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Zu “Ihr habt keine Plan – darum machen wir einen” vom Jugendrat der Generationen Stiftung


Ihr habt keinen Plan „Wir widmen dieses Buch allen Menschen, die je zu uns gesagt haben: »It’s not gonna happen«“

Jeder kennt den Spruch, der immer wieder den Ureinwohner*innen Nordamerikas zugeschrieben wird: „Wir haben die Welt nicht von unseren Vorfahren geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen.“ Eine fast schon Phrase gewordene Wendung, die aber für ein einleuchtendes Konzept steht: es gibt keine Zukunft, wenn sie nicht bereitet, ihre Bedingungen nicht antizipiert werden. Die Vergangenheit ist ausdeut- und belegbar, die Gegenwart gestaltbar, aber Zukunft muss bereitet werden, nur unter bestimmten Bedingungen kann sie überhaupt eintreten.

Wohlgemerkt: die Zukunft der Menschheit. In der Natur setzt sich durch, wer sich anpassen kann – und für die Menschheit hat nun die Stunde geschlagen, in der sie sich anpassen muss oder sie wird verschwinden wie viele andere dominante Spezies. Wer das für eine übertriebene Sicht hält, der hatte (bei aller Liebe) wohl in den letzten Jahren kein vernünftiges Buch in den Händen oder keine(n) vernünftige(n) Studie/Onlineartikel/Fernsehbericht vor Augen. Und hat folglich noch keinen Bericht über den Suizid einer Gattung mit pathologischem Befund gelesen, die wir geworden sind – sollte das aber schleunigst nachholen.

Tatsächlich ist Generationsgerechtigkeit ein revolutionäres Konzept, das uns zwingen würde, unser Leben, unser Wirtschaften und unsere Gesellschaft völlig neu aufzustellen.

Aber lassen wir das Pathologische des Menschen mal beiseite, denn mit „Ihr habt keinen Plan – darum machen wir einen“ hat der Jugendrat der Generationen Stiftung ein Manifest der Hoffnung und nicht (nur) des Zynismus vorgelegt (auch wenn es sich in vielerlei Hinsicht wie ein Manifest zu letzterer Regung liest, zumindest für mich). Zehn Felder arbeitet das Buch ab und identifiziert in diesen Feldern die Fehler aus Gegenwart und Vergangenheit und stellt eine Liste von Bedingungen auf, die das Überleben und Gedeihen der Menschheit als ganzer gewährleisten können, wenn sie zeitnah umgesetzt/jetzt in Angriff genommen werden.

Die Felder sind nach Dringlichkeit sortiert, denn den Anfang bilden die Punkte „Klima retten“ und „Ökozid verhindern“, anders gesagt: Lebengrundlagen bewahren – ohne die alles Kulturelle, Soziale und Gesellschaftliche eh keine Rolle mehr spielt oder sich zumindest verselbständig, der Kontrolle entzieht.

Ab sofort müssen wir die Klimakrise als das Wahrnehmen, was sie ist. Sie versetzt die ganze Welt in einen Notstand. […] Die nächsten Jahre bieten vielleicht die letzte Möglichkeit, das Schlimmste zu verhindern: die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, wie wir sie seit Beginn unserer Zivilisation kennen. […] Die Natur wird ausgebeutet – vermeintlich ohne Folgekosten. Denn sie macht keine Kostenvoranschläge, sie taucht nicht in Finanzbilanzen auf, sie schreibt keine Rechnungen. Irgendwann wird damit Schluss sein. Dann wird sie die Schulden eintreiben […] Wenn einmal das große Sterben um sich greift und riesige Löcher in Ökosysteme und Nahrungsketten reißt, ist nichts mehr unter Kontrolle. Jede Einsicht, dass auch wir Menschen ein Teil des großen Ganzen sind, das wir bereitwillig und rücksichtslos zerstören, kommt dann zu spät. […] Wirtschafts- und Finanzsysteme lassen sich wieder aufbauen. Ökosysteme nicht. […] Die Maßnahmen, die wir einfordern, sind radikal. Aber der drohende Ökozid lässt sich nicht durch harmlosere Maßnahmen, die niemandem wehtun, und kleine Einschnitte abwenden.

Schon in diesen ersten beiden Kapiteln schreitet das Buch mit einem enormen Tempo und großer Kompromisslosigkeit voran. Die Autor*innen machen klar: die Fakten haben wir gecheckt, unsere Vorschläge daran angepasst, folglich gilt: „Ein »Das geht nicht« verstehen wir als ein »Wir wollen nicht«.“ Dieses enorme Tempos und der kompromisslos-klare Ton wirken sich natürlich auch auf die Wucht der Darstellung aus. Wobei, die Inhalte reichen eh: Hier wird schließlich (leider nicht zum ersten, sondern zum wiederholten Mal, man denke nur an Philipp Bloms „Was auf dem Spiel steht“) nicht viel weniger als die ganze Hybris unseres derzeitigen Handelns offen gelegt, sicherlich hier und da vereinfacht dargestellt, aber im Kern zutreffend und voller erschreckender bis ernüchternder Beispiele.

