Zu Les Murrays “Größer im Liegen”


“Der dornige Kajeputbaum,
jährlich Schnee-im-Sommer genannt,
ähnelt der duftenden Haartracht
einer Heerschar alter Damen,
er versammelt sich zu einem Berg,
weiß wie Graz, warm wie Blumenkohl.
Bleistiftlöcher in der warmen Erde
sind wo Zikaden aus ihrem jahrelangen
Fötusleben erwachten, um zwo
zwo hektischer Amethysttage willen.”

Der von J.M. Coetzee als “angry Genius” bezeichnete Les Murray, ist wohl der bedeutendste Vertreter der zeitgenössischen australischen Dichtung – zumindest er der bekannteste. Dank der hervorragenden Arbeit der Edition Rugerup wurden uns drei seiner dichterischen Werke (neben diesem Band auch noch: “Gedichte, groß wie Photos” und “Übersetzungen aus der Natur”) zugänglich gemacht – zum Einstieg am besten geeignete ist, meiner Meinung nach jedoch dieser Band: “Größer im Liegen”.

Die Moderne nach 1970 hat die Dichtung weitgehend der Diskussion entzogen, aber auch ihre Globalisierung in Gang gesetzt. Große zeitgenössische Dichter wie Tomas Tranströmer, Wislawa Szymborska, Joseph Brodskij, Zbigniew Herbert, Czeslaw Milosz oder Derek Walcott kommen aus den verschiedensten Ländern, kannten/kennen sich jedoch vielfach untereinander und alle haben sie ihre Poesie von Schulen und äußeren Ästhetiken gelöst und aus sich heraus eine Poesie des eigenen Sprachkonsens entwickelt, die versucht die individuelle Erfahrung mit dem Großen & Ganzen der Welt zu vereinen.

Les Murray – der ein wenig mit in diese Tradition gehört und doch ein ganz eigener Vertreter der Gattung jener “Individual Poets” ist – ihn würde ich als einen späten Anhänger von William Carlos Williams und seiner Poetik identifizieren. Zwar hat er die neuen sprachlichen Errungenschaften der Moderne, diesen Seilakt zwischen Oberflächenglanz, Tiefe und einfacher Geste, angenommen, aber treu geblieben ist er dem Credo, mit der Lyrik nicht nur darzustellen und nachzuempfinden, sondern auch zu fragen, anekdotisch zu sein oder zu erklären; mit dem Vers nicht nur weit hinaus zu fahren, sondern auch an den Steg zu schlagen.
Als Beispiel mag diese Betrachtung aus einem Gedicht gelten:

“Geld sieht man nie unverhüllt.
Kreditkarten, Goldbarren, nackte Zahlen,
elektronisch, in Buchführungskolonnen
sind nur Ausdrücke für Geld,
und wir sind seine Geschlechtsteile.”

Poesie, auch moderne, ist eine Form die Schönheit zu schauen und sich ihrer an den unerreichbarsten und ungewöhnlichsten Stellen zu versichern. Murrays große Stärke liegt in dieser ganz speziellen Art der zweischneidigen Schönheit, der man sich in den Versen annähert und sie doch allumfassend betrachten kann.

“Windgerührte Getreidefarben
zwischen begehbaren Dämmen,
meilenweit grasbegrenzte Ränder-
ernten von der Kuppe nach unten,
von Händen, die längst im Erdreich sind.”

Zwischen Verinnerlichung von Altbekanntem und neuen Ideen – von “Schön” bis “Klartext” ist bei Les Murray alles vertreten.

Nachtrag: Der Band “Größer im Liegen” ist zweisprachig. Nach Stichproben kann ich die Übersetzung nur loben – sie ist akkurat und unverfälscht, selten linkisch, selten zu kühn.

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