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Zu Philip Roth


 

Seine großen Themen waren Sex und Tod. Das in manchen seiner Romane nicht ganz unproblematische und nicht selten einseitig gewichtete Frauenbild, dürfte manchen Leser*innen schon einmal sauer aufgestoßen sein. Seine Frauenfiguren, oft nur Spiegel für die Vergänglichkeit und Konflikte der männlichen Protagonisten, blieben seine Achillesverse.

In den USA sorgten einige seiner Plots für Furore – schon sein Erstling „Portnoys Beschwerden“ wurde begrüßt und gleichsam verdammt, aber auch sein in Europa kaum bekannter Satireroman über Richard Nixon, seine Zuckermann-Quadrologie und nicht zuletzt sein Buch „Der menschliche Makel“, erhitzten die Gemüter und sorgten für einige Kontroversen. Nun ist der Autor Philip Roth gestern im Alter von 85 Jahren gestorben.

Immer wieder thematisierte er das Neurotische im und am Triebhaften, die Fallhöhen der kreativen und erotischen Existenz – und schon früh, und am Ende immer häufiger, die Qualen des Alters, die Furcht vor dem Tod. Eine Furcht, der seine Protagonisten anscheinend nur durch eine Flucht ins Brodelnde oder Ebenmäßige der wiedergefundenen Jugend beikommen konnten, im Wiederaufleben der Pubertät, einer letzten Erregung.

Ich schätze vor allem seine unkonventionelleren Werke: das anarchische Baseball-Opus „The great american Novel“, halb Parodie, halb Mythos, eigentlich ein wahnsinniger Witz und streckenweise eigenwilligste Unterhaltung. Das schmale Buch „Mein Leben als Sohn“, eine Auseinandersetzung mit dem Vater. Und jene beiden ersten Bände seiner letzten Kurzromanserie „Jedermann“ und „Empörung“.

Ersteres: eine rücksichtslose, hoffnungsangekratzte Bilanz einer (männlichen) Existenz, ein Endpunktspektakel, das berührt, weil es alle Kraft der Beschreibung in die Aussichtlosigkeit investiert. Ein Konzentrat der Endlichkeit.
„Empörung“: Das Gegenstück. Eine Geschichte von Jugend, Aufbruch und Ungeduld. Ein Konzentrat der Unendlichkeit. Und beide Bücher haben ihre ganz eigene Antipointe.

Viele können sicher viel mehr über das Werk Philip Roths, seine Größe, seine Problematiken, berichten. Aber für diese vier Bücher will ich ihm einfach danken. Mir werden sie bleiben. Ruhe sanft.

Zu Axel Ranischs Coming-of-Age und Coming-Out Roman “Nackt über Berlin”


Nackt über Berlin Jannik liebt Musik, vor allem klassische. Und seinen Freund Tai, aber das darf keiner wissen, nicht seine Mutter und vor allem nicht Tai. Er ist sich ja auch gar nicht so sicher, ob er ihn liebt (als ob es ein deutlicheres Anzeichen gäbe, als das ständige Nachdenken mit klopfendem Herzen, ob man wohl in jemanden verliebt ist). Er ist ein bisschen übergewichtig, ein bisschen verzweifelt, ein bisschen schreckhaft.

Soweit die, noch relativ gewöhnlichen, geradezu klassischen Nöte eines 17jährigen Teenagers, der sich vor allem mit seinen Platten und seinen Gedanken beschäftigt; aus Janniks Warte besteht die Welt aus der Tyrannei der Schule, den Determinationen der Gesellschaft und dem kleinen Freiraum, den er sich mit seiner Musik und seiner Freundschaft zu Tai erkämpft hat.

Die Handlung setzt ein, als Tai sich eines Nachts meldet, mit einer kleinen Sensation: er filmt gerade den Rektor der Schule, der sich sturzbetrunken draußen auf der Straße auf den Hosenboden gesetzt hat. Tai ruft Jannik dazu. Ein leiser Auftakt, ein kurzer Trommelwirbel, der zu einer wirbelnden, rasanten Geschichte um Glück und Angst, Leben und Tod, Spaß und Ernst wird und in der hinter jeder Ecke eine neue Wendung wartet …

Es gibt schon allerhand Rezensionen, deswegen will ich vor allem das Wesentliche noch mal betonen: Dieses Buch hat Witz. Es ist, auf seine schräge Art, furchtbar liebenswert und das jenseits der Klischeegebiete. Die Figuren sind nicht nach dem üblichen Coming-of-Age-Etappenschema aufgebaut (am Anfang so, in der Mitte dann Wandlung, am Ende alles neu), sondern stets ambivalent gezeichnet und durchlaufen dennoch eine sehr gut inszenierte Entwicklung, mit vielen Ausläufern und Zwischentönen.

