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It ain’t work, ain’t no good literature


Omama

„Es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese Biographie als Hommage oder als Rufmord betrachtet.“

Über Humor lässt sich nicht streiten, sagt man bekanntlich. Das dergleichen schlicht (und weniger ergreifend) nicht wahr ist, beweist (u.a.) der Fall Lisa Eckhart. Denn um ihren Humor hat sich ein ganzer Streitfall zugetragen. Und selbst wenn man ihre Stand-Up-Auftritte und die damit verbundenen Kontroversen mal kurz hintenanstellt: ihr Debütroman „Omama“ liefert genug Stoff für weitere Kontroversen und, vor allem, weitere Fallbeispiele streitbaren Humors. Darüber haben viele Leute viel Kluges (und weniger Kluges) geschrieben. Das steht auf einem anderen Blatt (Blättern, Websiten, etc.)

Verlassen wir (für die Dauer dieser Rezension) das Politische, betreten wir das Literarische. Ich bin der Überzeugung, dass jedes Werk ganz unabhängig von der Person, die es geschrieben hat, betrachtet werden kann; diese Überzeugung stellt im Fall dieses Buches zunächst kein Problem dar, wenn es um die Person Lisa Eckhart (und ihre Ansichten) geht. Wenn man allerdings die Kunstfigur Lisa Eckhart hinzuzieht, puh, dann wird es schwierig.

Denn wer diese Kunstfigur einmal erlebt hat, auf der Bühne, per Youtube, wie auch immer, der wird deren Stimme, deren Gehabe kaum ausblenden können, während er dieses Buch liest. Fans dieser Figur werden damit möglicherweise nicht einmal Probleme haben – wer aber (ganz abgesehen vom Humor der Bühnenauftritte, den ich, wie gesagt, hier nicht thematisieren will, ohne zu sagen, dass er nicht thematisiert gehört) Schwierigkeiten mit dem Stil, dem Habitus dieser Figur hat, dem wird es womöglich nicht möglich sein, es ohne Zähneknirschen zu lesen.

Denn was bei einer Bühnenfigur vielleicht noch charmant ist – dass sie sich selbst gern reden hört, dass sie sich in ihre Extravaganzen verstrickt, dass sie kalauert und Gefallen daran findet über die Stränge zu schlagen, unzuverlässig zu sein, selbstverliebt ironisch, etc. – wirkt bei einer Erzählerin in einem Roman mitunter einfach nur konfus, ja, geht sogar so weit, dass man als Leser das Gefühl hat, die Autorin habe ihn aus den Augen verloren, während sie Worte hinklatscht und Sätze Loopings schlagen lässt. Es geht mir nicht darum, Lisa Eckhart eins auszuwischen, aber es muss gesagt werden: die Umsattlung von Kabarett auf Literatur ist in meinen Augen nicht geglückt, eher halbgar geraten.

Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie das Buch aufgebaut ist. Da wird die Geschichte einer Oma erzählt, auf eine Art, die wohl biographische Ernsthaftigkeit persiflieren soll. Tatsächlich erscheinen aber eher die essayistischen Passagen, die Eckhart immer wieder großzügig einwebt, wie Persiflagen, wie Satiren auf die geistreiche Abschweifung im Roman. Durchaus ein würdiges Objekt für eine Satire, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass Eckhart sich darin mitunter schon ganz geistreich vorkommt, gern als Küchenphilosophin auftritt, wenn auch eingehüllt in ein gutgeschnittenes Ironie-Kostüm.

Die Passagen der Erzählung von der Großmutter und diese Abschweifungen (die in Teilen manchmal sogar etwas Erhellendes haben, diesen Glanz aber fast immer durch Übersteigerung und Veralberung auf halben Weg verlieren) wechseln sich ständig ab, eine Verfahrensweise, die die Konsistenz des Buches auf Dauer zersetzt und einen roten Faden gar nicht aufkommen lässt. Ein irritierendes Chaos ist die Folge, dass das Lesen mitunter ziemlich anstrengend macht.

