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300 Statements von Ruth Bader Ginsburg


300 Statements

„Diese Erfahrung, die haben Frauen meiner Generation alle gemacht. Wenn eine Frau da Wort ergreift, hört keiner mehr hin. Sie hat ja ohnehin nichts Wichtiges zu sagen. Aber das hat sich heute, glaube ich, geändert.“

(aus eine Rede an der University of Colorado Law School, 19. September 2012)

Ruth Bader Ginsburg hat Zeit ihres Lebens ihre Mutter als „klügsten Menschen, den ich je kannte“ bezeichnet. Diese aber hatte, trotz ihres brillanten Verstandes, aufgrund ihres Geschlechts keinerlei berufliche Aufstiegschancen. Ihre Tochter ging auf die Law School, wurde Anwältin, Richterin (am Ende sogar am obersten Gerichtshof) und hatte dabei immer ein Ziel im Auge: die Gleichstellung von Mann und Frau, in jeglicher Hinsicht.

In den USA ist RBG eine Ikone der Frauenbewegung, aber auch in weiten Teilen der übrigen Bevölkerung genoss sie Kultstatus und allgemeines Ansehen. Sie ist eine der wenigen Richter*innen des Supreme Court, die mit großer Mehrheit im Senat bestätigt wurden – es gab lediglich drei Gegenstimmen, bei 96 Ja-Stimmen. Am 18. September 2020 ist sie verstorben, was nicht nur den linken Flügel im Supreme Court schwächt, die US-amerikanische Gesellschaft verlor vor allem eine wache und kritische Stimme.

Wer diese Stimme vernehmen will, der kann unter anderem zu dieser Publikation greifen, in der 300 Stellungnahmen, Interviewaussagen, Redebeiträge, Beschlüsse, etc. von Ruth Bader Ginsburg gesammelt wurden. Es sind nicht unbedingt alles kämpferische und pointierte Zitate (wobei es derlei durchaus gibt; zum Beispiel wurde sie einmal gefragt, da jetzt drei Frauen im Supreme Court säßen, ab wann wären es genug? Und sie antwortete: wenn wir zu neunt sind). Viel eher sollte man auf Zitate gefasst sein, in denen sich die wichtigen Fälle und Entscheidungen der Justiz in den USA spiegeln, eine Art kommentierte Rechtsgeschichte.

Im Anhang befindet sich dann noch eine Chronik, die wichtige Meilensteine in RBG Leben auflistet und erläutert. Alles in allem: ein Buch, das ein vielschichtiges Bild dieser bemerkenswerten Frau wiedergibt. Und hoffen lässt, dass die von ihr vielfach beschworenen Fortschritte und Errungenschaften eine Zukunft haben.

Hafis, großer Dichter persischer Zunge


Hafis-Kanani- Seinen bis heute bekannten, klingenden Namen verdankt der persische Dichter, der eigentlich Mohammed Schemseddin hieß, einer Fertigkeit, die er sich schon in jungen Jahren aneignete: er konnte alle 114 Suren des Korans auswendig, da war er gerade einmal acht Jahre alt. Dies brachte ihm den Ehrentitel Hafis ein, durchaus ein geläufiger Ehrentitel, auch heute noch, der aber bei ihm als Poetenname über sein Zeitalter hinaus erstrahlen durfte.

Geboren wurde Hafis Anfang des 14. Jahrhunderts, in den stürmischen Zeiten der letzten Mongoleninvasionen und zahlreicher weitere Konflikte und Rivalitäten auf dem Gebiet Persiens. Seine Heimatstadt Schiras, die er, abgesehen von ein paar unbedeutenden Reisen, nie verließ, lag im südlichen Teil des heutigen Iran und war immer wieder von türkischen, afghanischen und mongolischen Überfällen bedroht.

Dennoch war Hafis ein vergleichsweise langes Leben beschieden, in dem eine große Zahl von Gedichten (vor allem Ghaselen) entstand, die bis heute als unübertroffen in ihrer Formvollendung gelten; viele sind Teil des Allgemeingedächtnisses aller Persisch/Fārsi/فارسی sprechenden Menschen geworden.

Auch in Deutschland hat Hafis viele Bewunderer gehabt, einer der bekanntesten ist Johann Wolfgang von Goethe, der mit West-Östlicher Divan ein ganzes Werk schrieb, das von den Dichtungen des Hafis inspiriert ist; auch Friedrich Rückert hat sich zeitlebens mit dem persischen Dichter beschäftigt und einige der besten Übersetzungen zu seinem Werk angefertigt.

In seiner Studie arbeitet Nasser Kanani sehr gewissenhaft die Rezeptionsgeschichte von Hafis in der deutschsprachigen (vorrangig, aber auch internationalen) Literatur und Geschichtsschreibung heraus. Beginnen tut das Buch allerdings mit einem Kapitel, in dem es vor allem um die Geburtsstadt Schiras und ihre Rezeption (die allerdings von der Hafis-Rezeption schwer zu trennen ist) in der deutschsprachigen Literatur geht und warum sie in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Kernstück von Hafis Dichtungen ist.