Und neben Witz und Charme hat das Buch auch einen großartigen erzählerischen Drive, eine geradezu bahnbrechende Erzähllust und -kraft. Kurzum: das Buch ist ein Volltreffer, ein Buch der Saison. Axel Ranischs Buch “Nackt über Berlin” wird hoffentlich dieses Jahr auf vielen Nacht- und Wohnzimmertischen liegen und für Unterhaltung sorgen – aber auch für tiefere Gedanken und Erfahrungen, über Wut, Frust, Liebe, Sein und Schein, Macht, Musik, Bedeutung, Hoffnung und Toleranz.

Zu Margaret Atwoods Essays & Vorträgen in “Aus Neugier und Leidenschaft”


Aus Neugier und Leidenschaft Ich freue mich außerordentlich, dass sie für die Hagey Lectures dieses Jahr eine Quotenfrau eingeladen haben. Sie hätten sich zwar eine seriösere als mich suchen können, aber der Vorrat ist natürlich begrenzt, das ist mir bewusst.

Margaret Atwoods Roman-, Prosa- und Lyrikwerk hat sich mit seiner Eigenständigkeit und seiner Verknüpfung von ästhetischem und thematischem Wagnis einen Ehrenplatz in den Buchregalen des 20ten und 21ten Jahrhunderts verdient. Als Essayistin ist sie eines der besten Beispiele für die seltene Verbindung aus scharfem Witz, feiner Empathie und bestechender Leidenschaft; und außerdem hat sich mich im Verlauf dieses Buches, das die Jahre von 1970-2005 abgedeckt, immer wieder überrascht.

Da hält sie zum Beispiel mit einer Mischung aus augenzwinkernder Ironie und gelungener Kontroverse einen Vortrag über die männliche Romanfigur (aus diesem Vortrag stammen das Ein- und das Ausgangszitat), schreibt dann eine sehr begeisterte Rezension zu John Updikes “Die Hexen von Eastwick”, springt hinüber zur Grunge-Musik, schreibt dann wiederum eine bestechende Studie zu der Schwierigkeit, über böse Frauen zu schreiben, bevor eine kurze, liebevolle Erinnerung an die großartige Autorin Angela Carter folgt.

Manches in dem Buch hat den Touch einer Gelegenheitsarbeit – aber selbst das stört nicht, denn Atwoods unangestrengter Esprit lässt das Elaborierte und das Umrissene in genau demselben, eloquenten Licht erscheinen. Neugier, Hinwendung, Kampfgeist und Leidenschaft tragen jeden Vortrag, jedes Essaystück mit einer Leichtigkeit im Gemüt voran, die die Lesenden sofort für sich einnimmt.

Ein wunderbares Buch, voller Ideen, voller Energie, das flink ist, aber auch kein noch so schwieriges Thema scheut; ganz im Gegenteil: nur zu gern legt Atwood den Finger auf das Problematische, das Ausgeklammerte – und verhilft ihm mit unerschütterlicher Klarheit zu Raum und Sprache.

»Wieso fühlen sich Männer von Frauen bedroht«, habe ich unlängst einen Freund von mir gefragt […] »Ich meine, Männer sind doch größer«, sagte ich, »meistens jedenfalls, können schneller laufen, besser würgen, und im Schnitt haben sie auch viel mehr Macht und mehr Geld.« »Sie haben Angst, dass die Frauen sie auslachen«, sagte er. »Ihre Weltsicht belächeln.« Und dann fragte ich in einem improvisierten Lyrikseminar ein paar Studentinnen: »Wieso fühlen sich Frauen von Männern bedroht?« »Sie haben Angst, dass sie umgebracht werden«, hieß es lapidar.

Über Katherine Mansfield und ihren Erzählband “In einer deutschen Pension”.


“Verheiratet zu sein bedeutet für mich nicht treu zu sein, denn wozu hat man einen Körper mitbekommen, wenn man ihn wie eine kostbare Geige in einen Kasten schließen muss?”
Katherine Mansfield in einem Brief

Katherine Mansfield, eine wendige Persönlichkeit, bisexuell, eine freche Frau, mit einem bravourösen Intellekt und einer spitzen, in späteren Werken abgeschliffenen, Zunge, die nur 34 Jahre alt wurde. Mit ihrem beneidenswerten Spott, der sich um ihre Liebenswürdigkeit und Sprache legte wie eine zweite Haut, ihrer Beobachtungsgabe und der zeitlosen Hilflosigkeit ihrer Charaktere, gehört sie bis heute zu den lesenswertesten Autorinnen überhaupt.

Es ist traurig, dass sie in deutschen Gefilden so sehr in Vergessenheit geraten ist; dabei hat sie doch alles, was Literatur, was Lesen, im Kern ausmacht: Witz, Charme, Aufdeckung und eine unverwechselbare Lebensnähe in jeder einzelnen ihrer kleinen Geschichten.

“In einer deutschen Pension” ist ihr erster von drei zu ihren Lebzeiten erschienenen Erzählbänden, den sie größtenteils in der Zeit welche sie in einer deutschen Kur-Pension zubrachte schrieb, nachdem sie ihre erste Fehlgeburt erlitten hatte. Viel losgelassene Bitterkeit paart sich hier mit Menschenkenntnis, Zynismus schmiegt sich an subtilen Humor, lebendige Gesten fahren in fast schon karg anmutende, unter der Oberfläche lebende Gestalten.