Jetzt könnte man zweierlei einwenden: Zum einen, dass dieses Chaos nun mal das Konzept des Buches ist und zum anderen, dass Eckhart halt sowohl eine Geschichte erzählen, als auch ihre Fangemeinde bedienen wollte. Das mag beides sein und gelten. In meinen Augen ist aber zum einen Chaos nur dann ein gutes literarisches Konzept, wenn es nicht nur irritiert, sondern innerhalb dieser Irritation auch ein Mehrwert entsteht, sich etwas offenbart. Zum anderen finde ich, dass das was auf einer Bühne in einem Comedy-Programm gemacht wird, nicht als Literatur funktionieren kann (wie viele Bühnenautor*innen hätten sonst schon längst ihre Programme in Sammelbänden rausgebracht). Es gibt vielleicht Ausnahmen, wie etwa Volker Pispers Radio-Kolumnen (aber die haben in gewissem Sinne schon ein literarisches Format), aber Acting/Performing und Telling sind nun mal zwei unterschiedliche Vermittlungsformen. Gerade Eckharts exentrischer Stil, der auf der Bühne erlesen wirkt, verliert auf Papier an Wucht und ist teilweise enervierend.

Statt dasselbe Publikum zu bedienen, nur diesmal mit einem Buch, hätte Lisa Eckhart in der Literatur etwas leicht (oder auch ganz) anderes machen können, viele Möglichkeiten standen ihr offen. Sie hätte die Idee der persiflierten Abschweifung ausbauen und ernster nehmen, einen neuen Tristram Shandy schreiben können. Sie hätte ein flottes Buch über ihre Oma schreiben können, in dem sie Ernst und Witz aneinanderlegt und nicht permanent auseinandertreibt.

Geworden ist es ein Hybrid aus biographischer Persiflage und Kabarettreden, der der Komik auch dann den Vorzug vor der Signifikanz gibt, wenn es komplett unnötig ist. Auf der Bühne ist das komisch, im Buch kann es auch funktionieren, aber es braucht dazu zumindest ein bisschen echtes Fleisch um all die klappernd-komischen Knochen. Das liefert Lisa Eckhart nicht und so bleibt „Omama“ eines unter vielen Unterhaltungsbüchern, das durch nichts besonders hervorsticht, außer durch den Namen auf dem Titelblatt.

(Ja, ich weiß, Kritiker*innen, die sich andere Bücher wünschen, als sie bekamen, sollten sich an die eigene Nase fassen: vielleicht sind sie viel eher vor dem Buch gescheitert als das Buch vor ihnen? Ich habe meine Argumente und sie reichen mir; wem sie nicht einleuchten, den kann ich nicht daran hindern, sie zu übersehen.)

Eine Bestandsaufnahme der serbischen Seele – zu Marko Dinićs “Die guten Tage”


Die guten Tage „Ich wurde bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr dazu erzogen, Muslime, Albaner, Kroaten und Gott weiß wen noch zu hassen – das ist ein Verbrechen, für das niemand eine Entschädigung zahlen wird! Wir können uns schließlich nicht wehren, wir halten die Klappe und fressen die ganze Scheiße, schwenken die Fähnchen und schwören irgendeinem Deppen, dessen Namen wir als Kinder nicht einmal richtig aussprechen konnten, die Treue. Mein Lieber, im Grunde wurden wir für die Ohnmacht gezüchtet!“

Wie schafft man es, aus einer Tirade einen Roman zu machen? Vor diesem Problem steht nicht etwa Marko Dinić – wobei auch sein Debütroman „Die guten Tage“ sich in Teilen wie eine Tirade liest, gegossen in eine Narrativ –, sondern der Sitznachbar seines Protagonisten, mit dem dieser im ersten Teil gemeinsam im „Gastarbeiterbus“ von Wien nach Belgrad sitzt und der ihm unentwegt von seinem Buchprojekt erzählt (wobei unklar ist, ob es dieses Projekt wirklich gibt).