Bis 2050 wird fast jeder Meeresvogel Plastik im Magen haben – schon heute sind es über 90 Prozent. Auf diesem Wege steigt das Plastik die Nahrungskette hinauf und landet schließlich auch in unserer Nahrung.

Kapitel drei nimmt sich dann des freien Marktes und der Finanzvorstellungen der Gegenwart an. Und hält fest:

Wer weiterhin behauptet, harte Arbeit zahle sich aus, macht aus der Existenz der meisten Menschen einen schlechten Witz.

Das habe ich selten so klar und prägnant gelesen. Und wenn es auch in Zentraleuropa vielleicht noch nicht so weit ist, dass der Satz mit vollem Recht an allen Häuserwänden prangen könnte, so gibt es doch viele Orte auf der Welt, an denen dies ohne Probleme der Fall sein könnte. Längst haben sich Paradigmenwechsel vollzogen, die hartnäckig geleugnet und retuschiert werden und weiterhin werden Konzepte auf Hochglanz poliert, die ihren Bezug zur Realität längst eingebüßt haben. Schere zwischen arm und reich, etc., die meisten werden das kennen, die wenigsten nehmen es leider ernst.

Im Grundgesetz heißt es, Eigentum verpflichtet. Wenn dieses Prinzip nicht bald wirklich wieder gilt, höhlt das unser Miteinander immer weiter aus.

Es muss wieder normal werden, dass Unternehmen, die häufig die Gesetze brechen, die Lizenz entzogen wird.

Und das Buch macht weiter große Schritte: von der sozialen Gerechtigkeit über Digitalisierung, Bildung, Demokratie, Menschenrechte and more and more. Zu jedem Punkt wird ein Katalog von Änderungen vorgelegt, die alle in Kurzform noch einmal hinten im Buch versammelt sind. Das Buch ist durchgehend gegendert, leider auch keine Selbstverständlichkeit.

Seit vielen Jahren wissen die meisten Menschen (oder könnten es wissen), dass unser derzeitiger Umgang mit den Ökosystemen, der Gesellschaft, den Kapitalflüssen etc. nicht funktioniert/keine Zukunft hat, eines Neuentwurfs bedarf. Hier, in diesem Buch, hat eine Gruppe junger Menschen einen solchen Neuentwurf gewagt. Sicher bedürfte er einiger Optimierungen, zusätzliche Ideen könnten eingeflochten werden, aber grundsätzlich ist es ein beeindruckender Plan für eine möglichzumachende Zukunft. Immer wieder pochen sie besonders darauf, dass Deutschland in der internationalen Gemeinschaft von Bedeutung ist (politischer und wirtschaftlicher) und sich dieser Bedeutung bewusst werden, sie nutzen muss, im Sinne einer für alle gesicherten Zukunft.

Ich muss zugeben, dass ich nicht viele Gründe kenne, an eine solche Zukunft noch zu glauben, leider erst Recht nicht nach diesem Buch, das die Probleme so gut und offen darlegt. Aber ich habe große Hochachtung vor diesem Versuch und hoffe natürlich, wider allen Pessimismus, dass dieser Plan adaptiert, in die Tat umgesetzt wird. Nicht nur hoffe ich das, ich wünsche es ihm. Vermutlich wird wieder nur endlos darüber diskutiert, wenn überhaupt.

Zu Jonathan Franzens “Das Ende vom Ende der Welt”


Das Ende vom Ende Jonathan Franzen ist das, was man einen streitbaren Intellektuellen nennt. So zumindest präsentierte er sich in seiner ersten Essaysammlung „Anleitung zum Alleinsein“, wo er sich gegen die große Vielzahl der Sexratgeberbücher aussprach und auch ansonsten eine ganze Reihe von entwicklungsskeptischen Texten vom Stapel ließ, die meisten getragen von einem Verlangen nach mehr kritischem Bewusstsein und vielperspektivsicher Wahrnehmung.

Im zweiten Essayband „Weiter weg“ wendete er sich mehr der Beziehung zwischen Leben und Literatur zu, allerdings waren auch hier noch die kritischen Ideale des Vorgängerbandes vertreten – und es finden sich dort bereits ein-zwei Texte über die Thematik, die in „Das Ende vom Ende der Welt“ zum Kernthema avanciert: Umwelt und Natur in hyper-kapitalistischen Zeiten und im Bann der Klimakrise (oder allgemein der menschlich verursachten Ungleichgewichte und Zerstörungen in allen Ökosystemen).

