Zu Lars Reyers Gedichtband “Magische Maschinen”


“Auf der Hügelkette summt
das Trafohäuschen seine elektrische
Kantate. Es kommen
keine Engel. Kröten
schnarren durch die Nacht, vom Dorf
herauf, wo die letzten Bierstubengänger
miteinander tuscheln, die fahlen Birken
klappern-”

Es ist sicher kein Zufall, dass vorne auf dem Cover von “Magische Maschinen” eine Kassette abgebildet ist. Beinahe alle Gedichte in diesem Band haben einen gewissen “Tape”-Charakter, einen Anfang, der unvermittelt kommt und ein Ende, das sich selbst ausschaltet; man hört förmlich das Klacken zwischen den einzelnen Seiten, dieses Geräusch, welches der Recorder macht, wenn man die Kassette stoppt und das leisere Knistern, gefolgt von einem aufgescheuchten Surren, wenn man sie wieder in Gang setzt.

Und auch interessant ist, dass aus der Kassette auf dem Cover ein Teil des Bandes herausgezogen wurde – ein vertrautes Bild, ein vertrautes Gefühl. Es stellt sich sofort die Idee ein, das dünne Material zu berühren, daran entlang zu streichen, während man es doch eigentlich aufrollen und sollte. Ist dieses Knäuel aus Kassettenband nicht eine treffliche Metapher für das Leben? Für die Faszination? Und wollen wir nicht manchmal auch alles raffen, in der Hand halten – hoffnungslos und damit das Ganze vielleicht zerstörend – wo es doch eigentlich auch gar nicht uns gehört, sondern dem jeweiligen Moment?

“wir standen
uns immer selbst auf den Füßen & pissten
an den Elektro-Weidezaun, wir lagen
mit dem Ohr am Puls
des anderen & horchten
auf die Strömung, die noch kommen sollte.”

Grob, fast ohne Punkte ziehen sich die Textflüsse Lars Reyers über die Seite, wie der Bach aus der Kindheit unter der porösen, verwitterten und doch (vielleicht gerade wegen dieser Eigenschaften) immer gleichen, immer dagewesenen, quasi in einem Zustand des Zerfalls eingefrorenen Brücke, dahin floss – über dem man als Kind stand und über den man hinwegpubertierte, ohne das sich etwas änderte und es änderte sich doch alles.

Fein sind diese Ahnungen, gesponnen, betrachtet durch das filternde Gefühl des Erinnerten; das geradezu dinglich Präzise in der bis ins Kleinste an dir teilhaftigen Erinnerung. Reyers Gedichte kommen genau von daher und sind genau dort schon fast nicht mehr zu sehen, nur noch zu spüren, festzumachen an dem einen oder anderen, was nie verlorenging, was heute noch hinter uns herzieht und, wenn wir verharren, plötzlich in unsere Erinnerung schießt, durch den ganzen Spiegelpalast des Kopfes. Diese Erinnerungen, wie eine leise Didaktik der Jugend und Kindheit und welche Vorstellung von Lebendigkeit daraus erwächst.

“Ich lese nicht, ich schreibe nicht, ich schweiße nur.”

Dann wäre da noch das Kapitel “Magische Maschinen”, eine flüssig-verzahnte Lang-OP, um den Schwanz der Worte wieder an den Korpus des Lebens zu nähen. Eine wortreiche, virtuose Metamorphose, ein bisschen ohne Hand und Fuß, aber mit Schweiß und einer fühlbaren Lust am Rotieren der Sprache und dem unstillbaren Hand in Hand gehen ihrer Auswüchse, dabei aber auch erfreulicherweise nie zu überbordend oder außerordentlich hermetisch, mit einem kleinen Funkenschlag Mythos.

Insgesamt ein vor allem in seiner eigenwilligen und doch luziden Art beeindruckender Gedichtband. Man kann jedes Stück darin (ausgenommen die beiden Zyklen “Magische Maschinen” und das für mich etwas zu spezielle “Tracks von Jenseits der Auslaufrille”) lesen und ist sofort in einem Erinnerungsflash gefangen, der einen beinahe auf allen sinnlichen Ebenen anzusprechen versucht (und dem das meistens auch gelingt); dabei bewahrt der Autor eine bemerkenswerte Kontrolle. Selten habe ich Gedichte gesehen, die sich bei so freien Formen doch so sehr im Griff haben, die so unterkühlt sind und gleichsam so “lebensnah”.

“Aus dem abgeklemmten Kühlschrank neben der Werkbank
holt er sich den Klaren, die Flasche hat kein Etikett,
früher brannte er noch selbst, Holunderbeeren, weißen Klee –
er wusste wie man destilliert, die Kolben hielten länger
als sein schwarzes Haar.”

Ich würde mich schwertun damit, ein Gefühl in diesen Texten in den Vordergrund zu stellen. Melancholie? Sardonische Gleichgültigkeit? Eine Contraepiphanie des Vergänglichen?
Das alles wäre nur Treibgut auf dem Fluss, der diesen Gedichtband durchzieht. Es ist ein unauffällig dunkler, von Lichtschotter übersäter Fluß, eine aus Worten wie “Harn” und “Brackwasser” gemischte Maße, den man aber auch mit Wörtern wie “Nachtigall” und “Tuschen” beschreiben kann. Zwischen solchen Wortdivergenzen bewegt sich Lars Reyer, ohne dass man merkt, dass er sich bewegt. Er schwebt viel mehr, er teleportiert sich hin und her; nimmt das eine, taucht es ins andere; modelliert dies und versinkt danach in jenem. Daraus wird mit der Zeit eine kontrastreiche und doch einförmige Gestalt, vielleicht ein Abstrich des Lebens, vielleicht der Sprache, wer könnte das so ganz genau sagen … manchmal siehst es einfach nach etwas bestimmtem aus, wenn man es liest …

“stumm
lagen die Makrelen auf dem Papier, dem Schlafe nah,
so sah das aus”

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