“Der schöne 27. September” des eigenwilligen Elegikers Thomas Brasch (geb. 1945, gest. 2001)


“Auf einer Atombombe über dem Bahnhof Frankfurt, antworte ich,
wie still ist das hier im siebten Himmel.
Nur der Wind und der Gestank der Demokratie:
Lachend falle ich nieder auf das Gewimmel.
Auf einer Atombombe fallen in die Stadt Frankfurt am Main
zu Ehren der Bundestagswahl die Stimme abgeben,
einen Gruß überbringen den Volkspartein:
Das Parlament soll bis zum siebten Himmel hochleben.”
(Aus dem Gedicht: “Drei Wünsche, sagte der Golem”)

Deutsche Dichtung zwischen Tradition und Exodus, so könnte man die Pendelstrecke in Thomas Braschs Dichtung beschreiben. Stumpf, Karg, Launisch, Lakonisch – es fehlt nicht an graumelierten Adjektiven, um seine Sprache einzugrenzen, auch verwandte Dichter sind mit Nicolas Born und Enzensberger schnell gefunden. Doch da muss noch etwas anderes sein.

Wie kaum ein zweiter deutscher Dichter war Brasch ein Elegiker, der die Zärtlichkeit durch das Nadelöhr führte, der die Dunkelheit und die Lakonie wie einen Filzhut trug. Eigentlich dürfte man ihn gar nicht als Elegiker bezeichnen, wäre da nicht dieser stete, beschwörende Unterton, der zwischen Kritik und Verzweiflung, Agonie und Melancholie heraus scheint, ein Unterton jenseits von Konzertsaal & Co, mehr ein kammerspielartiger Unterton, ein Ton der eine angekratzte Schallplatte einzigartig unter all ihren Ebenbildern macht.

“Wolken gestern und Regen
Jetzt ist keiner mehr hier
Ich bin nicht dagegen
Singe und trinke mein Bier.

Tränen heute und Lieder
Bäume verdunkeln den Mond
Ich komme immer wieder
Dorthin wo keiner mehr wohnt

Blätter morgen und Winde
Bist du immer noch hier
Ich besinge die Rinde
Der Bäume und warte bei dir.”

In “der schöne 27. September” ergibt sich der Kosmos einer verlorenen Gesellschaft. Wie vielleicht nur mit dem beinahe Namensvetter Thomas Bernhard vergleichbar, haben die Texte von Brasch eine Kälte, Fremde, eine lebensfeindliche Umgebung (von mir oft mit den blassen Schwarzweißzeichnungen und -holzschnitten in alten Wälzern assoziiert), welche sich wiederum paart mit jener ganz speziellen, kritischen Hitze, einer kruden Genialität, einer namenlosen Gewaltigkeit und Revolte.

Handeln tun die Gedichte vor allem von der Rückständigkeit; der Rückständigkeit der Liebe, der Politik, der Sprache, der Erwartungen, der Welt ganz allgemein. Und aus dieser Rückständigkeit macht Brasch so etwas wie einen Kult, eine Perspektive des Lebens und versieht sie (ähnlich wie Born) mit einem Mixanstrich aus bleibender Fraglichkeit und vergehender Hoffnung, aus dem einige Funken Schönheit und Poesie geschlagen werden.

Letztlich ist Brasch ein Unikum, ein Dichter nach ganz eigenen Maßstäben und deswegen auch schwerlich als unwichtig oder schlicht einzuordnen. Egal ob er von sich spricht, eine Ballade auf die Außenseiter der Gesellschaft hält (was manchmal schon fast an Bukowski erinnert) oder einfach nur allgemeines Poesietreibgut stranden lässt: Da ist eine Nähe und eine Ferne in seinen Versen, so unspektakulär und beharrlich wie das Leben selbst.

“Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.”

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