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Von Ron Winkler beschenkt


Ron Winkler gehört zu jenen Dichter*innen, bei denen man schon nach wenigen Seiten Lektüre den Eindruck bekommt, sie entnähmen ihre Worte und Sätze nicht der Sprache, sondern beschenkten im Gegenteil die Sprache immerfort mit ihren Wendungen und Formulierungen.

Natürlich entsteht dieser Eindruck gerade deshalb, weil solche Dichter*innen in großem Umfang auf vorhandenes Sprachmaterial zurückgreifen, damit arbeiten. Es entsteht eine elementare Poesie, eine dingliche, und in Winklers Fall sind Witz und Geist das Magma in diesen Dingen, das aus ihnen an die Oberfläche sprudelt und sich darauf verläuft, gerinnt zu Kunstwerken, halb aus Dingmaterial und halb aus Sprachmaterial.

Es ist, trotz aller Euphorie, schwierig, Leuten diesen Gedichtband bedenkenlos ans Herz zu legen, vor allem solchen, die bis dato wenig zeitgenössische Lyrik gelesen haben. Oder anders formuliert: niedrigschwellig sind Winklers Gedichte nicht, zumindest auf den ersten Blick.

Doch vermutlich ist die entscheidende Frage, mit welcher Motivation man diesen (oder auch manch anderen Lyrikband) zu lesen beginnt. Mit dem Wunsch nach konkreten Erkenntnissen und klaren Definitionen wird man dieses Buch vermutlich vergeblich durchblättern. Ein besserer (und eigentlich auch schönerer) Ansatz wäre, wenn man das Buch mit dem Wunsch aufschlagen würde, eine Interaktion zwischen Sprache und Welt zu erleben.

Um das auszuführen: Wo in vielen Büchern die Sprache zur Erklärung der Welt dient, ihr also untergeordnet ist, begegnen sich bei Winkler Sprache und Welt (und dazwischen noch das Ich) auf Augenhöhe (das ist im Grunde die Essenz von Poesie, Winkler treibt sie mit Witz und Spiel auf so manche hochgelegene Spitze).

Es beginnt ein Wechselspiel zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem, bereits Formuliertem (das als Phrase, Stereotype, Klischee, etc. auch schon Teil der Welt, der Dinge geworden ist) und im Werden begriffener Formulierung, Idee „von“ und Idee „zu“.

Vom Politischen bis zum Persönlichen hat Winkler alles mögliche in seinen Gedichten vermengt, manchmal mit Anflügen von Zärtlichkeit, manchmal mit Winkelzügen von Brachialität. Manchmal kommen einem seine Texte wie Spiele vor, manchmal kommt einem im Lichte der Gedichte aber eher die Welt wie ein Spiel vor, bei dem die Gedichte vehement auf eine Änderung der Regeln pochen oder sie einfach flugs beschließen, einen neuen Pfad eröffnen.

Hier, im Anhang dieser kurzen Rezension, zur Anschaulichkeit ein paar Sätze und Halbsätze mit denen das Buch die Leser*innen beschenkt. Wer davon angetan ist, der sollte das Buch schleunigst kaufen:

der wunderbare Strichcode der Nadeln einer Tanne

Erholung finden am dafür vorgesehenen Tropfen.

das muss jetzt schleunigst aus den Tastorganen.

ich finde es okay, wenn Dinge irgendwann Gebirge werden.

ihnen [Wiesen] zugefügt ein gleißendes, ein mehrfach haltbar angekreuztes Zwitschern.

schau an, was wirkt wie von sich selbst gewünscht.

ich kann nicht durchs Salamanderfluchtportal.
doch ich kann.

bist du ein gutes Zeichen? wie ist denn deine Käferleistung,

die Partitur des edlen Ächzens eigener Erfahrung.

frag dich durch die Erde, durch alle
nicht ans Stromnetz angeschlossenen Dimensionen von Erde.

ich schäume nicht mit
Einsamkeit.

gewiss, oft macht Grau den Unterschied
und nur noch Laien können helfen.

bloß nicht per Volk
entschieden sein.

für die Türsteher der Clubs in Gegenden, die in der Bibel
unter »Ich liebe dich« firmieren,

vielleicht bin ich noch nicht
in Einzigartigkeit zerlegt.

wie wir wissen, sind Möwen eine Sprachnachricht fürs Leben.