Kapitel 2 und 3 beschäftigen sich dann mit Hafis Lebensgeschichte und seinen philosophischen Überzeugungen, immer auch im Spiegel seiner Werke, wozu Kanani umfangreich aus den Übersetzungen zitiert (die Originale sind auch abgebildet). Dadurch gelingt ein breit gefächertes, teilweise auch erschöpfendes Bild des widersprüchlichen und doch mit sich im Einklang liegenden Menschen, der Hafis gewesen ist.

Die letzten Kapitel 4 und 5 sind dann Hafis Dichtungen, genauer der Liebeslyrik und dem Divan, vorbehalten. Kanani präsentiert Deutungen und Rezeptionsansätze und zitiert wiederum umfangreich aus dem Werk. Auch wenn das ganze Buch eine spannende Aufbereitung ist, sind diese beiden Kapitel seine Meisterstücke.

Für wen Hafis bisher nur ein Name ist, der sollte sich diese umfangreiche Studie zulegen – sie ist ein guter Einstieg, bieter aber dennoch Tiefe und breite Auseinandersetzung. Kananis Leidenschaft und Begeisterung für Hafis sind nicht nur ansteckend, sie werden im Zuge seiner Ausführungen auch nachvollziehbar. Ob Hafis wirklich der größte Lyriker persischer Zunge war, das ist ungewiss. Gewiss aber ist: er war ein wunderbarer Poet, mit einem trefflichen Überschwang, der seinesgleichen sucht.

Zu “Letztes Lexikon”, erschienen 2002 in “Die andere Bibliothek”


Das letzte Lexikon kann und will nicht mit den Heerscharen der Spezialisten und der profunden Sachkenntnis seriöser Enzyklopädien konkurrieren. Es ersetzt keinen einzigen Band eines ordentlichen Lexikons, flüstert aber allem Wissen und allen Wissbegierigen ein leises Memento Mori ins geneigte Ohr. Wir gleiten über einen unermesslich großen Ozean gefrorenen enzyklopädischen Wissens, bohren, mit stets unzulänglichen Mitteln, hier und da neugierig ein paar Löcher, um Trouvaillen, versunkene Schätze, Strandgut und der Bodensatz der Geistesgeschichte ans Tageslicht zu fördern
(Aus dem Vorwort)

Sie haben wohl ausgedient, die Mammutwerke, die säkularisierten Turmbaustellen zu Babel, die in den Antiquariaten und Kellern und Regalen verstauben; die Lexika von einst und heute. Schätzungen zufolge werden im 21. Jahrhundert pro Haushalt etwa 0,02 Prozent der Beiträge in diesen mehrbändigen Ungeheuern gelesen – bei dem Aufwand, der jahrhundertelang um diese Bildungsgewichte gemacht wurde, ist diese Zahl eigentlich eine Bankrotterklärung.

Aber natürlich hatte die Geschichte des Lexikons schon immer eine komische, absurde Note und die großen Projekte, von der großen Encyclopédie, bei der Denis Diderot mitwirkte, bis hin zur Encyclopædia Britannica, die der Journalist A.J. Jacobs immerhin in einem Jahr durchlesen konnte (und darüber ein Buch schrieb: Britannica & ich: Von einem, der auszog, der klügste Mensch der Welt zu werden), sind bis heute eigentlich ein perfektes Sinnbild für das Schicksal hochstechender Ideale: edel und mit zu großem Anspruch vorbelastet, sind sie meist zum Scheitern im großen Stil bestimmt.

Das Internet hat diese Absurdität natürlich etwas gewandelt, sie teilweise deutlicher herausgestellt und doch viele Probleme gelöst, mit denen Enzyklopädien seit jeher zu kämpfen hatten: Aktualität, Platz, Auswahl, Spezialist*innensuche etc. Die generelle Idee aber hat noch einmal Aufwind bekommen: was wäre, könnte man alles Wissen von allen sammeln und alle könnten davon profitieren? Wäre das nicht das Paradies? Der Fahrstuhl zur Vervollkommnung? Der Schlüssel zu allem?

Vermutlich nicht, denn wenn das “Letzte Lexikon” eines zeigt, dann, wie sehr Wissen ideologisch gefärbt ist und nicht nur vom Stand der Forschung, sondern auch von Deutung und Akzeptanz abhängt. Die alten Originalbeiträge, die die drei Autoren zusammengetragen haben, aus Lexika des 18ten, 19ten und 20ten Jahrhunderts, haben somit oftmals etwas Obskures und Kurioses – wenn auch leider nicht immer in dem erheiternden Maß, das man sich vielleicht bei einem Buch wie diesem erhofft.

Trotzdem lädt es wunderbar zum Schmökern ein und die gelegentliche Antiklimax der Erwartungen muss dann einfach mal hingenommen werden; auch im Banalen steckt ein Glanz, das haben Lexika ja schon immer gepredigt. Wer ein Buch sucht, in das er immer mal wieder einen Blick werfen kann, ein Anti-Lexikon, das doch irgendwie ein Lexikon ist: Voila. Hier ist es.