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Eine Erwähnung zu Gottfried Benns Gedichtwerk


“Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume.
Die Sterne, schneeballblütengroß und schwer.
Die Panther springen lautlos durch die Bäume.
Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer -”

Gottfried Benn, vielleicht der erste große deutsche Dichter der Moderne, wird bis zum heutigen Tag hauptsächlich als wichtigster Vorreiter und Vertreter des Expressionismus gesehen und ist vor allem dafür bekannt, dass er in seinen frühen Gedichte neue Tabuthemen wie Verwesung, Krankheit, körperliche Prozesse und ärztliche Detailuntersuchungen auf den Plan brachte; und obwohl man mit diesen Gedichten nur ein Drittel seines Gesamtwerks erfasst – den frühsten, drängendsten Teil – scheint er auf diese frühen Werke unwiderruflich abgestempelt zu sein. Ich selbst wurde damals im Deutschunterricht lediglich mit “Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke” konfrontiert, einem Gedicht, das ich, wie ich direkt klarstellen will, ganz scheußlich finde; es ist ein schlechtes, das Werk Benns kein bisschen wiedergebendes Gedicht, vielleicht expressiv-innovativ oder historisch interessant, aber lyrisch ohne Wert.

“Niemand ist Alles auf Erden.
In die Blüte des Lichts,
in die Aue des Werden,
strömt die Seele ihr Nichts

Wie dann die Stunden auch hießen,
Qual und Tränen des Seins,
alles blüht im Verfließen
dieses nächtigen Weins”

Warum wird Benn oft allein als dieser Dichter frühster Stunde gesehen, warum werden seine heute fragwürdigen “Innovationen” als seine größten lyrischen Triumphe gefeiert, wo er doch in reiferen Jahren so tiefsinnige und ehrliche Verse geschrieben hat. Ich weiß es nicht. Aber ich kann es mir denken. Denn auch mich hat es Überwindung gekostet, mich durch die frühen Gedichte zu wühlen; nicht durch alle, denn es sind sie nicht alle schlecht, aber so manche blutleere und von Schlamm übersprudelnde Quelle unpoetischer Verbalisierungen muss man überspringen, wenn man die guten frühen Gedichte herausfiltern will.
Und das kann zu dem Gedanken verleiten, es gehe weiter wie es anfängt. Und genau da liegt der große Irrtum, von dem ich hoffe, dass letztlich vielleicht nur ich und wenige andere ihm aufgesessen sind und für die meisten diese Mahnung lächerlich ist – es würde mich freuen! (Übrigens: Wer sich jetzt irgendwie angegriffen fühlt: Wenn sie Benn schon entdeckt haben oder seine frühen Werke mögen – ich spreche von mir aus und ich schreibe dies hier aus Sorge und nicht aus dem Wunsch nach Polemik)

“Zwei Welten stehn in Spiel und Widerstreben,
allein der Mensch ist nieder, wenn er schwankt,
er kann vom Augenblick nicht leben,
obwohl er sich dem Augenblick verdankt;”

Panta rhei – Alles fließt. Diesen Satz könnte man, weiß auf schwarzem Marmor, als Einband für Benns mittlere und spätere Gedichte benutzen, als Stichwort, als Motto, als Credo. Hauptsächlich haben diese Gedichte nichts mehr mit den frühen Werken aus Morgue oder Schutt gemein, außer vielleicht den Hang zu kulturellen Anspielungen und der immer noch kräftig wirkenden, am Zügel gehaltenen Sprache. Man kann sich bei den meisten förmlich vorstellen, wie ein älterer, weiser, ruhiger Mann an einem Tisch sitzt und die Reime ihm aus der Feder fließen, hinein in die Ewigkeit der Bücher.
Es geht um Metaphysik und um den Wunsch zu entkommen oder zu bleiben. Eins von beidem will gelingen, aber beides steht dem Menschen nur scheinbar offen. (“Wenn Du noch Formen willst,/ um nicht zu enden,/ wenn Du noch Normen stillst,/ statt dich zu wenden.”) Die Angst ist kein Wegweiser, aber sie hält uns klein. Der Tod ist kein Übel, aber er ist das Ende des Lebens, wie wir es kennen. Das einzige, was es gibt, ist das Andere. Die Leere und Du.

“Vor keiner Macht zu sinken,
vor keinem Rausch zur Ruh,
du selber bist Trank und Trinken,
der Denker, du.”