Tausende von kleinen Unterwassertüren.

hast du ein Holster
für das Gute?

produziere Helium für die Zeugen.

(ich fühle mich persönlich angeblumt)

schau erst nach rechts und links, bevor du dein Gehirn durchquerst,
mit deinen Anteilsscheinen an Atlantis.

ich überdauerte in eine eigene Heimat.

auf Lichtbelange angewandt.

ich wirkte klein
neben dem Panzer. konnte nicht strahlen
wie Uran, dafür der Beste sein
in Muskelkater, wenn es darauf ankam.
die Liebesbriefe, die ich schrieb, pastellene
Panikparadiese.

ich lass die Fragezeichen
einseitig geöffnet, muss niemanden vereisen.

ohne Trennpronomen
sich ins wilde Sichverlieren begeben.

unsere Wangen folgen keinem
Ablaufplan.

still stehen die Berge wie von sapphischen Motoren angetrieben.

schau ins Gedicht, vielleicht findest du dein eigenes Licht.

Zu Josef Winklers “Das Zöglingsheft des Jean Genet”


“Wenn nun ein Kindlein auf die Welt kommt, gibt man ihm den Namen, den einmal einer von den lieben Heiligen gehabt hat. Das ist ein schöner Brauch. So oft das Kind gerufen wird, soll es daran denken: Auch ich muss einmal heilig werden.”

Ein Heiliger wollte der Schriftsteller Jean Genet werden – aber einer, der heilig zu sprechen ist nicht wegen einer Erhabenheit, die vom Dreck des Lebens auf wundersame Weise unangetastet bleibt, sondern einer Erhabenheit, die im Dreck des Lebens, im Bild des Geschundenen, des Mörders aus Leidenschaft, des schönen Stolzes voller Unantastbarkeit, blüht, gedeiht.

Aufgewachsen in Fürsorgeinstitutionen, dann immer wieder in Justizanstalten und Gefängnissen, lebte Genet, bis sein literarisches Talent entdeckt wurde, das Leben eines von der Gesellschaft im Abseits, aber auch im Leben, zurückgelassenen Subjekts. Leben und Abseits bedingten sich und aus ihnen schuf Genet eine einzigartige Poetik.

Winkler zeichnet in seinem Buch nicht etwa bloß die Lebensgeschichte Genets nach, nein, er versenkt sich in sie, tritt unter die Oberfläche der Ereignisse und windet sich und den Text in die Wesenheiten, Erlebnisfasern Genets, fasst in sie hinein wie in Spinnenweben, hinter denen sich die großen Schätze befinden, der Glanz von Tod, Grausamkeit und einem zehrenden Dasein, das dich pochend umtreibt.

“Es ist gut, dass die Menschen sich von einem tiefgründigen Werk distanzieren, wenn es der Schrei eines Mannes ist, der sich ungeheuerlich in sein eigenes Ich verstrickt hat.”

Was ich an Josef Winkler so sehr schätze, ist die Unbedingtheit seines Schreibens. Seine Sätze sind lang, aber sie verlieren auf ihrem Weg nichts von ihrer Kraft, bis zum letzten Wort bleiben sie einer Ungeheuerlichkeit verpflichtet, die immer wieder aus ihnen herausplatzt oder wie in Stein gemeißelt hervortritt. Winkler reiste nach Paris, an den Ort wo Genet starb und wollte in seinem Totenbett schlafen und dann noch nach Tanger, von dort nach Larache, wo Genets Grab liegt. Diese sehr sanfte Manie macht dieses Buch (und viele andere Bücher von ihm) zu einer schälenden, aufreißenden Erfahrung.