Grund für die Reise ist der Tod der Großmutter (des Protagonisten). Es ist eine Rückkehr nach 10 Jahren in der Diaspora – damals hat der Protagonist Belgrad gerade zu fluchtartig verlassen, ist abgehauen, mit Geld von eben jener nun verstorbenen Großmutter und mit ihrem Ehering, beides gab sie ihm, den Ring bringt er nun auf Anweisung seines Vaters zur Beerdigung zurück.

Im ersten Teil changiert das Buch zwischen aufkommenden und/oder geträumten Erinnerungen an die Kindheit und Jugend in Belgrad – auch u.a. während der Zeit des Bombardements von 1999 – und den Episoden im Bus, die zu großen Teilen aus den Monologen des Sitznachbarn bestehen. Letzterer ist eine markante und doch absonderliche Gestalt und man fragt sich mit der Zeit, ob er überhaupt existiert oder nicht doch eine Art Wahnvorstellung ist, in der der Protagonist seine eigenen Ansichten bündelt und ihnen so mal ab- und mal zugeneigt sein kann, weil er sie selbst nicht verkörpern muss, während er sich im permanenten Selbstgespräch befindet.

In Summa ist das Buch ein Ringen mit der Frage nach der Bedeutung der serbischen Herkunft und aller damit einhergehenden Merkmale – eine Bestandsaufnahme der serbischen Seele, so könnte man sagen. Der verhasste und doch auch bemitleidete Vater ist dabei das Sinnbild für den serbischen Nationalismus, den Kadavergehorsam und die Staats- und Volksverherrlichung, die umso verwerflicher sind, je mehr die realen Verhältnisse im Land den Bach runtergehen und das Auseinanderklaffen von Mythos und Wirklichkeit kaum mehr zu leugnen ist. Kurzum: er steht für alles, gegen das sich ein Mensch, der noch ein Leben haben will, noch andere Hoffnungen und Träume hat, auflehnen muss.

Aber auch der Protagonist, der das Land bereits vor 10 Jahren verlassen hat, kann sich nicht lösen von seiner Obsession mit Serbien und all seine Ausfälle und Überlegungen zur Verkommenheit seiner Familie und den gesellschaftlichen Verhältnissen, der Indoktrination und der Perspektivenlosigkeit sind zwar einerseits eine Art Weckruf, eine Kampfansage, aber auch eine Rechtfertigung, eine Verzweiflung, ja vielleicht sogar eine Furcht vor dem Anteil, der von dieser Abscheulichkeit in seinem eigenen Selbst vorhanden ist. Ich habe mich an ein Gedicht des tschechischen Dichters Jan Skácel erinnert gefühlt (übersetzt von Reiner Kunze):

“kindheit ist das was irgendwann
gewesen ist und aus dem Traum nun hängt
ein faden fesselrest den man
zersprengen kann und nie zersprengt”

Dinićs Erstling weißt eine beachtliche Sprachgewalt auf, die wohl nicht umsonst entfernt an Louis-Ferdinand Céline erinnert (und irgendwo auch, in ihrer Eklatanz und gleichzeitigen Ambivalenz, an Curzio Malaparte). In seinen eigenen Gedanken-Schleifen aus Abscheu und Indifferenz gefangen, bleibt der Protagonist, bei aller Offenheit, eine fast schon undurchsichtige Figur, in der sich verschiedene Dilemmata und Klarheiten mit gleicher Intensität spiegeln. Die Verkommenheit, die er anprangert, ist geschminkt mit Trauer, die Wut, die er loslässt, schlägt auch ein bisschen über ihm selbst zusammen.

Man könnte dem Roman vorwerfen, dass er nirgendwo hinkommt, sich um sich selbst dreht. Aber genau das ist wohl auch der Punkt. Es gibt keinen Ausweg, denn der Protagonist ist nicht gedacht als touristisches Ausflugsziel für Leser*innen, die mal in Serbien einen Entwicklungsroman durchleben wollen. Vielmehr leidet er unter genau jener Ohnmacht, die im ersten Zitat beschrieben wird. Er ringt mit dieser Ohnmacht und findet doch außerhalb von ihr und seinem Ringen wenig vor, das ihm Halt gibt. So gelingt Dinić das außergewöhnliche Portrait einer geschädigten Seele, einer von vielen.