Gewiss, dieser kleine Themeneinblick ist nichts, was einen zärtlich oder freudig stimmt. Aber es stimmt einen nachdenklich und ist wundervoll zu lesen, als würden sich die Reime Sinn und Wort zugleich reichen. Und immer wieder erscheinen Verse, die einen wie der Ton einer tiefen Glocke treffen, weithin gut zu hören, durch Jahre, Zeit und Papier – und andere, die begegnen einem wie ein Gedanke in der Nacht, wenn man in völliger Dunkelheit am Fenster steht, Verse
wie:

“Die dunklen Fluten enden,
als Fremdes, nicht dein, nicht mein,
sie lassen dir nichts in den Händen,
als der Bilder schweigendes Sein.

Die Fluten, die Flammen, die Fragen –
und dann auf Asche sehn:
‘Leben ist Brückenschlagen
über Ströme, die vergehn’.”

Knapp könnte man sagen: Die Gedichte haben etwas Meditatives. Noch später kommen sogar einige erzählende, geradezu leichte, reimlose Gedichte auf, aber auch diese haben eine Art, einen nicht loszulassen mit ihrem Fluss, ihrem Gedankengut, ihren beobachtenden Augen.

“Der sah dich hart, der andre sah dich milder,
der wie es ordnet, der wie es zerstört,
doch was sie sahn, das waren halbe Bilder,
da dir das Ganze nur allein gehört.”

Ich glaube, dass Benn in seinem Spätwerk zu den größten Dichtern der deutschen Sprache gehörte und gehört. Mag sein Werk auch düster und über die Melancholie hinaus sogar kalt sein; nur in dieser Dunkelheit konnte diese dunkelrote Note entstehen, die ein paar seiner Verse zu dem Trefflichsten und Ausgeglichensten machen, was ich bisher an Lyrik lesen durfte. Vor allem die letztgenannte Ausgeglichenheit, selbst schon in frühen Gedichten teilweise vorhanden, ist ein Merkmal Benns das immer wieder zu verblüffen weiß – der klare Ton, die tiefe Stimme.

“Es ist ein Knabe, dem ich manchmal trauere,
der sich am See in Schilf und Wogen ließ,
noch strömte nicht der Fluß, vor dem ich schauere,
der erst wie Glück und dann vergessen hieß.

Es ist ein Spruch, den oftmals ich gesonnen,
der alles sagt, da er dir nichts verheißt –
ich habe ihn auch in dies Buch versponnen,
er stand auf einem Grab: ‘tu sais’ – du weißt.”

Liebe 160 – “Mein Herz morst deinen Namen”. Ein SMS-Lyrikbuch über die Liebe


“Mein Handy funktioniert mit
Herzschlag-Energie;
seit ich dich kenne, versagt es nie!”
(Monika, 15)

Vorweg ist zu sagen, dass dieses Buch (wie andere Rezensenten bereits richtig feststellten) kein reines Sammelsurium netter SMS-Texte ist, die man an Freunde/Freundinnen versenden kann, wenn man ihnen einen kleine Liebesbotschaft zukommen lassen will (auch wenn durchaus ein paar sehr süße, nette Texte dieser Art enthalten sind). Das Buch geht “über” Liebe und Freundschaft und nicht “an” und das schließt sowohl die Kehrseite der erfüllten Liebe, als auch verschiedene modus operandi ein, von der Lautsprache bis zum schwülstigen, himmelherzschreienden Vers.

“zum mond und zurück
ist ein ganz schönes stück,
doch mess ich mein glück,
kannst du das rechnen lassen,
denn jeder Astronaut
würde beim Anblick
der Zahl erblassen.”
(Sophie, 19)

“Als ich noch klein wahr, sagte meine Mutter:
Eines Tages, wenn du groß bist,
wirst du erfahren, was wahre Liebe ist.
Leider vergaß sie mir zu sagen, wie weh es tut”
(Krasniqi, 19)

Dabei geht es zugegebenermaßen regelmäßig auch sehr schlicht zu und es wäre sicherlich übertrieben, wenn man dem Buch eine vollendet adäquate Highness in Sachen Ästhetik und Ausdruck zuschreiben würde. Aber um solche Elitärrereien geht es ja gar nicht. Die Liebe ist, selbst wenn man ihr nicht die allerhöchsten Bedeutungen von Erlösung und Vervollkommnung zugesteht, doch immer noch ein Gefühl, das faszinierenderweise fast auf jeder Ebene der sprachlichen Qualität zu erreichen ist. Ihr Ausdruck ist wandelbarer als viele andere Gefühle, die eine spezielle Art der Herangehensweise erfordern, wenn wir sie durch das Gedicht erfassen wollen. Die Liebe jedoch, sie kennt auch schlichte, wahre Zeilen:

“ein leben ohne lachen ist leer,
ein leben ohne liebe ist schwer,
aber ein leben ohne dich
ist kein leben mehr”
(Michael, 19)

“Nicht zu wissen, was man denken soll,
ist nicht so schlimm, wie nicht zu wissen,
was der andere denkt,
an den man ständig denkt”
(Frit, 21)

Zum anderen waren die Botschaften über Liebe in diesem Band ja beschränkt, auf 160 Zeilen und in diesem Rahmen mussten die Dichter (zumeist jugendliche oder knapp über 20jährige) operieren. Dafür ist so manches Ergebnis dann schon beeindruckend.