Die fast hilflos-abhandenkommende und gleichsam durchdringende Macht, die Genets Werke und Gedanken über Winkler haben, bannt er in sein Zöglingsheft, reiht sie auf und reibt dem Leser die Augenbrust und tief dahinter den Verstand damit ein, färbt apokalyptisch-dürr die Kontur seines Helden und verwischt sie mit mäandernden Facetten, plötzlichen Vorstößen, bevor er Genet wieder anruft und ihn neu entstehen lässt. Er tritt eine Reise in Genets Biographie und Werk an, aber durchquert immer wieder seine Obsessionen, gibt eine annähernde Einführung und schreibt zwischen den vollführten Sätzen eine hochaufschießende Liebeserklärung, zelebriert das Genie Genets, egal ob er direkt über ihn schreibt oder über Landschaften, Begebenheiten, Anekdoten. Genet ist überall enthalten.

Wer sich von dem Lebensentwurf Genets faszinieren lassen will, sollte zu Winklers Buch greifen. Es wäre leicht, es eine Erkundung, eine Poetik oder einen Essay zu nennen. Aber es ist etwas ganz Elementares. Wie ein tiefer Schnitt, aus dem Genet rinnt, tropft, fließt.

Zu Josef Winklers (Un!-)Stillleben in seinem Buch “Natura morta”


Alle Wahrnehmungen ausdrücken, das kann nur die Wahrnehmung selbst, kann nur das Auge. Ein Wort kann Wahrnehmung komprimieren, von einem Wort kann eine größre Wahrnehmung sich ausdehnen, ausgehen, ein Wort kann eine Erfahrung an die Stelle einer Wahrnehmung setzen. Ein Wort schreibt sich auf die Flächen der Wahrnehmung und richtet all ihre feinsten Reflexe und Schnitte, magnetisch nach sich aus und prägt so das Muster und verfasst den Kern der Erfahrung.

Eine besondere, eigenwillige Ausformung von Wahrnehmung als Sprache (und Sprache als Wahrnehmung) begegnet einem in Josef Winklers Natura morta. Hier gehen einem nicht die Augen, hier geht einem die Sprache über. Unter filigranen und zugleich ausufernden Bögen – gebaut, gemauert, aus Naturalien und Adjektiven – schwenkt uns Winkler in einer Schüssel aus Schweiß, Verlangen, Reliquien, aus Mode, Marter und Müll, macht uns zum Inhalt eines direkten und abschweifenden Blicks, der durch römische Märkte und menschliche Niederungen kreuzt.

Kaum ein Moment dieses großen Schweifens, gelegentlichen Schöpfens und dann wieder Wegdriftens, lässt sich wirklich im Leser nieder. Wie ein Fremder und nur brüchig Eingeweihter halten wir uns die Linse der Erzählung vor das Auge, erfassen immer wieder Personen, Szenen, finden unsern Abstand verringert und vergrößert, verweilen fast bei einem Moment, dann wird uns wiederum der Kopf verdreht, in eine andere Richtung, in eine andere Geschichte hinein, die sich nie ganz erzählen wird, aber an diesem Punkt, in diesem Moment, in eine große Wirklichkeit gehört. Informationen und Andeutungen mischen sich und werden aufgetragen auf das Gesicht der Stadt, des kleinen Marktviertels, des vatikanischen und elendigen Alltags.

Winklers Buch ist, wie schon oft betont, ein sinnliches Erlebnis, aus einer Sprache steigend, die halb Rhetorik, halb Unnachgiebigkeit ist. In einem Vorbeirauschen und doch Mosaikwerden, werden wir auf eine Gedulds- und Faszinationsprobe gestellt. Wer eine klassische Geschichte sucht, ist in diesem Buch so verloren, wie einer, der in einer Stadt wie Rom das Antike in den Elendsvierteln sucht. Und doch hat dieses Buch eine ganze Reihe von Geschichten zu bieten, nur eben nicht wohlsortiert, sondern in die Eindrucksschneisen eingesät, aufblitzend und in der Erde strampelnd.

Es wäre zu viel des Guten wollte man Winklers Buch ganz hoch in den Himmel loben. Aber es hat etwas Elementares, etwas Lebensgerechtes, das man nicht alle Tage lesen kann und aus dem das Anrecht auf das Wort Literatur nicht wegzudiskutieren ist. Alles in allem wälzt sich das Buch ab und zu nur so vor sich hin, aber immer wieder geht dann ein Reiz von ihm aus, eine Geschichte kündigt sich an, verschwindet im Gedränge der Wahrnehmungen und lässt einen neue Untiefe zurück.