may appear closer than they are.” (Meat Loaf, “Objects in the rear view mirror”)
“On his right hand Billy’d tattooed the word love and on his left hand was the word fear
And in which hand he held his fate was never clear.” (Bruce Springsteen, “Cautios Man”)
“I don’t give a damn ’bout my reputation
I’ve never been afraid of any deviation
An’ I don’t really care if you think I’m strange
I ain’t gonna change” (Joan Jett, “Bad reputation”)
“Never is a long time.” (Roxette, Same)
“Well I woke up in the morning
With an arrow through my nose
There was an Indian in the corner
Tryin’ on my clothes.” (Neil Young, “Last trip to Tulsa”)
“Fernsehen und Statements, die allen gefallen,
und Banken und Ämter,
und alles in allem
hab ich viel zu viel Ärger
und viel zu wenig Wut,
ich habe viel zu viel Ärger
und viel zu wenig Wut.” (Dota, “Utopie”)
“We got loud guitars and big suspicions,
Great big guns and small ambitions,
And we still argue over who is God
And I say, “Hey there Miscreation,
Bring a flower time is wasting
we all need a revelation” (Sheryl Crow, “Hard to make a stand”)
“Let’s feel small in the world tonight
Beneath a giant sky
Forget for once who is wrong or right
Just let it all go by
Close our eyes when we grow tired
And dream of where we’ll be
When night gives way to another day
Have we ever woken up this free?” (Mary Chapin Carpenter, “We’re allright”)
“Well, I’ll never be a stranger
And I’ll never be alone
Where ever we’re together that’s my home
Home can be the Pennsylvania Turnpike
Indiana early morning dew
High up in the hills of California
Home is just another word for you” (Billy Joel, “You’re my home”)
“I talk to God as much as
I talk to Satan
‘Cause I want to hear both sides” (Biffy Clyro, “God & Satan”)
“I wish a was a trapper
I would give thousand pelts
To sleep with Pocahontas
And find out how she felt
In the mornin’
on the fields of green
In the homeland
we’ve never seen.
And maybe Marlon Brando
Will be there by the fire
We’ll sit and talk of Hollywood
And the good things there for hire
And the Astrodome
and the first tepee
Marlon Brando, Pocahontas and me” (Neil Young, “Pocahontas”)
“Früher da gabs noch keine grün-gelbe Mitte
Da verteilte Professor Fischer noch persönlich Tritte.
Doch die Blumenkinder, wer konnt das ahnen
gingen den Weg aller Bananen:
Heute grün und morgen gelb und übermorgen schwarz” (Marc-Uwe Kling, “Zug der Opportunisten”)
“And there’s always some evil mothers
They’ll tell you life is made out of dirt.
And the women never really faint,
And the villans always blink their eyes.
Children are the only ones who blush.
and life is just to die.
But, anyone who has a heart
Wouldn’t turn around and break it
And anyone who ever played the part
wouldn’t turn around and fake it.” (Lou Reed, “Sweet Jane”)
“Sorridi” (Gianna Nannini, Same)
“Ich versteh hier so viel: Geld ist Tyrannei.
Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen,
es geht um die ganze Bäckerei.” (Dota, “Utopie”)
“And if a double-decker bus
Crashes into us
To die by your side
Is such a heavenly way to die
And if a ten-ton truck
Kills the both of us
To die by your side
Well, a pleasure – the privilege is mine” (The Smiths, “There is a light and it never goes out”)
“I remember we were driving, driving in your car
Speed so fast I felt like I was drunk
City lights lay out before us
And your arm felt nice wrapped ’round my shoulder
I had a feeling that I belonged
I had a feeling I could be someone, be someone, be someone…” (Tracy Chapman, “Fast Car”)
“I’m standing here freezing at a phone booth baby
In the middle of God knows where
I got one quarter left your machine packs up
But baby I know you’re there
And I just start crying ‘cause it makes no sense
To waste these words and twenty-five cents
On a losing game” (Mary Chapin Carpenter, “You win again”)
“What kind of father would take his own daughter’s rights away?