“emotion (uralt/unendlich)
himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt,
such einsame Herzen
zwecks zusammenführung.
risikobereitschaft erforderlich,
wird evtl. belohnt.”
(Simone, 20)

und manchmal geradezu weise:

“hand in hand gehen wir einen weg
und entscheiden uns an jeder kreuzung
füreinander –
wo haben wir begonnen, wo werden wir enden?”
(Karin, 21)

10 Jahre ist das Buch jetzt alt und die SMS hat immer noch ihre eigene Kultur, SMS-Sprüche sind weiterhin “inn”. Jedoch ist gerade wenn es um Liebe geht, natürlich auch die emotionale Komponente der SMS interessant. Viele dieser Nachrichten mögen einfache Dichtungen sein oder große Worte, kleines Gebet – aber ihnen allen ist vermutlich jene Geschichte gemein: sie wurde eines Nachts, um 2.00 Uhr morgens zum Beispiel, nach einem wunderschönen oder niederschmetternden Abend versandt und in dem Moment konnte sie, mit ihrer simplen, blinkenden, aus kleinen Vierecken zusammengesetzten Buchstaben-Botschaft die ganze eigene Gefühlswelt umfassen, mit Zittern und Hoffen, als gäbe es nichts darüber hinaus. Auch so muss man sie lesen.

“Wenn das Meer die Tinte wäre
und der Himmel das Papier,
würde es nicht ausreichen,
um aufzuschreiben,
welche Gefühle ich für Dich habe.”

Mir hat das Buch, im Großen und Ganzen, trotz einiger Plattitüden und schwitzerdeutscher Unverständlichkeiten, gut gefallen. Besonders schön waren auch die letzten beiden Kapitel, in denen neben den Einsendungen zu dem Wettbewerb, durch den das Buch entstanden ist, auch einige Netz-Klassiker und einige kurze Gedichte von klassischen Autoren versammelt wurden. Z.B. Theodor Fontane:

“Erst unter Kuss und Spiel und Scherzen
Erkennst du ganz, was Leben heißt;
O lerne denken mit dem Herzen,
Und lerne fühlen mit dem Geist.”

“Liebe – die zarteste Versuchung,
seit es dich gibt.”
(Corinne, 21)

Wenn man bedenkt, dass der Spielraum beschränkt und die Emotion oft auf kurze Distanz, quasi ins Handy hinein, verarbeitet werden muss, ist die Sammlung Liebe 160 ein sehr vielschichtiges und nettes kleines Portrait eines Momentes, in dem Kunst und Berührung zusammenfanden. Vielleicht keine hohe Kunst, aber eine, die von mir zu dir geht, die etwas mehr über das Zwischenmenschliche erzählt, als über das Wesentliche – aber brauchen wir nicht gerade manchmal eine solche Kunst?

“Eines Tages sagte die Liebe zur Freundschaft:
-Wieso existierst du, wenn es mich gibt?-
-Ich bringe ein Lächeln,
wo du eine Träne zurückgelassen hast.-”
(Martin, 18)

Man kann in diesen Versen Virtuosität sehen und einen scheuen Glanz, man muss sich vielleicht nur einiger Dinge bewusst werden, die ich angesprochen habe. So verbleibe ich mit der Hoffnung, dass sich manche doch von diesem Buch für eine halbe Stunde beschäftigen lassen und vielleicht lockt es zumindest das ein oder andere Lächeln hervor – wie z.B. dieses Gedicht über das Magische des -EINEN- Kusses:

“Gestern ging ich nach Hause,
stieg die Tür hinauf,
schloss die Treppe ab, öffnete Licht;
und das alles nur, weil du mir
einen Kuss gegeben hast.”

und das ein oder andere Gedicht findet vielleicht den Weg ins Kuriositätenkabinett der Geschichten, Anekdoten und Sprüche, die wir uns erzählen oder die wir gerne verwenden.

“Eines Tages wirst du mich fragen,
wer mir wichtiger ist, du oder mein Leben.
Ich werde sagen: Mein Leben.
Und du wirst gehen, ohne zu wissen,
dass du mein Leben bist.”

“Wenn du eine Blume in der Wüste wärst,
würde ich immer vor dir knien und weinen,
damit du nicht verdurstest!”

“Liebe ist wie das Licht einer Kerze
in einem dunklen Tunnel.
Es zeigt dir zwar den Weg,
nur es sagt nicht,
was dich am Ende erwartet.”
(Isabelle, 39)

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