Franzen nimmt dieses Sujet von einer ganz eigenen Warte unter die Lupe: schon seit längerem ist er passionierter Vogelbeobachter und diese Leidenschaft hat ihn rund um den Globus geführt: nach Mittel- und Südamerika, in die Karibik, nach Albanien, Nord- und Südafrika, und sogar in die Antarktis. In etwa 50-60% der Texte in „Das Ende vom Ende der Welt“ berichtet er von diesen Reisen/Expeditionen, wobei er eine gute Balance wahrt zwischen den Schilderungen der Vogelbeobachtungen und den Berichten über die lokalen Gegebenheiten, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, unter denen die lokale Vogelpopulation leidet oder die Projekte, durch die sie geschützt wird.

Den Rest der Texte (bspw. ein Essay über das Werk von Edith Wharton, 10 Regeln für Romanautor*innen oder ein kurzes Dokument aus den Tagen nach 9/11) kann man getrost als Gelegenheitsarbeiten bezeichnen. Sie sind allesamt nicht schlecht oder überflüssig, wirken aber zwischen den anderen Texten eher wie Fremdkörper, bleiben ohne Anknüpfungspunkte und entfalten somit nicht ihr volles Potenzial.

Nun klingt ein Buch, in dem es hauptsächlich um Vögel, um die Beobachtung und die Darstellung ihres Überlebenskampfes in einer von Menschen dominierten Welt geht, erstmal nicht nach der spannendsten oder dringlichsten Lektüre, das ist mir bewusst. Dennoch würde ich sehr dazu raten, den Band zur Hand zu nehmen. Denn eben dieser Überlebenskampf und seine Umstände, die Franzen an verschiedenen Orten rund um den Globus schildert, und die Vögel selbst, mit ihrer Vielfalt und Schönheit, sind ein exemplarisches Beispiel für die Natur, die unseren Planeten so reichhaltig werden ließ, wie wir ihn vorfanden, und für die Arten und Weisen und kurzsichtigen Praktiken, mit denen wir diese Natur langsam aber sicher zerstören und uns selbst letztlich die Lebensgrundlagen entziehen.

Franzen zeigt dabei sehr schön auf, dass der Klimawandel hier nicht die einzige Bedrohung ist, sondern lediglich die umfassendste. Das Artensterben (und damit gleichzeitig das Sterben der Ökosysteme) – sei es nun bei Fischen oder Vögeln, Säugetieren oder Insekten – hat vielfältige Ursachen. Oft sind es Praktiken, zu denen schon Alternativen existieren, die sich nur endlich durchsetzen und/oder die gesetzlich verankert werden müssten.

Und lesenswert ist das Buch auch deshalb, weil Franzen es schafft, die Umweltthematiken nicht selten mit menschlichen Geschichten zu verbinden, ganz gleich ob es dabei um ein Ehepaar geht, das ganz allein einen großen Naturschutzpark aufbaut, um Menschen in den nordafrikanischen Ländern, die nicht verstehen, warum man Zugvögel nicht tonnenweise vom Himmel schießen sollte oder um seinen verstorbenen Patenonkel und die Geschichte, wie er dank ihm und einer heimlichen Liebe zu einer Reise in die Antarktis kam.

Nicht jede/r Leser*in wird etwas mit Franzens Vogelenthusiasmus anfangen können und das erschwert natürlich hier und da die Lektüre, auch ich tat mich teilweise schwer. Doch ich muss zugeben, dass ich seit der Lektüre einen frischen Blick auf mein natürliches Umfeld (soweit es in der Stadt existiert) gewonnen habe. Ich sehe wieder genau hin, wenn da etwas (abgesehen von den Menschen, die ich sofort als Personen wahrnehme) in meiner Nähe lebt, sich bewegt und an diesem unglaublichen Schauspiel teilhat, das den ganzen Planeten umspannt (es auf kleinstem Raum verkörpert). Oder besser gesagt: mehreren Schauspielen: Natur allgemein, heimisches Ökosystem, Evolution.

Franzens liebevolle Art, Vögel zu beobachten, zu unterscheiden und zu beschreiben, hat dieses neue Bewusstsein in mir angestoßen und ich glaube, dass es ihm darum auch geht: um mehr Empathie für die Natur, nicht nur aufgrund von wissenschaftlichen Fakten, sondern aufgrund konkreter Schönheit und Lebendigkeit. Die Menschheit muss diese Erde wieder als Ort vielgestaltigen Lebens begreifen, denn ohne dieses Bewusstsein, werden wir nie begreifen, was wir im Begriff sind zu verlieren, bevor es zu spät ist – für die Vögel und für uns.