Mansfield kann vermutlich als die wahre Erfinderin der nüchtern-zweischneidigen Short Story, die nachher durch Hemingway und Raymond Carver ihre Berühmtheit erlangte, gesehen werden. Natürlich ist deren Stil noch karger, noch mehr nach Hemingways Theorie vom Eisberg, bei dem nur ein 5tel oben schwimmt und der Rest stets unter der Oberfläche bleibt. Bei Katherine Mansfield wäre es, in diesen frühen Erzählungen – die zwar nicht untypisch, aber ab und zu noch etwas formlos sind – vielleicht 1/3 oben und 2/3 unter der Oberfläche.

Vor allem ist dieses Buch eine amüsante, kurze Lektüre; es geht viel ums Kinderkriegen, um die Rolle von Frauen und immer wieder um die kleinen spitzen Vorurteile, die wir alle unter unseren Mänteln von Rechtschaffenheit und Bewandtnis tragen und um das Gerede, das von jedem geschwungen wird und mit jedem Charakter so verwachsen scheint, als sei nicht der Charakter der Träger von jenem, sondern das Gerede sei der Träger des Charakters.

Mansfield erzählt subtil und mit bedacht eingestreuten Höhepunkten und Flauten; sie komponiert ihre Geschichten wie Klaviersonaten, wo natürlich auch ein “Scherzo” nicht fehlen darf, wie hier im Textausschnitt:
(Zur Einleitung dieses Ausschnittes: gerade hat eine kleine bunte Truppe von Leuten mit der Ich-Erzählerin einen 8 Kilometer langen Fußmarsch zu einem Dorf zurückgelegt und sich im Wirtshaus erholt-)

>>Elsa beugte sich plötzlich zu Fritz hinüber und flüsterte ihm etwas zu, und nachdem er sie bis zum Ende angehört und sie dann gefragt hat, ob sie ihn liebe, stand er auf und hielt eine kleine Ansprache.
“Wir… wir möchten unsre Verlobung mit einer Einladung an Sie alle feiern, mit uns im Wagen des Wirtes heimzufahren – falls – falls wir alle reinpassen.”
“Oh, was für ein wunderbarer, nobler Einfall”, rief Frau Kellermann und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der zwei ihrer Korsetthaken hörbar sprengte.<<

Ich kann diese süffisante Literatur nur jedem ans Herz legen, der lächeln, lernen, beobachten und lesen und das alles zugleich will.

Paradebeispiel an Komödie – Kleine Hyme auf Kleists “Der zebrochene Krug”


Bis heute ist Kleists “Der zerbrochene Krug” nicht nur eines der besten und spannendsten Lustspiele, sondern sozusagen auch eine der Urformen der heutigen Comedy-Serie. Mit Irrungen und Wirrungen, Lügen, die ihrem Sprecher die vermeintliche Gelegenheit bieten, sich herauszuwinden und die ihm dann zu einem neuen Verhängnis werden, Ironie und offenkundig lächerliche Vorgänge, Andeutungen, Ulk – eben wunderbar subtiler und geistreicher Unfug, der vor allem die zentrale Figur umtreibt, die das Ganze mit ihrer Lächerlichkeit ansteckt.

Diese Hauptfigur in Kleists Komödie ist ein Dorfrichter; ein scheinbar fast schon absurder, kleiner Charakter, deren einziger Sympathiezug eben seine aberwitzige, rattenähnliche, klumpfüßige Personalie ist. Bis zu diesem Zeitpunkt, da wir ihn kennenlernen, scheint er mit seiner Schlampigkeit und Schlichtheit durchgekommen zu sein, doch just an diesem Tage, da das Lustspiel aufzieht, kommt ein Gerichtsrat in das Dorf, um die Lage der Justiz auf dem Land in Augenschein zu nehmen und eventuelle korrupte oder unfähige Elemente zu entfernen. Unterwürfig und ungeschickt will Kleists schwankender Held ihn von seiner Kompetenz überzeugen…
Außerdem wird an diesem Tag auch noch ein Fall verhandelt, der sich nicht nur zu einer prächtigen Farce entwickelt, sondern sowohl Spannung als auch Wendungen bereithält: Der Fall des zerbrochenen Krugs.

Wegen der alten Sprache ist Kleists Dichtung natürlich keine Comedy; aber lustig ist das Stück trotzdem, denn das Stück kommt mit einer spitzen Leichtigkeit und vollendetem Arrangement daher, was die Ausreizung von Charaktären und Komik betrifft, sodass es fast schon wirkt wie nicht erfunden, sondern bloß witziger nacherzählt als es wirklich war.

Alles in allem hat mich Kleists Stück vor allem begeistert, weil es keinen sterilen, sondern einen wirklich komischen und genau passenden Plot hat, mit Dynamik, Überraschung und ein bisschen Irrsinn. Alle Personen tragen gut ihren Teil der sich anbahnenden Komik. Ein Evergreen unter den komischen Dramen.