“Reiche Mädchen”, arme Mädchen – Silke Scheuermanns Erzählungen


“Berichtet wird von so viel Vakuum in der Leere…” Jean Cocteau

“Besorgt fragte mich Timo anschließend, alles in Ordnung bei dir, und ich wurde abwechselnd rot und weiß vor Verlegenheit und in diese Markise verliebte sich Timo sofort.”

Wenn es um Erzählungen geht wird der Gesamteindruck beinahe immer die Sprache überlagern. Es liegt in der Natur guter Kurzgeschichten und Erzählungen, dass sie meistens (wenn sie gut sind) als etwas Einmaliges, beinahe Gegenständliches gesehen werden, in Gegensatz zum Roman, der meist mehr als zwei Seiten einer Münze in sich trägt; wo jener zeigt, was nur der Roman geduldig offenbaren kann, hat eine Erzählung ein Ziel, einen einzelnen Tonfall, einen Punkt, auf den sich alles Bemerkte, Empfundene und Operierende hinzieht

Man merkt dem Tonfall der Geschichten an, dass hier eine Dichterin am Werk war. Eine Dichterin, die sich auch an Erzählungen versuchen wollte und die dies mit der vollendeten Verfolgung ihrer sprachlichen Möglichkeiten tut. Scheuermanns [[ASIN:351841593X Gedichte]] gehören sprachlich zu dem wertvollsten, was ich in den letzten Jahren gelesen habe. Und auch erzählerisch hat sie eine bestechende Note in ihrer Prosa und einiges zu bieten, wobei auch hier der sprachliche Schwung, Tanz und Fluss am stärksten das Bild ihrer Texte prägt.

“Der Glatzkopf, hinter dem sie hereingekommen ist, sitzt schon da, und er fühlt sich sichtlich wohl, denn halb auf seinem Schoß, halb an ihn gelehnt hat er ein Mädchen mit langen roten Haaren, das er mit den Händen um den Bauch knapp unterhalb der Brüste umklammert, und die beiden aneinandergelehnten Köpfe, der glatte und der haarige, grinsen so breit, dass das Grinsen von einem Gesicht zum anderen führt und die beiden Körper verbindet wie ein Gürtel.”

Die 7 Texte handeln beinahe allesamt von Einsamkeit und dem Versuch ihr zu entfliehen, vor allem in dem man anderen Zugang zu sich gewährt und hofft, dass sie die Einsamkeit vertreiben, bleiben, und die Wichtigkeit des eigenen, empfundenen Wesens und seiner Vorstellungen erweitern, vielleicht sogar zu einer Zweisamkeit werden lassen. Zwischen dem Wunsch, dem Panorama des Möglichen und den kleinen Wünschen des scheinbar Unmöglichen gefangen, suchen Frauen, alte Männer, junge Mädchen, ihre Obsessionen zu kontrollieren und gleichzeitig auf einer höheren Ebene zu erfüllen. Der Leser begleitet sie auf einem Spiel mit sich selbst, in dem die Momente, in denen man dem Ziel so nah ist, sich fast wie Glück anfühlen – alles andere jedoch wie die nächtliche Kälte vor der eigenen Haustür. Wenig Happy End Stimmung, dafür sehr oft eine Ahnung, eine Präsens der Erfahrungen, die Scheuermann sehr gut wiederzugeben versteht. Mit sprachlich überraschend nah an den Empfindungen des Lesers anbauenden Umschreibungen, treibt sie uns sehr tief, wie einen Pfahl, in ihre eigenen Erzählungen. “Glück, das ist immer nur im Vorübergehen”, wie Mascha Kaléko schrieb – Scheuermann setzt es in Szene, ohne diese Umstand zu verteufeln, sondern in dem Versuch ihn ganz konkret und ganz nah abzubilden, in allen seinen Ausformungen.

Die reflexive Kraft vieler Zeilen in diesem Buch ist immens – trotzdem ist das Lesevergnügen ein durch die Undurchdringlichkeit der allzu klaren Prosa geteiltes. Erbauend ist das Erlebnis und zugleich ernüchternd, wie ein Absageschreiben zu einem Termin mit dem Glück, wie ein Ablehnungsschreiben eines Manuskripts über die Schönheit. Beides hat in Scheuermanns Erzählungen nur begrenzten Platz und sie teilt uns mit, dass auch dieser kleine Platz zum Teil aus Glück auf Kredit besteht; keinem wahren Glück. Was wahres Glück ist, damit lässt sie uns im Windschatten unserer nun (nach der Lektüre) gedämpften Träume allein. Trotzdem: es sind keinen willkürlichen, sondern sehr nahe gehende Geschichten. Bewundernswert in ihrer ganzen Form, ohne Frage, auch wenn diese Form ein Raum mit wenigen Fenstern und vielleicht keiner einzigen Tür ist. Man kann diese Geschichten glatt und unterkühlt nennen, aber das wäre eine Beurteilung nach Maß. Und wer liest, der liest nicht nach Maß, sondern versucht zu verstehen… und so muss man sich diesen Erzählungen vielleicht in diesem Sinne nähern: Mit dem Gedanken daran, dass es traurig-wichtige Seiten sind, die wahrhaftig abgebildet werden wollen.

“Die ganze Welt war ein Lampenschirm, und er war das Licht.”

Link zum Buch: http://www.amazon.de/Reiche-M%C3%A4dchen-Silke-Scheuermann/dp/3442461448/ref=cm_rdp_product

*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen

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