And what kind of father might hate his own daughter if she were gay?
I can only imagine what the first lady has to say
You’ve come a long way from whiskey and cocaine.
How do you sleep while the rest of us cry?
How do you dream when a mother has no chance to say goodbye?
How do you walk with your head held high?
Can you even look me in the eye?” (Pink, “Dear Mr. President”)
“I was trying far too hard
To be what I thought I should be
I was playing wild cards and
Seeing things that weren’t in front of me
Like a little tiger, play fighting,
I was hurting myself, again and again
Because I’m hopeless.” (K.T. Tunstall, “Hopeless”)
“In the middle of the night
I go walking in my sleep
From the mountains of faith
To the river so deep
I must be lookin’ for something
Something sacred i lost
But the river is wide
And it’s too hard to cross
even though I know the river is wide
I walk down every evening and stand on the shore
I try to cross to the opposite side
So I can finally find what I’ve been looking for” (Billy Joel, “The River of Dreams”)
“San Quentin may you rot and burn in hell
May your walls fall and may I live to tell
May all the world forget you ever stood
And the whole world will regret you did no good” (Johnny Cash, “San Quentin”)
“This isn’t for the ones who buy their six-packs
At the 7-Eleven where the clerk makes change
Whose accent makes clear he sure ain’t from here
They call him a camel jockey instead of his name
No, this is for the ones who stand their ground
When the lines in the sand get deeper
When the whole world seems to be upside down
And the shots being taken get cheaper
This isn’t for the ones who would gladly swallow
Everything their leader would have them know
Bowing and kissing while the truth goes missing
“Bring it on,” he crows, putting on his big show
This isn’t for the man who can’t count the bodies
Can’t comfort the families, can’t say when he’s wrong
Playing ‘I’m the decider’ –
like some sort of Messiah
While another day passes and a hundred souls gone” (Mary Chapin Carpenter, “On with the song”)
“Gather ’round people
Wherever you roam
And admit that the waters
Around you have grown
And accept it that soon
You’ll be drenched to the bone
If your time to you
Is worth savin’
Then you better start swimmin’
Or you’ll sink like a stone
For the times they are a-changin’
Come writers and critics
Who prophesize with your pen
Keep your eyes wide
The chance won’t come again
Don’t speak too soon
For the wheel’s still in spin
And there’s no tellin’ who
That it’s namin’
For the loser now
Will be later to win
For the times they, they are a-changin’
Come senators, Congressmen
Please heed the call
Don’t stand at the doorway
Don’t block up the hall
For he that gets hurt
Will be he who has stalled
There’s a battle outside
And it’s ragin’
It’ll soon shake your windows
And rattle your walls
For the times they are a-changin’
Come mothers and fathers
Throughout the land
Don’t criticize
What you can’t understand
Your sons and your daughters
Are beyond your command
Your old road is
Rapidly agin’
Please get out of the new one
If you can’t lend a hand
For your times they are a-changin’
The line it is drawn
And the curse it is cast
The slow one now
Will later be fast
As the present now
Will later be past
The order is
Rapidly fadin’
And the first one now
Will later be last
For the times they are a-changin'” (Bob Dylan, The times they are a-changin)
…
“Lisa likes brandy and the way it hits her lips,
She’s a rock ‘n’ roll survivor with pendulum hips,
She’s got deep brown eyes,
That’ve seen it all.
Working at a night club,
That was called The Avenue,
The bar men used to call her, “Little Lisa, Looney Tunes”
She went down on almost anyone.
From the hard time living,
’til the Chelsea days,
From when her hair was sweet blonde,
’til the day it turned grey
She said :
L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.
You’ve got more than money and sense, my friend,
You’ve got heart and you’re going your own way
L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.
What you don’t have now will come back again,
You’ve got heart and you’re going your own way.” (Noah and the whale, “L.I.F.E.G.O.E.S.O.N”)
“Cos there are so many lessons
That I just never get to learn
And there are so many questions that still burn,
like:
Will you hold my hand when I go?” (Slow Club, “When I go”)